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Die Meinung
02. November 2015

Schneller Neubau muss trotzdem energieoptimiert sein

Derzeit tobt im politischen Berlin eine heftige Debatte darum, ob ein Aussetzen der Verschärfung der Energieeinsparverordnung, die zum 1. Januar 2016 geplant ist, notwendig ist, um schneller Wohnungen bauen zu können. Neue Wohnungen werden für Flüchtlinge gebraucht, aber nicht nur für sie.

Pia Grund-LudwigChefredakteurin Online-Magazin EnBauSa.de

Pia Grund-LudwigChefredakteurin Online-Magazin EnBauSa.de
Pia Grund-Ludwig ist Chefredakteurin des Online-Magazins EnbauSa.de
Pia Grund-Ludwig ist Chefredakteurin des Online-Magazins EnbauSa.de

02.11.2015 – Seit Jahren bleibt der Wohnungsbau ohnehin hinter dem Bedarf zurück, Zahlen dazu hat die Bundesregierung vor kurzem im "Wohngeld- und Mietenbericht 2014" vorgelegt. Wäre nun ein Absenken der energetischen Standards ein entscheidendes Mittel, um hier voranzukommen? Ich bin da sehr skeptisch und fürchte, dass wir damit auf lange Frist zu einem „neuen“ Gebäudebestand kommen, mit dem wir die Klimaziele nicht erreichen.

Glücklicherweise hat auch die Bauministerkonferenz Ende Oktober erst einmal gesagt, dass es mit der EnEV weitergeht wie geplant. Und gefordert, dass statt einer Verschiebung der Verschärfung über eine Konsolidierung von EnEV und Wärmegesetz nachgedacht wird. Wie heute gebaut wird, bestimmt den Energieverbrauch für mindestens die nächsten 30 Jahre. Nun kann man argumentieren, dass die Wohnungsnot so drängend ist, dass man das vorübergehend in Kauf nehmen muss. Das ist aber meiner Meinung nach ein Trugschluss.

Aber eines nach dem anderen: In der Sanierung verstehe ich die Diskussion um die EnEV ohnehin nicht. Niemand wird gezwungen etwas zu tun, was unwirtschaftlich ist, auch nicht durch die EnEV. Das Wirtschaftlichkeitsgebot gilt. Und es gibt so viele Ausnahmen und Schlupflöcher und eine so geringe Kontrolle des Vollzugs, dass ich die Bedenken nicht nachvollziehen kann.

Und im Neubau? Ein enormer Bedarf an Wohnungen, vor allem für Menschen mit mittleren bis geringen Einkommen ist in einigen Regionen, vor allem in Groß- und Universitätsstädten ohne Zweifel da. Vor allem für diese Bevölkerungsgruppen aber nun Wohnungen zu bauen, die mehr Energie brauchen als nach dem heutigen Stand der Technik möglich, halte ich für äußerst fragwürdig und fast schon zynisch. Schicke Smart Homes und Plusenergiehäuser für die Gutverdiener und Energieschleudern für die, die auf Sozialwohnungen oder niedrige Mieten angewiesen sind, scheint mir nicht besonders nachhaltig zu sein. Und wenn man neu baut, halten sich bei guter Planung die Kosten für Energieeffizienz ohnehin in Grenzen.

Was passiert, wenn die Energiekosten wieder steigen? Dann muss es für jetzt gebaute Gebäude über Jahrzehnte hohe Heizkostenzuschüsse geben, damit Menschen mit niedrigem Einkommen nicht im Kalten sitzen. Wollen wir das, mal ganz abgesehen von der Klimabilanz? Und wenn das Argument stimmt, dass die Verschärfung so furchtbare Auswirkungen hat, warum wird jetzt, bei niedrigeren Standards, dann nicht auf Teufel komm raus gebaut?

Mein Eindruck: Einige Lobbyisten, die für eine Absenkung der energetischen Standards eintreten, verfolgen eine ganz andere Agenda. Auf die Spitze getrieben hat es dabei die bayrische Ziegelindustrie. Laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel will sie die Flüchtlingsdebatte nutzen, um die Verschärfung der EnEV zu verschieben, weil mit vielen Ziegeln nicht so gebaut werden kann, wie es nach der Verschärfung notwendig wäre. Einen entsprechenden Vorschlag hat die bayrische Landesregierung in die Bauministerkonferenz eingebracht. „Die sich jetzt bietende Gelegenheit dürfen wir nicht verstreichen lassen!“ zitiert Der Spiegel aus einem Brief des Hauptgeschäftsführers der bayrischen Ziegelindustrie Manfred Zehe.

Und warum denkt man statt einer Senkung der Energiestandards nicht stärker über modulare Bauweise nach? Über ein Beispiel aus Wien haben wir auf EnBauSa.de berichtet. Dort ist ein Studentenwohnheim aus Passivhausmodulen entstanden. Die sehen noch dazu schick aus, denn Energieeffizienz darf auch im Neubau nur ein Kriterium sein. Wir wohnen schließlich nicht, um Energie zu sparen, sondern brauchen Wohnungen, in denen wir uns wohl fühlen, die gesund sind und auch noch in 50 Jahren eine Bereicherung für das Stadtbild sind.

Sind die Energiestands überhaupt dafür verantwortlich, dass wenig gebaut wird? Wenn dies der Fall ist, müssen für Flüchtlingswohnungen Ausnahmen möglich sein, keine Frage. Aber sie machen nur dann Sinn, wenn sie in ein Konzept eingebunden sind. Was kann mit den Gebäuden mittel- und langfristig geschehen? Hier muss es mehr Mitsprache durch die Kommunen geben, um zu vernünftigen Entscheidungen zu kommen.

Ein Vorschlag zu einer relativ schlanken Änderung der Energieeinsparverordnung kam unlängst aus Baden-Württemberg, und zwar Mehraufwendungen und ersparte Heizkosten über zehn Jahre gegenzurechnen, und dann gegebenenfalls Abweichungen zuzulassen, eben wirtschaftlich zu denken. Und ganz ehrlich: Weder die Debatte um Flüchtlinge noch die Notwendigkeit, unsere Gebäude fit zu machen für die Energiewende taugen für Populismus und Geldmacherei.

Wir schaffen das, sagt Angela Merkel. Ja. Aber dann müssen wir beim Wohnungsbau umsteuern. Nicht in Richtung billige Sparbauten, sondern mit mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau, und zwar auf einem energetisch zukunftsfähigen Niveau. Schaffen Sie das, Frau Kanzlerin?

Pia Grund-Ludwig ist Chefredakteurin des Online-Magazins EnbauSa.de.




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