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Die Meinung
21. November 2016

Blutkohle fürs Ländle - und die Grünen schauen zu

Das Land Baden-Württemberg ist der wichtigste Anteilseigner der EnBW. Dass der Konzern seit Jahren Steinkohle bei umstrittenen Lieferanten in Kolumbien einkauft, scheint die Landesregierung nicht zu stören – das Nachsehen haben die betroffenen Menschen vor Ort.

Sebastian Rötters<br/>Kohle-Experte<br/>urgewald e.V.

Sebastian Rötters<br/>Kohle-Experte<br/>urgewald e.V.
Sebastian Rötters ist Kohle-Experte der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald. (Foto: urgewald)
Sebastian Rötters ist Kohle-Experte der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald. (Foto: urgewald)

18.11.2016 – Aus diesem Grund hat die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald eine Unterschriftenaktion an Ministerpräsident Winfried Kretschmann gestartet.

Die Unternehmen Drummond und Prodeco/Glencore gehören zu den wichtigsten Steinkohlelieferanten der EnBW. Allein 2015 lieferten die beiden Unternehmen 1,4 Millionen Tonnen Steinkohle für die Kraftwerke des Karlsruher Energieversorgers. Abgebaut wird diese Kohle in der kolumbianischen Region Cesar. Dort forderte der Bürgerkrieg tausende Opfer. Bis heute müssen Kohle-Kritiker um ihr Leben fürchten. Insbesondere paramilitärische Einheiten haben hier tausende Menschen bedroht, ermordet und vertrieben.

Dass die Bergbaukonzerne in all den Jahren über die Verbrechen informiert gewesen sein mussten und dazu geschwiegen haben, ist das eine. Aber haben sie womöglich direkt dazu beigetragen? Seit langem gibt es Hinweise, dass Drummond und Prodeco/Glencore die Paramilitärs jahrelang finanziert und logistisch unterstützt haben sollen. Außerdem profitieren diese Unternehmen bis heute nachweislich von der Gewalt in der Abbauregion, beispielsweise durch geschwächte Gewerkschaften oder die Einschüchterungen von Vertriebenen und Menschenrechtlern.

Die EnBW kennt die Vorwürfe seit mindestens sechs Jahren. Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist schon länger im Bilde. Schon 2013 informierte urgewald ihn über die Situation und forderte von der EnBW eine Unterbrechung der Kohleimporte aus Cesar. Seitdem sind viele neue belastende Aussagen und Berichte veröffentlicht worden. Doch während die EnBW einfach weiter schmutzige Geschäfte mit Drummond und Prodeco macht, bleibt die Landesregierung untätig. Aus dem Umweltministerium hieß es vor einer Woche, man werde sich zu dem Thema nicht äußern, da es die Geschäftspolitik der EnBW betreffe, aus der sich die Landesregierung heraushalte.

3.100 Morde, 55.000 Vertriebene, 240 Verschwundene

Die nackten Zahlen zeigen das ganze Ausmaß der Gewalt in der Kohlebergbauregion Cesar: 3.100 Morde, 55.000 Vertriebene, 240 Verschwundene im Zeitraum 1996 bis 2016. Verantwortlich dafür: Die Männer der paramilitärischen Einheit „Juan Andrés Alvarez“ (JAA). Ehemalige Kommandanten der JAA haben unter Eid ausgesagt, dass Drummond und Prodeco/Glencore diese Einheit über Jahre finanziell und logistisch unterstützt haben. Ohne diese Zuwendungen hätte die JAA demnach niemals von ursprünglich 60 auf 600 Mann anwachsen können. Die niederländische Friedensorganisation PAX hat die Vorwürfe und die Situation der Opfer 2014 in der Studie The Dark Side of Coal zusammengefasst. Bis heute stehen die Vorwürfe im Raum. Obwohl es keinen einzigen Fall in Kolumbien gibt, zu dem es derart viele Zeugenaussagen bezüglich der Verbindungen zwischen Unternehmen und Paramilitärs gibt, streiten Drummond und Prodeco bis heute alles ab. Das ist nicht überraschend, die Reaktion der EnBW indes schon.

Sie verweist immer wieder darauf, dass ein Abbruch der Geschäftsbeziehungen wenig hilfreich sei und man eher auf einen konstruktiven Dialog mit den Produzenten setze. Dieser „konstruktive“ Dialog dauert nun schon viele Jahre. Geholfen hat dies wenig – vor allem, weil die EnBW dabei nie klar Position bezogen hat.

Stand November 2016: Die Opfer von damals warten noch immer auf Signale der Kohleproduzenten. Doch diese ziehen es vor, weiter zu schweigen. Drummond geht sogar juristisch gegen unliebsame NGOs wie PAX vor. Gleichzeitig ist die Situation für Opfer, Menschenrechtler und Gewerkschafter nach wie vor kritisch. Zwar gibt es seit der offiziellen Demobilisierung der JAA im Jahr 2006 nicht mehr solch horrende Gewaltzahlen wie damals, aber noch immer müssen kritische Geister um ihr Leben fürchten. Die neue PAX-Studie Civil Society under threat von September 2016 zeigt auf, dass zwischen 2012 und 2016 mehr als 200 Menschen Opfer von Einschüchterungen und Übergriffen in der Kohleregion geworden sind.

Mord an Gemeindesprecher am 11. September 2016

Trauriger Höhepunkt war die Ermordung des Gemeindesprechers Néstor Martínez am 11. September 2016. Es geschah in Chiriguaná, der gleichen Gemeinde, wo im Jahr 2001 auch der Kohle-Gewerkschafter Candido Mendez ermordet worden war. Er war der Vater von Maira Mendez, die im Mai 2016 auf der Hauptversammlung der EnBW gesprochen und vor weiterer Gewalt gewarnt hatte. Martinez war ein Gegner der Drummond-Expansionspläne und ein Unterstützer von Vertriebenen. Er wurde vor seinem Haus kaltblütig erschossen. Zwar ist unklar, wer konkret hinter diesem Verbrechen steckt, aber unstrittig ist, dass solche Übergriffe einen paralysierenden Effekt auf sämtliche Gegner des Kohlebergbaus haben.


Nestor Martinez. (Foto: © Sanne Poot)

Eine eindeutige Ablehnung der Gewalt durch die Kohlekonzerne, aber auch ihrer Geschäftspartner in Europa, wäre für die Betroffenen ein wichtiges Signal. Dies würde den Tätern die Legitimationsgrundlage entziehen. Doch die öffentliche Distanzierung von der Gewalt erfolgt, wenn überhaupt, dann nur auf Druck von außen und eher halbherzig. Auch die EnBW verweist lieber darauf, dass der Zusammenhang zwischen den Übergriffen und der Kohleindustrie nicht nachgewiesen werden könne. Auf diese Weise bagatellisiert der Energieversorger die Sorgen und Nöte der Menschen vor Ort und lässt Drummond und Prodeco weiterhin gewähren. Dabei verlangen auch die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte eindeutig, dass Unternehmen wie die EnBW Verantwortung für ihre Lieferkette übernehmen. Bei den Karlsruhern findet dies leider nur auf dem Papier, nicht aber mit konkreten Maßnahmen statt. Ein Energieversorger, der sich zu über 90 Prozent in Besitz von Land und Kommunen befindet, sollte hier Vorreiter sein. Davon ist nichts zu erkennen.

Dass es anders geht, zeigt der Energieversorger DONG Energy aus Dänemark. Er hat Drummond bereits im Jahr 2006 und Prodeco 2015 von der Lieferantenliste gestrichen - bis die Vorwürfe untersucht und konkrete Maßnahmen zugunsten der Opfer eingeleitet werden.

Warum nimmt die EnBW ein solches Reputationsrisiko in Kauf? Es ist ein offenes Geheimnis, dass insbesondere Drummond-Kohle spottbillig ist. Auf Kosten der Betroffenen vor Ort werden so Menschenrechte für bessere Unternehmensbilanzen verscherbelt.

Quo vadis beim Thema Kohle, Herr Kretschmann?

Nicht nachvollziehbar ist, wieso ausgerechnet die in Baden-Württemberg dominierenden Grünen den Energieversorger derart frei gewähren lassen. Während die Partei auf dem Bundesparteitag in Münster gerade erst wieder sehr progressive Forderungen zum Thema Kohle beschlossen hat, schweigen die Verantwortlichen ausgerechnet da, wo sie direkt Einfluss nehmen könnten. Stattdessen opfert Ministerpräsident Kretschmann urgrüne Themen wie Kohle, Menschenrechte und Unternehmensverantwortung auf dem Altar der „unternehmerischen Freiheit“. Das Ergebnis war allein 2015 ein 1,4 Millionen Tonnen schweres Armutszeugnis.

Sebastian Rötters arbeitet als Kohle-Experte bei urgewald e.V. in Berlin. Er kennt Kolumbien seit mehr als 18 Jahren und hat dort unter anderem für die Menschenrechtsorganisation Peace Brigades International gearbeitet. Durch diese Tätigkeit wurde ihm ein sehr umfassender Einblick in den kolumbianischen Bürgerkrieg gewährt. Seit mehr als sieben Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema Kohleimporte.




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