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Wie große Zeitungen für die Kohle-Lobby schreiben

Kohlekraft bringt Arbeitsplätze: Wie viele das in Deutschland sind, darüber kursieren unterschiedliche Zahlen – je nach Interessenlage. (Foto. Nicole Allé)
Kohlekraft bringt Arbeitsplätze: Wie viele das in Deutschland sind, darüber kursieren unterschiedliche Zahlen – je nach Interessenlage. (Foto. Nicole Allé)

Die beiden Tageszeitungen Berliner Zeitung und Kölner Stadtanzeiger gehören demselben Konzern und zählen eigentlich nicht zu den üblichen Verteidigern von Positionen des Großkapitals. In Sachen Kohleverstromung fallen sie aktuell jedoch durch Propaganda für die großen Kraftwerksbetreiber auf.

21.07.2014 – Kraftwerker sind ein stolzes Völkchen, weil sie unsere Energieversorgung sicherstellen. Die Kraftwerker fürchten, dass die Bundesregierung den Kohleausstieg plant. Es sind harte Zeiten für Kraftwerker. Die Kraftwerker ficht nicht an, dass das Brandenburger Kraftwerk Jänschwalde als Deutschlands größte Dreckschleuder kritisiert wird, als drittgrößte Europas und siebtgrößte der Welt. Kraftwerker rechnen anders, nämlich den Ausstoß auf jede erzeugte Kilowattstunde um, wodurch Jänschwalde „dann deutlich besser dasteht“, wie ein leitender Mitarbeiter sagt. Die Kraftwerker heben immer hervor, dass sie sich nicht als Gegner der Erneuerbaren Energien sehen. Jänschwalde ganz abzuschalten, wie es viele Kohlegegner hoffen, geht nicht, sagen die Kraftwerker.

Nein, diese Begriffswiederholung ist nicht künstlerisch gemeint. Es handelt sich um eine Aneinanderreihung von Sätzen, die am Samstag in einem Artikel der Berliner Zeitung erschienen sind. Als Stilmittel war die ständige Formulierung „die Kraftwerker“ aber sehr wohl beabsichtigt. Es ging um die Schaffung von Nähe zu jenen Leuten, die im Kohlesektor arbeiten und deren Arbeitsplätze seit einigen Monaten in verschärfter Form beschworen werden. Nicht nur die Konzerne arbeiten dabei mit stark überhöhten Arbeitsplatzzahlen, sondern auch die Gewerkschaften IG BCE und Verdi.

Diese Übertreibungen akzeptiert Jens Blankennagel. In einem Artikel für ein ganzseitiges Vattenfall-Thema in der Wochenendausgabe berichtet der Brandenburg-Redakteur der Berliner Zeitung aus dem Kraftwerk Jänschwalde. Da kommt Führungspersonal lang und breit zu Wort, Kritik am Kraftwerk, an Vattenfall oder der Kohleverstromung hingegen fast gar nicht. So kann Werksleiter Andreas Thiem unwidersprochen behaupten: „Etwa 24.000 Jobs hängen an der Kohle“, ein Drittel davon bei Vattenfall, der Rest bei Zuliefer- und Servicebetrieben. Der Satz ist schon an sich missverständlich, denn Blankennagel hatte gefragt, wie viele Jobs von diesem Kraftwerk abhängen. Die Antwort bezieht sich aber auf den ganzen Konzern – und ist dennoch übertrieben.

Im März schon hat der Rundfunk Berlin-Brandenburg die Zahlentricks von Landesregierung und Vattenfall vorgeführt. Eine 2012 erstellte Studie für das Wirtschaftsministerium ging für 2015 „nur von 9.300 Arbeitsplätzen in der Brandenburgischen Braunkohle-Industrie aus, davon 3.500 indirekte Arbeitsplätze, etwa bei Zulieferbetrieben“, ist da zu lesen. Vattenfall ist zwar auch in Sachsen aktiv, aber die deutlich höheren fünfstelligen Zahlen, die in Sachen Vattenfall-Arbeitsplätze kursieren und auf die sich offensichtlich der Kraftwerkschef von Jänschwalde bezieht, sind auf vom Konzern bezahlte und in ihrer Methodik zum Teil sehr fragwürdige Studien zurückzuführen.

Noch schlimmer treiben es IG BCE und Verdi mit den Übertreibungen. Als Verdi-Vorsitzender Frank Bsirske Anfang April behauptete, die damals von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel geplante Deckelung der Kraftwerksemissionen gefährde rund 100.000 Arbeitsplätze, druckten auch große qualitätsorientierte Zeitungen diese Zahl. Dass sie völlig haltlos ist, sagten Fachleute sofort, darunter das Umweltbundesamt, das auf eine eigene Studie verwies, in der der Verlust inner- wie außerhalb der Kohle-Branche auf 4.700 Arbeitsplätze beziffert wurde. In der Berliner Zeitung wurde Bsirskes Schreckenszahl hingegen noch am 10. Juni ohne jegliche Kritik zitiert.

Das wirft ein schlechtes Licht auf den Medienkonzern M.DuMont Schauberg, dem die Berliner Zeitung gehört. Dort erscheint nämlich auch der Kölner Stadtanzeiger, und dem wies die Taz erst kürzlich nach, dass er seine Blattlinie nach der Beschwerde eines RWE-Betriebsrats und IG-BCE-Funktionärs änderte. Ralf Hutter


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