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Die Meinung
07. April 2014

Wo geht er hin, der Ökostrom von nebenan?

Wie könnte ein ökologisches Vermarktungsmodell für Ökostrom aussehen, in dem das EEG-Konto entlastet und fluktuierender Strom sinnvoll ins Stromsystem integriert wird?

Oliver HummelVorstandNaturstrom AG

Oliver HummelVorstandNaturstrom AG
Oliver Hummel ist seit 2004 Geschäftsführer der Naturstrom AG, seit 2011 ist er Mitglied des Vorstands. (Bild: Naturstrom AG)
Oliver Hummel ist seit 2004 Geschäftsführer der Naturstrom AG, seit 2011 ist er Mitglied des Vorstands. (Bild: Naturstrom AG)

07.04.2014 – Der deutsche Ökostrommarkt ist ein Fall für Science-Fiction-Fans – hier gibt es echte Parallelwelten zu bestaunen. In der einen Welt, der der Stromproduktion, gibt es einen stetig steigenden Anteil der Erneuerbaren Energien. Gute 25 Prozent des Strombedarfs decken die Erneuerbaren mittlerweile. Windräder und Photovoltaikanlagen, die für den Löwenanteil des grünen Stroms sorgen, gehören in dieser Welt längst zum Alltag. Man muss nur offenen Auges durchs Land fahren. In der anderen Welt hingegen, der des Stromhandels, kommt Ökostrom aus großen, weit entfernten Wasserkraftwerken. Meistens aus Norwegen, zuweilen auch aus anderen Ländern Skandinaviens oder den Alpenländern. Dies ist die Welt der Ökostrom-Tarife.

Beide Welten passen nicht zusammen? Stimmt.

Grund für das Dilemma ist folgender Mechanismus des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG): Betreiber von Windparks, Photovoltaikanlagen, Wasser- und Biomassekraftwerken speisen ihren Strom ins örtliche Verteilnetz ein und erhalten im Gegenzug vom Verteilnetzbetreiber eine gesetzlich festgelegte Vergütung. Der Strom wird dann über die vier Übertragungsnetzbetreiber an der Strombörse in Leipzig verkauft. Dabei werden Strom und Umwelteigenschaft (Herkunftsnachweis) getrennt. Der EEG-geförderte Ökostrom geht im allgemeinen Stromsee unter, beim Endverbraucher kommt er als eigenschaftsloser Graustrom an. Über 80 Prozent des in Deutschland erzeugten Ökostroms stehen auf diese Weise nicht mehr für die Belieferung von Kunden, die Ökostrom explizit nachfragen, zur Verfügung.

Die so gesammelten Herkunftsnachweise werden verwendet, damit jeder Energieversorger seinen Stromkunden in der Stromkennzeichnung einen unspezifischen, virtuellen Anteil „Ökostrom gefördert nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz“ ausweisen kann. Die Stromkennzeichnung, die ursprünglich aus Verbraucherschutzgründen eingeführt wurde und dem Kunden zur Orientierung dienen sollte, welcher Händler welchen Strom verkauft, erfüllt diese Funktion so nicht mehr. Denn alle Energieversorger weisen den gleichen Anteil „Ökostrom gefördert nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz“ aus, ganz egal ob sie Ökostrom gekauft haben oder Atomstrom, ganz egal ob sie sich für die Energiewende einsetzen oder deren erbitterte Gegner sind.

Die Konsequenz: Verbraucher, die Ökostrom beziehen und die Energiewende voranbringen wollen, finden eine Tariflandschaft vor, die von intransparenten und ökologisch sinnlosen Angeboten überschwemmt ist. Solche Ökostrom-Tarife basieren auf Herkunftsnachweisen, die eine Stromerzeugung beispielsweise in norwegischen Wasserkraftwerken belegen. Mit solchen Nachweisen lässt sich für den Bruchteil eines Cents Strom aus fossilen Kraftwerken umetikettieren. In Norwegen, das seinen Strombedarf zu 96 Prozent aus Erneuerbaren Energien deckt, werden aufgrund des schwungvollen Handels mit Herkunftsnachweisen nur noch 23 Prozent grüner Strom in der offiziellen Stromkennzeichnung ausgewiesen. Der Rest geht auf dem Papier ins Ausland, vornehmlich nach Deutschland. Die Norweger stört der niedrige Öko-Anteil in ihrer Stromkennzeichnung vermutlich wenig. Sie wissen ja, woher ihr Strom kommt. Stromkunden in Deutschland wissen es nicht.

Der Windpark steht am Ortsrand, aber der Ökostrom stammt aus Norwegen: Diese Schieflage ist in Fachkreisen schon lange bekannt. Bei der Reform des EEG, die in einem straffen Verfahren bis zum Sommer durchgeboxt werden soll, findet das Problem jedoch keine Berücksichtigung. Im Gegenteil: Das u.a. von NATURSTROM genutzte Grünstromprivileg, das bislang einzige wirtschaftliche Modell zur direkten Belieferung von Endkunden mit EEG-Ökostrom und das solare Grünstromprivileg, welches die Versorgung vor Ort förderte, werden im aktuellen Gesetzesentwurf sogar gestrichen. Alternativen sind bisher nicht vorgesehen. Dezentralität, Akteursvielfalt und Verbraucherschutz stehen eindeutig nicht im Fokus des Gesetzgebers.

Dabei geht es bei weitem nicht nur darum, die Kluft zu schließen, die sich zwischen der Stromproduktion in EEG-vergütungsfähigen Kraftwerken und Ökostrom-Tarifen auf Basis norwegischer Wasserkraft-Zertifikate auftut. Eine regenerativ basierte Stromversorgung ist mehr als die Summe aus sauberen Kraftwerken und Stromleitungen. Sie fordert ein komplexes System, das noch in vielerlei Hinsicht weiter entwickelt werden muss. Dazu gehört an prominenter Stelle eine Transformation des Energiesystems mit einer besseren Integration fluktuierender erneuerbarer Energien in den Stromhandel. Stromversorger, die bei der Energiewende vorangehen wollen, müssen hierbei eine viel aktivere Rolle einnehmen können, als es ihnen derzeit möglich ist. Ökostrom-Tarife mit einem hohen Anteil aus fluktuierenden Quellen wie Sonne und Wind würden beispielsweise starke Anreize setzen, den schwankenden Verbrauch der Kunden und die schwankende Stromeinspeisung aufeinander abzustimmen. Im Kleinen können ambitionierte Stromversorger so bereits leisten, was das Gesamtsystem zukünftig leisten muss. Die Lerneffekte, die hier möglich sind, sollten wir uns nicht entgehen lassen.

Nicht zuletzt kann auch die Akteursvielfalt bei der Energiewende von besseren Vermarktungsoptionen für EEG-förderungsfähigen Strom an Endkunden profitieren. Viele Energiegenossenschaften und einige Ökostromanbieter überlegen derzeit, wie sie den Strom aus Bürger-Windparks und -Solaranlagen ihren Genossenschaftsmitgliedern und der Bevölkerung vor Ort anbieten können. Solche regionalen Versorgungskonzepte sollte der Gesetzgeber ermöglichen, anstatt ihnen von vornherein einen Riegel vorzuschieben. Für die Bürger-Energiewende wäre dies der nächste, logische Evolutionsschritt. Und auch für engagierte, innovative Stadt- und Gemeindewerke würden sich dadurch neue Möglichkeiten in der Region eröffnen.

Es fehlt also ein Modell im EEG, das

1.       eine Endkundenbelieferung mit Ökostrom aus klar definierten, hiesigen Anlagen ermöglicht,

2.       einen Beitrag zur Systemintegration fluktuierender Erneuerbarer Energien leistet,

3.       und die Akteursvielfalt bei der Energiewende fördert, indem Ökostromtarife mit regionalem Bezug ermöglicht werden.

All dies leistet das Ökostrom-Markt-Modell (ÖMM), das NATURSTROM gemeinsam mit Greenpeace Energy und den Elektrizitätswerken Schönau vorgestellt hat. Das Modell formuliert drei Kriterien. Wenn alle drei erfüllt sind, erhält der Energieversorger, der das Modell nutzt, für den in EEG-vergütungsfähigen Anlagen produzierten Ökostrom den entsprechenden Herkunftsnachweis. Diesen Herkunftsnachweis benötigt er, um den Strom als Ökostrom aus klar definierten Anlagen an seine Endkunden weitervermarkten zu können.

Die erste Komponente ist eine sogenannte Ökostrom-Zahlung an das EEG-Konto in Höhe von 0,25 Cent pro Kilowattstunde EEG-Strom. Diese Zahlung soll den Mehrwert des Ökostroms abbilden. Im Vergleich zu den unter 0,1 Cent pro Kilowattstunde, die im Verlauf des letzten Jahres für Herkunftsnachweise aus norwegischer Wasserkraft fällig waren, kommt der Öko-Eigenschaft im ÖMM also ein deutlich höherer Wert zu. Die Zahlung fließt dabei wie gesagt direkt ans EEG-Konto und entlastet es somit.

Die zweite Komponente besteht im Anteil des fluktuierenden EEG-Stroms im Mix des Energieversorgers. Dieser muss mindestens so hoch sein, wie der Anteil des EEG-Stroms, den jeder andere Haushalts- oder Kleingewerbekunde auch auf seiner Rechnung ausgewiesen bekommt. Der Mehrwert im ÖMM besteht hier also darin, gegenüber der EEG-Quote, die ja auch regelbaren Ökostrom z. B. aus Wasserkraft enthält, überdurchschnittlich hohe Mengen an fluktuierendem Ökostrom zu integrieren – eine anspruchsvolle Aufgabe für die Energieversorger.

Die dritte Komponente besteht in der Anforderung, die Stromerzeugung aus den Photovoltaik- und Windkraftanlagen zeitgleich für die Versorgung der eigenen Kunden zu nutzen. Gelingt das nicht, muss der Energieversorger für die Mengen, die er nicht bei seinen Kunden unterbringen kann, eine Art Strafe auf das EEG-Konto zahlen. Diese Integrationszahlung beträgt zwei Cent pro Kilowattstunde Überschussstrom. Dadurch entsteht ein starker zusätzlicher Anreiz, Überschussmengen durch Steuerung der Nachfrage oder der Erzeugung zu vermeiden.

Ein zentraler Punkt in der Diskussion neuer Vermarktungsmodelle ist immer die Frage, ob sie das EEG-Konto belasten. Das passiert beim ÖMM nicht. Durch die Ökostrom- und die Integrations-Zahlung führt es gegenüber den derzeitigen Standards in der Direktvermarktung sogar zu einer Entlastung des EEG-Kontos.

Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber doch noch den Schritt vom Science-Fiction zur Realität wagt und auch beim Ökostrom in Deutschland endlich zusammenführt, was zusammengehört: Erzeugung und Kundenbedarf.

Oliver Hummel kam 2001 zur NATURSTROM AG. Seit 2004 ist er als Geschäftsführer für den Energiehandel verantwortlich, seit 2011 Mitglied des Vorstands. Die NATURSTROM AG erhielt 2013 den Europäischen Solarpreis für ihr Engagement bei der Systemintegration der Erneuerbaren im Ökostromhandel.




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