Menü öffnen

Die Meinung
07. August 2017

Disruption in der Energiewende

Die globale Energiewende ist unumkehrbar. Die Treiber sind weder ambitionierte Klimaschutzziele noch ein gesteigertes ökologisches Bewusstsein, sondern die exponentielle Kostendegression bei regenerativen Energietechniken, die technischen Innovationen bei den Speichertechnologien und ein hohes industriewirtschaftliches Interesse.

Dr. Axel Berg, Vorstandsvorsitzender Deutsche Sektion EUROSOLAR

Dr. Axel Berg, Vorstandsvorsitzender Deutsche Sektion EUROSOLAR
Dr. Axel Berg ist Vorsitzender des Vorstands der deutschen Sektion von EUROSOLAR.
(Foto: © Roberto Simoni)

07.08.2017 – Nun gibt es drei Schlüsseltechnologien, die in ihrem Zusammenwirken das Zeug haben, die Energiewende derartig zu beschleunigen, dass zum Beispiel große Player aus der deutschen Old Industry, die Jahrzehnte als Rückgrat unserer mächtigen Industrienation galten, einfach von neuen Playern weg disruptiert werden.

1. Schlüsseltechnologie: Solare Energien, insbesondere Photovoltaik und Windkraft

Seit den 1990er-Jahren wurden zwar neben Wasserkraft auch andere regenerative Kapazitäten aufgebaut, aber nur proportional zum Ausbau konventioneller Kraftwerke, so dass der Anteil der Erneuerbaren bei 20 Prozent blieb.

Seit Mitte der 2000er-Jahre steigt die regenerative Kraftwerksleistung infolge des dynamischen Ausbaus der Windkraft und der Photovoltaik weltweit schneller an. Die installierte Kapazität der Erneuerbaren verdoppelt sich alle zwei Jahre. Rechnerisch sind wir in sieben weiteren Sprüngen bei 100 Prozent. Die Grenzkosten der Erneuerbaren gehen gegen Null. Bloomberg meldete im Dezember 2016 einen Wendepunkt in der Weltenergieversorgung: Solarenergie wird erstmals zur billigsten Form neuer Stromerzeugungsanlagen, was weltweite Investitionsströme lenken wird.

2. Schlüsseltechnologie: Speicher

Batterien sind ein ganz wichtiges Element für den regionalen und kurzzeitigen Ausgleich. Durch die anhaltenden Preisdegressionen werden sie wirtschaftlich hochattraktiv. Die Kosten für Li-Io-Batteriespeicher reduzierten sich um das zehnfache in zehn Jahren. Das entspricht der typischen Lernkurve, wie man sie bei der Kommerzialisierung neuer technischer Produkte sieht. So bei Computern, Handys, Fernsehern und auch der Photovoltaik. Jede zweite neu installierte PV-Anlage wird inzwischen zusammen mit einem Heimspeicher verkauft. In den letzten drei Jahren sind die Preise für Heimspeicher um 40 Prozent gesunken. PV vom Dach zusammen mit Speichern wird billiger als der Transport von was auch immer. In drei Jahren müsste es soweit sein. Die Milliardeninvestitionen in HGÜ-Leitungen dürften ebenso Fehlinvestitionen werden wie neue Kohle- oder Gaskraftwerke oder Pipelines.

3. Schlüsseltechnologie: Erneuerbare Mobilität

Der Verkehrssektor war die letzten Jahrzehnte nicht gerade für seine Dynamik bekannt. Im Prinzip werden vorhandene Anbieter geschützt. Die umweltschädlichen Subventionen alleine im deutschen Verkehrssektor gehen inzwischen auf die 30 Milliarden Euro zu (UBA). Pro Jahr. Umweltschädliche Gaunereien wie Dieselskandal oder Kartellbildung, mit denen ein überkommenes Geschäftsmodell künstlich am Leben gehalten wird, nicht eingerechnet. Innovationen gab es fast nur pfadabhängig Richtung Dieselrennreisekombi. Mit dieser Stabilität ist es nun vorbei. Die alte Verkehrsordnung wird von allen Seiten einem Innovationsdruck ausgesetzt, der eine disruptive Transformation auslösen kann.

Ein herkömmliches Auto ist schreiend ineffizient: Die Motoren – das Herz des Automobils – wurden von der deutschen Automobilindustrie perfektioniert und bestehen aus bis zu 3.000 beweglichen Teilen. Bis zur Hälfte der Gesamtenergiebilanz geht für die Herstellung und das dafür notwendige Aluminium und Stahl drauf. Die zweite Hälfte ist der Sprit, der verfahren wird. Die Hälfte des Energiegehalts von Rohöl wiederum geht beim Suchen, Fördern, Raffinieren, Transportieren und Verteilen drauf. Ist dann glücklich getankt, hat der Verbrennungsmotor beim Fahren einen Wirkungsgrad von theoretisch 50, realistisch vielleicht 20 Prozent. Also fährt im Durchschnitt ein Mensch mit über einer Tonne Gewicht mit einem Gesamteffizienzgrad von vielleicht fünf Prozent durch die Gegend. 95 Prozent des ursprünglichen Energiegehalts der Kohle für die Herstellungsprozesse und des Rohöls zum Fahren heizen die Umwelt.

Ein Elektromotor besteht aus nicht mal 30 beweglichen Teilen, ist einfach zusammenzubauen, hält ewig (Tesla macht den ersten Kundendienst nach sechs Jahren) und wandelt Strom zu 90 Prozent in Bewegungsenergie um.

Wenn jetzt noch der Strom dezentral und erneuerbar erzeugt wird und die Grenzkosten dieser Stromerzeugung gegen Null gehen frage ich mich, wer noch einen teuren, Gifte emittierenden und lauten Verbrenner will. Ab ungefähr 2020 wird es günstige EVs global für rund 15.000 US-Dollar geben. Das bedeutet, dass ab 2020 möglicherweise alle neugekauften Autos elektrisch sein werden. Das könnte ähnlich laufen wie bei den ersten erschwinglichen Farbfernsehern, die innerhalb von 10-15 Jahren flächendeckend die Schwarz-Weiß-Fernseher ablösten.

Die Deutsche Post wollte im Jahr 2012 gut 1.000 kleine Elektro-Lieferwagen für die sogenannte letzte Meile im Nahverkehr. Keine der deutschen Automobilperlen wollte so was bauen, also baute Die Post die Flotte selbst. Inzwischen liefern bereits 3.000 dieser Streetscooter in deutschen Städten aus. Der Post-Vorstand erkannte die Nische der grünen Logistik und plant den Bau von zehn Werken weltweit mit dem jährlichen Produktionsziel von 100.000 Streetscootern. So fix geht das, wenn man keinen Verbrennungsmotor mehr braucht.

In China wurden im vergangenen Jahr erstmals mehr als eine halbe Million Elektrofahrzeuge verkauft, meist heimische Produktion. Elektrobusse kommunizieren mit dem Stromnetz, um Schwankungen von Solar- und Windstrom auszugleichen. Im zweitgrößten Automarkt der Welt, den USA, stieg der Verkauf von EVs 2016 um 38 Prozent auf 160.000 Stück. Tesla ist seit 2013 der in den USA meistverkaufte Luxuswagen. Mit einem Marktanteil von 30 Prozent fährt Norwegen Europa vorweg. Dort gibt es keine einheimischen Automobilhersteller, die geschützt werden müssen. Vergleicht man die Marktanteile, ergibt sich das Bild eines zwar wachsenden, aber doch noch sehr kleinen Marktsegments.

Um die anderen Verkehrsmittel nicht ganz unter den Tisch fallen zu lassen: Bosch hat die Kurve noch gekriegt und ist bei den E-Bike-Systemen heute Weltmarktführer. Von den Pedelecs wurden 2016 allein in Deutschland immerhin 600.000 verkauft. Es gibt bereits fast 40 verschiedene batterie- oder hybridelektrisch betriebene Flugzeuge und Helikopter, die bis zu drei Stunden in der Luft bleiben. Bauhaus Luftfahrt rechnet bis 2035 mit elektrisch betriebenen Großraumflugzeugen, die den deutschen Raum abdecken können.Autonome Schiffe mit PV auf dem Dach und einer Batterie statt Motor gibt es bereits. Noch fahren jeden Tag Millionen Fischer mit ihren Dieseln raus...

Autonomes Fahren und Digitaler Fortschritt

Der exponentielle Ausbau der solaren Energien, der Speicher und der Elektromobilität wäre ohne die Computerei nicht denkbar.

Unsere Autos verbringen 96 Prozent ihres Lebens mit Parken und Parkraum wird immer teurer. EVs als Dienstleister können locker zu 90 Prozent ihres Daseins genutzt werden. Ähnlich wie Taxis, die ja auch von mehreren Fahrern in Schicht gefahren werden. Das Auto wird zur Dienstleistung. So wird die Fahrt mit Uber schon heute günstiger, wenn der Fahrgast zum Ride-sharing bereit ist, also auf einem Teilstück weitere Leute mitzunehmen. Das Ziel ist autonomer Taxi-Betrieb. BMW will autonomes Fahren in München bis 2021 zur Serienreife bringen. Zusammen mit Intel und Mobileye, dem führenden Hersteller von Kamera- und Sensorsystemen für autonomes Fahren mit Tiefenerfassung und 3D-Vermessung von Räumen - schneller als der Mensch es kann. Sie tun sich zusammen, um Alphabet und Apple auf Abstand zu halten. eMove360 erwartet bis 2020 ein Marktpotenzial für die Mobilität 4.0 von 115 Milliarden Euro – das Vierfache von heute.

Sogar fliegende Taxis sind im Test. Das sind auch nur größere Drohnen mit Real-Sense-Kameras, um Kollisionen zu vermeiden. Airbus mit Siemens gehen gerade in Singapur mit einem autonom fliegenden Lastenhelikopter an den Start. Technisch ist die autonome Fliegerei schon lange ausgereift. Flugzeuge sind mit Flughäfen so exakt vernetzt, dass bei Schlechtwetteranflügen mit Sichtweiten von unter 300 Metern gar nicht mehr von Hand gelandet werden darf, sondern von den Piloten das autonome Instrumentenlandesystem ILS benützt werden muss.

Alle Seeschiffe fahren autonom mit GPS-Navi. Ein Tempomat hält die Geschwindigkeit über Grund – unter Beachtung ablenkender Strömungen oder Winde. Radargeräte und Schiffserkennungssysteme suchen permanent das Wasser ab und schlagen bei Gefahr automatisch Alarm. Große Schiffe werden nach global standardisierten IMO-Richtlinien von einer zentralen Software ohne menschlichen Eingriff umgelenkt, wenn ein vom Frachter gefallener Container, der ebenfalls per GPS lokalisierbar ist, den Weg des Schiffes kreuzt. Technisch braucht man die Crew nur noch zum An- und Ablegen.

Innerhalb eingegrenzter Orte sind automatische Lenksysteme längst im Einsatz. Landmaschinen berechnen den optimalen Fahrweg beim Smart Farming, den sie spurgenau nachfahren – während der Bauer zuhause am Laptop sitzt. Pistenraupen verteilen den immer weniger werdenden Schnee über eine im Sommer eingelesene 3-D-Karte, die dem System im Winter punktgenau sagt, wie viel Schnee noch in dieser Senke liegt, der auf jenem Hügel gebraucht wird. Autonom fahrende Shuttles gibt es seit den 1970ern auf Flughäfen und als U-Bahnen. Linienbusse bekommen autonom Vorrang an Kreuzungen. Kommen sie auch noch autonom an den Haltestellen zum Stehen, sparen die Busunternehmen vor allem an neuen Reifen, weil der fehlerhafte Menschenfahrer öfter mal am Bordstein entlang schrammt.

Das ist doch was: Vom privaten Verbrenner hin zum Erlebnis einer vernetzten Mobilität, die vollständig auf Erneuerbaren Energien basiert. Dabei steht der Begriff Erneuerbare Mobilität dafür, dass die Angebote so organisiert sind, dass ineffizienter Verkehr vermieden wird. So kann man schnell und billig durch lebenswerte Räume sausen.

Auto-Akkus halten heute 160.000 km. Danach haben sie noch 80 Prozent ihrer Leistung und können neu konfiguriert werden. Dann halten sie nochmal 10-15 Jahre, bevor sie zu derzeit 95 Prozent recycelbar sind. Zur Stabilisierung der Verteilnetze tragen bereits kleine Speicherkapazitäten wie die einer Autobatterie bei. Wie viel mehr erst, wenn sie örtlich verdichtet in Flottenkonzepte eingebunden werden mit Firmen und Fuhrparks und den Streetscootern von der Post. Autos werden mit Häusern vernetzt.

Die Digitalisierung mit Künstlicher Intelligenz und Green Big Data hat das Potenzial, ein völlig neues öffentlich zugängliches Verkehrssystem entstehen zu lassen, das verschiedene Angebote in einem nahtlosen Gesamtnetz integriert und einfacher nutzbar ist als der PKW. Erneuerbare und Internet verschmelzen.

Offen ist, ob PKW mobile Individualkapseln bleiben oder es autonome Flotten geben wird, die man ruft wie heute das Taxi. Der Entwicklungspfad sollte bald und politisch entschieden werden. Beispielsweise müssen Gemeinden entscheiden, ob sie ihren öffentlichen Raum weiter für PKW-Spuren und -Standplätze reservieren oder ihn für Sharing statt Besitz nutzen wollen. Hier geht´s um Flächengerechtigkeit. Mit dem sorglosen Autofahren in Einzelfahrzellen kann auch als Rebound-Effekt immenser Mehrverkehr erzeugt werden. Diese Gefahr ist da! Kann aber gebannt werden.

Wir müssen in Deutschland die Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen erhöhen, um an neuen Akku-Generationen und dem ganzen High-tech zu basteln. Wir brauchen öffentliche Schaufenster, die Umstellung von Behördenfuhrparks, Vorzeigestädte wie Graz und die Bündelung der KMU. Im Mittelstand stehen viele neue Player mit guten Ideen in den Startlöchern. Subventionen fließen ja jährlich in zweistelliger Milliardenhöhe, nur bremsend in die falschen Kanäle der Old Diesel Industry.

Fazit

Auf die geschilderten disruptiven Entwicklungen können wir uns freuen. Unsere Städte werden leiser, die Luft reiner, die Lebensqualität zunehmen. Mobilität wird geschmeidiger und spottbillig. Saubere Luft macht glücklich.

Bitter wird es für die alte Welt. Die Automobilkonzerne haben viel Geld und können durch Schrumpfen überleben – ähnlich wie es E.on oder RWE derzeit durch Aufspaltungen versuchen. Brutal wird es für die mittelständischen Zulieferbetriebe, die auf Motorteile wie Getriebe, Vergaser, Kupplungen oder Kolben spezialisiert sind, die einfach nicht mehr gebraucht werden. Oder die 40.000 KfZ-Werkstätten allein in Deutschland, deren Hauptaufgabe das Warten von Verbrennungsmotoren ist. Je später sie sich neue Geschäftsfelder suchen, desto härter werden die wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbrüche.

Alles ist startklar zum Aufbruch in die Informations-Technologie-Disruption: Die Erneuerbaren Energien, die Speicher, die Digitalisierung und die autonom fahrenden Elektrofahrzeuge. 2030 kann das alles schon vollzogen sein.

Dr. Axel Berg ist Vorsitzender des Vorstands der deutschen Sektion von EUROSOLAR.




energiezukunft