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Die Meinung
11. April 2016

Energiespeckgürtel – Kommunen bringen die Energiewende voran

Speckgürtel im ursprünglichen Sinn sind in der Fitness-Gesellschaft mega out. Als regionale Energiespeckgürtel im ländlichen Raum können sie allerdings zum Fundament einer zukunftsfähigen Energieversorgung in Deutschland werden. Baden-Württemberg kann dabei zur Modellregion werden.

Jörg Dürr-Pucher Deutsche Umwelthilfe Präsident Bodensee-Stiftung

Jörg Dürr-Pucher Deutsche Umwelthilfe Präsident Bodensee-Stiftung
Jörg Dürr-Pucher (Deutsche Umwelthilfe) ist der Präsident der Bodensee-Stiftung.  (Foto: Jörg Dürr-Pucher)
Jörg Dürr-Pucher (Deutsche Umwelthilfe) ist der Präsident der Bodensee-Stiftung. (Foto: Jörg Dürr-Pucher)

11.04.2016 – Der Energiespeckgürtel bezeichnet ein Konzept, in dem Land- und Forstwirte, Betreiber von Biomasseheizkraftwerken, Windparks und Freiland-Solarstromanlagen nicht nur Strom und Wärme für den ländlichen Raum bereitstellen, sondern darüber hinaus die Städte ihrer Region mit Energie beliefern. Energiespeckgürtel bieten der Landbevölkerung eine wirtschaftliche Zukunft mit Arbeitsplätzen und regionaler Wertschöpfung. Sie leisten auch einen Beitrag zur Lösung vieler Strukturprobleme einer im Umbruch befindlichen Industriegesellschaft mit tendenziell immer weniger Grundstoffindustrie und Industriearbeitsplätzen. Die wichtigsten Umsetzungsschritte in den nächsten zehn Jahren werden im Bereich des dezentral regenerativen Aufbaus der Energieversorgung an Land sein. Neben der Strombereitstellung wird auch die Wärme- und zukünftig im Hochsommer die Kälteversorgung sichergestellt sein müssen. Das bietet eine ungeheure Chance für den ländlichen Raum.

Die Strom- und Wärmeerzeugung aus regenerativen Quellen ist auf dem Vormarsch!

Auch Baden-Württemberg geht diesen Weg und hat das Ziel vorgegeben bis 2050 rund 80 Prozent der Energieversorgung aus erneuerbaren Energiequellen decken zu wollen. Das gelingt, wenn Energie zukünftig stärker eingespart und Ressourcen effizient genutzt werden. Die effiziente Nutzung von Ressourcen ist vor allem im Bereich Bioenergie wichtig. In keinem anderen Bereich der Erneuerbaren Energieträger ist die Flächenkonkurrenz so sichtbar wie in diesem.

Die Bioenergiedörfer in Baden-Württemberg zeigen wie es gehen kann. Dort wird in vielen Fällen einen Überschuss an Strom und Wärme produziert. Besonders Ressourceneffizient und aus naturschutzfachlicher Sicht auch wünschenswert ist die Kombination aus Stromproduktion der Biogasanlage mit der Nutzung überschüssiger Wärme für ein Nahwärmenetz. Die landwirtschaftliche Biomasse wird so bestmöglich eingesetzt. Zusätzliche Holzhackschnitzelkessel, die eine zuverlässige Wärmeversorgung auch an den kältesten Wintertagen garantieren, werden von regionalen Holzhändlern mit Holz aus der Region beliefert, was wiederum positiv für die regionale Wertschöpfung ist. Dabei sind Nahwärmenetze mit Biogasanlagen erst der Beginn. Heute schon werden die Wärmepotentiale aus der Industrie oder von solarthermischen Anlagen genutzt. Das schont Ressourcen.

Weitere Standbeine für Gemeinden im ländlichen Raum

Darüber hinaus bietet der ländliche Raum nicht nur die Möglichkeit Bioenergie bereitzustellen, sondern kann besser Strom aus Sonne und Wind produzieren als die Ballungsräume. Hier werden die dezentralen Kraftwerke der Zukunft stehen und den dringend benötigten regenerativen Strom für die Städte bereitstellen. Politisch, wirtschaftlich, vor allem aber regionalplanerisch ist die Bereitstellung dieser Kapazitäten eine ungeheure Herausforderung. Die Vereinbarkeit mit den weiteren Leistungen des ländlichen Raums, insbesondere dem Natur- und Landschaftsschutz, der Produktion von Nahrungsmitteln und der Erholungsfunktion ist eine große Aufgabe und erfordert Augenmaß.

Die aktuell wichtige Diskussion der Versorgung von Regionen durch 100 % Erneuerbare Energien ist damit so etwas wie eine Durchgangsdebatte. Sie muss über sich hinausweisen. Eine zukunftsfähige, Erneuerbare Energien Strategie, die auch den Bau von Autos in Stuttgart, Maschinenbau am Bodensee oder Softwareentwicklung in Mannheim auf der Grundlage regenerativer Energien einschließt, muss um diese industriellen Ballungsräume Energiespeckgürtel des ländlichen Raumes legen. Die Gemeinden dort müssen das zehn- bis zwanzigfache ihres Strombedarfes produzieren.

Energiesparen wird zum Schlüssel des Erfolges

Gänzlich ohne Konflikte wird diese Entwicklung nicht gehen. Um die landschaftliche Schönheit Baden-Württembergs und den Reiz seiner Regionen im badischen wie auch im schwäbischen erhalten zu können, muss der Energieverbrauch durch Energieeinsparmaßnahmen deutlich sinken. Das ist die Voraussetzung, damit ein Großteil des Stromes, der Wärme und des Treibstoffes dezentral und regenerativ hergestellt werden kann. Dazu kommt, dass neben den nötigen Ausbaustrategien auch Strategien entwickelt werden müssen, die den Ausgleich zwischen dem ländlichen Raum und den Ballungsgebieten beschreiben. In einem dauerhaft angelegten Dialogprozess ist die Politik gefordert mit den Bürgerinnen und Bürgern nach Wegen zu suchen, die einerseits die Akzeptanz für den weiteren Ausbau von regenerativen Energien fördern aber auch die Bereitschaft für ein verändertes Energieverhalten unterstützen.

Die Chancen einer solchen Entwicklung liegen auf der Hand. Wertschöpfung, Arbeitsplätze und wirtschaftlicher Aufschwung könnten den vom demografischen Wandel betroffenen ländlichen Räumen neue Impulse geben. Neue Arbeitsplätze können entstehen. Land- und Forstwirte sind zukünftig nicht nur Lebensmittelerzeuger oder Holzproduzenten, sondern auch Energiewirte. Kraftwerksbetreiber, Wartungs-, Planungs- und Ingenieursunternehmen wären dauerhaft und nicht nur während der Bauphase von Anlagen im ländlichen Raum aktiv. Die Stadt ihrerseits kann sich auf eine sichere Energieversorgung aus dem Umland verlassen und verpflichtet sich weitere Anstrengungen für ein suffizientes Energieverhalten zu unternehmen. Vertragliche Vereinbarungen könnten die Lasten und Vorteile zwischen „Stadt und Land“ zu einem fairen Ausgleich bringen.

Klimaschutz profitiert

Ganz selbstlos ist das Konzept der Energiespeckgürtel nicht. Aber nicht alleine die wirtschaftlichen Vorteile oder die Aussicht auf regionale Wertschöpfungsketten dürfen hier betrachtet werden. Vielmehr liegt es in der Verantwortung jedes Einzelnen einen Beitrag zu leisten, den Klimawandel zu verlangsamen. Das Konzept „Energiespeckgürtel“ löst sicher nicht alle Energieprobleme unseres Landes. Aber intelligent mit anderen Komponenten wie Offshore Windparks und solarthermischen Kraftwerken im Süden verbunden, kann es zu einem wichtigen Baustein des Energiesystems der Zukunft werden und den CO2-Austoß senken.

Die Bodensee-Stiftung handelt

Das Projekt „Gute Bioenergiedörfer in Baden-Württemberg“ der Bodensee-Stiftung setzt genau an der Schnittstelle zwischen der Bereitstellung von Energie für Ballungsräume und der effizienten Nutzung von Erneuerbaren Energiepotentialen an. Kommunen im ländlichen Raum sollen für diese vorhanden Potentiale sensibilisiert werden und so am Beginn einer Wertschöpfungskette stehen. Innovative aber umsetzbare Konzepte wie die integrierte Festbrennstoff- und Biogasproduktion (IFBB) zeigen Wege auf, wie zum Beispiel Straßenbegleitgrün oder Landschaftspflegematerial zu einem wertvollen Energieträger veredelt werden kann statt es kostenpflichtig zu entsorgen oder zu kompostieren. Lösungen für Kommunen, die ausschließlich auf die Ressourcen vor Ort zurückgreifen, liefern einen nachhaltigen und ökologischen Baustein, der aus dem ländlichen Raum einen Energieexporteur macht und so die Energiezukunft des Landes Baden-Württemberg sicherstellt.

Jörg Dürr-Pucher (Deutsche Umwelthilfe) ist der Präsident der Bodensee-Stiftung.




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