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Die Meinung
28. September 2015

Stärkere Ambitionen gefragt

Die Divestment-Bewegung schafft öffentlichen Druck, um das Zeitalter der fossilen Brennstoffe zu beenden. Das Wunderbare: Menschen können in ihrem Wohnort aktiv werden, ob in Buxtehude oder Berlin. Inzwischen ist Divestment eine an Einfluss gewinnende Taktik in der deutschen Klimabewegung geworden.

Tine LangkampKoordinatorin derDivestment-Kampagne in Deutschland

Tine LangkampKoordinatorin derDivestment-Kampagne in Deutschland
Tine Langkamp ist Koordinatorin der Divestment-Kampagne in Deutschland für die Organisation 350.org. (Bild: Tine Langkamp)
Tine Langkamp ist Koordinatorin der Divestment-Kampagne in Deutschland für die Organisation 350.org. (Bild: Tine Langkamp)

28.09.2015 – Der Klimagipfel in Paris im Dezember 2015 – ein wichtiger Moment für die international wachsende Klimabewegung. Allen ist klar: Die Ambitionen müssen erhöht werden, um ein bedeutungsvolles internationales Klimaabkommen zu erzielen. In Deutschland und weltweit macht die Bewegung Druck, um das Zeitalter der fossilen Brennstoffe zu beenden. Denn seit Jahren bestätigt uns die Wissenschaft, dass wir die Lösungen zur Hand haben, wir müssten nur jetzt entschieden handeln, um nicht an den Punkt zu kommen, an dem die Auswirkungen des Klimawandels unkontrollierbar und absolut katastrophal werden.

Das fossile Zeitalter neigt sich dem Ende entgegen. Zuletzt haben sich selbst die Staatschefs der G7 für eine Dekarbonisierung der Wirtschaft ausgesprochen. Und während dieser Entwicklungen gewinnt eine neue Strategie enorm an Stärke: Divestment.

Die Divestment-Bewegung schafft öffentlichen Druck

Wenn es falsch ist das Klima zu zerstören, dann ist es auch falsch von dieser Zerstörung zu profitieren. Unter diesem Motto finden sich Menschen überall auf der Welt zusammen und fordern den Abzug von Geldanlagen in den fossilen Energiesektor. Unter dem Namen Fossil Free startete die Divestment-Kampagne im Herbst 2012 in den USA und ist inzwischen in Neuseeland, Australien, Kanada und Europa aktiv. Neue Divestment-Kampagnen in Südafrika, Japan und auf den Philippinen geben Hoffnung und Inspiration. Die dynamische und kreative Bewegung wächst stetig. Innerhalb von nicht einmal drei Jahren gründeten Freiwillige weltweit über 600 Fossil Free Initiativen.

Das Wunderbare an der Kampagne: Menschen können in ihrem Wohnort aktiv werden, ob in Buxtehude oder Berlin. Überall finden sich Institutionen, die im Namen der Bürger*innen Gelder anlegen - Kommunen Universitäten, Kirchengemeinden, berufsständische Versorgungswerke oder Banken investieren über Unternehmensbeteiligungen oder Aktienfonds in klimaschädliche Kohle-, Erdöl- und Erdgasunternehmen. Die Menschen um Fossil Free sind aktiv, um sich gegen eine Industrie zu stellen, welche die Klimakrise vorantreibt und seit Jahren erfolgreiche Klimapolitik verhindert, um weiter mit business-as-usual ihren Profit zu maximieren. Wenn es nach den Fossilen geht, steuern wir volle Kraft voraus auf 6 bis 8 Grad Celsius globale Erwärmung zu.

Carbon Bubble - Die Kohlenstoffblase

Die Kommunen setzen dabei – wissentlich oder nicht – nicht nur das Klima aufs Spiel. Es besteht ein beträchtliches Finanzrisiko: die Carbon Bubble oder Kohlenstoffblase. Angesehene Expert*innen wie der britische Ökonom Lord Stern, die britischen Banken HSBC und Citi, die Internationale Energieagentur, Standard & Poor's, Forbes, Bloomberg, die London School of Economics, die Smith School der Universität Oxford und die Deutsche Bank warnen, dass Kohle-, Öl-, und Gasunternehmen massiv überbewertet sind. Sie drohen als sogenannte stranded assets an Wert zu verlieren. HSBC spricht beispielsweise davon, dass 40 bis 60 Prozent des Börsenkapitals von Öl- und Gasunternehmen auf dem Spiel stehen.

Stranded assets sind bei RWE beispielsweise bereits Realität. Im letzten Jahr musste RWE 4,8 Milliarden Euro auf seine Kohle- und Gaskraftwerke abschreiben und machte Verluste von über 2,8 Milliarden Euro. Das hat die deutschen Kommunen hart getroffen. Denn insgesamt 86 deutsche Städte und Kommunen halten insgesamt etwa 25 Prozent des Energiekonzerns RWE, der größten CO2-Schleuder Europas. Die Prognosen für 2015 sehen ähnlich schlecht aus. Trotzdem halten viele Kommunen an RWE fest.

Die Divestment-Bewegung in Deutschland

In den vergangenen Monaten ist Divestment eine anerkannte, an Einfluss gewinnende Taktik in der europäischen und deutschen Klimabewegung geworden. Mittlerweile gibt es Fossil Free Gruppen in 18 deutschen Städten und wöchentlich schließen sich neue Klimabewegte an. Das Medieninteresse reißt nicht ab, denn die kleinen und großen internationalen Divestment-Erfolge geben der Bewegung hierzulande Energie, Inspiration und Hoffnung - ob der Norwegische Pensionsfond, die University of Warwick, Boxtel oder Örebro - sie alle zeigen, dass Divestment möglich ist, wenn sich engagierte Menschen zusammenschließen. Die globalen Aktionstage People's Climate March und Global Divestment Day waren Meilensteine für das globale Netzwerk von Fossil Free Aktivist*innen, die mit Idealismus, Ausdauer und Überzeugung voranschreiten.

Heute blicken wir mit Spannung und Aufmerksamkeit auf die Stadt Münster, wo der erste kommunale Divestment-Beschluss Deutschlands kurz bevor steht. Fossil Free Berlin wird weiter auf Bürgermeister Müller einwirken, damit er sich öffentlich hinter die Divestment-Bewegung stellt. Und in naher Zukunft erwarten wir weitere Divestment-Entscheidungen von Kommunen mit RWE-Beteiligungen, wegen der finanziell desaströsen Lage des Konzerns, aber besonders auch wegen des wachsenden Netzwerks aus Aktiven in NRW, die nicht mehr mit ansehen wollen, dass ihre Stadt, Geld in den Klimakiller steckt.

Sektorenübergreifend und wirksam

Es mag überraschend sein, dass auch immer mehr Studenten laut ausrufen: „Kein Geld mehr für Kohle, Öl und Gas!" Nur wenigen ist bekannt, dass auch in Deutschland zahlreiche Hochschulen Stiftungsvermögen und Finanzanlagen in Millionenhöhe verwalten. Wir hoffen auf die Universität Freiburg, die bereits positiv auf die Ideen und Forderungen der lokalen Fossil Free Gruppe reagiert hat. Heidelberg, Münster, Bayreuth, Tübingen und mehr Hochschulen werden folgen, denn die Menschen bei Fossil Free lassen nicht nach.  

Eine besonders erfreuliche Nachricht der letzten Monate ist der Start einer Kampagne, die die Berliner Ärzteversorgung auffordert, zu deinvestieren. Auch der Vorstand der Bundesärztekammer wird sich nach einem Beschluss nun mit dem Thema Divestment auseinandersetzen. Und seit Kurzem beschäftigen sich Journalist*innen mit den Anlagestrategien ihres Versorgungssystems. Im kirchlichen Bereich wird das Thema weiter diskutiert und nimmt Gestalt an. Banken und Versicherer sind schon lange im Blickfeld von unseren Partnerorganisationen. Die großen Kohleinvestoren Deutsche Bank und Allianz werden in den kommenden Monaten den steigenden öffentlichen Druck zu spüren bekommen.

Auch Du kannst aktiv werden

Von der eigenen Lebensrealität aus betrachtet scheint es oft schwer zu sein, gegen den Klimawandel anzugehen. Die Finanzaktivitäten der eigenen Stadt, Universität oder Kirche sind dagegen konkret, und direkt vor Ort beeinflussbar. So kann jeder Interessierte eine lokale Kampagne starten und einen offenen Brief an den Stadtrat und den bzw. die Bürgermeister*in schicken. Natürlich kannst Du unsere Plattform auch nutzen, um deine Kirche, deine Uni oder eine andere Institution von Divestment zu überzeugen. Die Bewegung wird die fossile Industrie nicht in den Bankrott treiben. Aber sie kann ihrem Ruf schaden, ihr die soziale Akzeptanz und damit politischen Einfluss entziehen. Damit wir endlich die Weichen für eine lebenswerte Zukunft stellen können. Wir werden der Tatenlosigkeit von politischen Entscheidungsträger*innen unsere Präsenz und unsere Überzeugung entgegensetzen!

Tine Langkamp ist Koordinatorin der Divestment-Kampagne in Deutschland für die Organisation 350.org. Die 30-Jährige lebt in Münster und ist, wie sie selber sagt, leidenschaftliche Aktivistin und Teil der wachsenden Klimabewegung.




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