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Die Meinung
16. November 2015

Wohnen wir noch oder leben wir schon?

Man sagt ja manchmal ganz fassungslos: „In was für einer Welt leben wir eigentlich?“ Ich möchte heute mal eine andere Frage stellen: „In was für einer Stadt leben wir eigentlich?“ Und direkt im Anschluss: „In was für einer Stadt würden wir gerne leben?“

Katharina UhligÜbersetzerin für Umweltthemen

Katharina UhligÜbersetzerin für Umweltthemen
Katharina Uhlig arbeitet freiberuflich als Übersetzerin und unterrichtet an Schulen zu den Themen Nachhaltigkeit, Konsum und Klimawandel.
Katharina Uhlig arbeitet freiberuflich als Übersetzerin und unterrichtet an Schulen zu den Themen Nachhaltigkeit, Konsum und Klimawandel.

16.11.2015 – Dass es sinnvoll ist, in Großstädten zu wohnen, sei jetzt mal als selbstverständlich da-hingestellt: Zum einen ergibt es ökologisch gesehen Sinn, viele Leute auf relativ engem Raum zu bündeln, weil so weniger Land beansprucht wird, die Wege kürzer sind, in Mehrfamilienhäusern weniger Kosten für Heizung und die generelle Infrastruktur anfallen etc. Zum anderen hat man in der Stadt alles, was man braucht: Arbeitsplätze, Kindergärten, Schulen, Geschäfte, Ärzte, Kultur.

Aber seien wir mal ehrlich: Würde man Kinder fragen, wie sie sich ihre ideale Lebenswelt vorstellen – würden sie eine Stadt malen wie Berlin, Köln oder Frankfurt? Würden wir Erwachsenen das tun?

Man müsste nur mal ein paar junge Familien befragen: Viele Paare ziehen aus der Stadt wieder aufs Land (oder zumindest in den Speckgürtel), sobald sie Nachwuchs erwarten. Natürlich – sie wollen eine sichere, natürliche Umgebung für ihre Sprösslinge, eine nette Nachbarschaft mit anderen Kin-dern, sodass alle unbeschwert draußen zusammen spielen können. Andererseits fehlen einem auf dem Land die Vorteile der Stadt, die Infrastruktur, die Kultur, die kurzen Wege.

Daher die Frage: Gibt es keinen Mittelweg? Stadtteile, die ein bisschen „Dorfcharakter“ zurücker-halten, sodass einerseits die Gemütlichkeit und auch soziale Anbindung eines kleineren Ortes entstehen, man aber andererseits alle Vorzüge der Stadt nutzen kann?

Bestes Beispiel für ein solches (gelungenes!) Projekt ist das Quartier Vauban in Freiburg, ein eigen-ständiges Viertel mit über 5.000 Bewohnern. Dieses entstand auf einem ehemaligen Kasernengelände, auf dem bis 1992 französische Soldaten stationiert waren. Die Stadt schrieb daraufhin 1994 einen städtebaulichen Wettbewerb aus, wobei sie sehr auf ökologische Bauweise und Bürgerbeteiligung sowie eine bewohnergerechte Planung achtete, weshalb 70 Prozent der Grundstücke von Baugruppen und -genossenschaften und nur 30 Prozent von Bauträgern bebaut wurden. Für den Bau der Häuser an sich wurden bestimmte Regeln aufgestellt (bspw. dass sie maximal vierstöckig und keine freistehenden Einfamilienhäuser darunter sein durften), aber die Gestaltung sonst nicht weiter normiert, so dass ein sehr buntes Viertel entstanden ist. Es gibt zwei Großgaragen, die Straßen sind größtenteils autofrei; im Viertel gibt es Einkaufsmöglichkeiten, Gastronomie und ein Stadtteilzentrum. Außerdem gibt es einen zentralen Marktplatz für Feste und einen regelmäßigen Wochenmarkt, soziale Einrichtungen und ein Studentenwohnheim.

Natürlich ist es einfacher, wenn so etwas von Anfang an entsprechend geplant wird und nicht ein bestehendes Viertel umgestaltet werden muss. Trotzdem sollte es machbar sein. Und vor allem: Es sollte durch Veränderungen machbar sein, die jeder selbst mit herbeiführen kann und von denen jeder direkt profitiert. Doch was müsste sich konkret ändern?

Beginnen wir mit dem allgegenwärtigen Thema Verkehr. Eine lebenswerte Stadt müsste eine Stadt der spielenden Kinder, der Fußgänger und Radfahrer sein. Unsere Städte aber sind inzwischen auf möglichst gute Erreichbarkeit mit dem Auto ausgelegt – verkörpert durch die „Malls“ am Stadtrand, zu denen man schön bequem mit dem Auto fahren und sich mit allem Nötigen eindecken kann, die fehlenden Fahrradwege und -ampeln an allen Ecken und Enden (Städte wie Münster hier mal aus-genommen) oder die Tatsache, dass jeder einen Parkplatz direkt vor seiner Haustür erwartet. Natürlich sind Autos bequem, aber sie machen auch Lärm, verschmutzen die Luft, sind gefährlich und verschandeln das Stadtbild. (Schon mal darüber nachgedacht, wie die Stadt ohne parkende Autos aussähe? Und was man mit dem ganzen entstandenen Platz anfangen könnte?) Warum hängen wir dann so sehr an ihnen? Klar, wir empfinden sie als „Freiheit“. Wenn ein Auto vor meiner Tür steht, habe ich immer und zu jeder Zeit das Gefühl, unabhängig und frei zu sein – ich könnte mich jetzt hinters Steuer setzen und ans Meer fahren, in dieser Sekunde.

Aber – und das finde ich den noch viel schwerwiegenderen Grund – sie stellen immer noch Status-symbole dar. Ein Großteil der Menschen sieht das Auto immer noch als etwas an, auf das man stolz sein kann: „Guck, das habe ich mir leisten können, das sagt etwas über mich aus, das macht mich cool.“ Und solange es andere Leute gibt, die das bewundern, wird sich auch nichts daran ändern, dass Menschen, die offenbar mit viel Geld, dafür aber umso weniger Weitsicht gesegnet sind, ihre Kinder die 300 Meter zum Kindergarten in ihren schicken SUVs kutschieren – anstatt sich und ihnen ein bisschen Bewegung zu verschaffen und sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad dorthin zu bringen.

Ein weiterer Ansatz ist, Autofahren unattraktiver zu machen: wenige und teure Stellplätze, Vorrang für Fahrradfahrer, ein bezahlbarer und gut funktionierender ÖPNV und grüne Welle bei Tempo 30 innerorts. Tempo 30?! Als ich diesen Vorschlag zum ersten Mal gehört habe, dachte ich: „Was für ein Quatsch!“ Aber wenn man mal drüber nachdenkt, ist das gar nicht so dumm: Der Verkehr wäre leiser, langsamer (und damit weniger gefährlich) und jeder, der es wirklich eilig hat, würde entweder irgendwelche Ringstraßen benutzen oder direkt aufs Fahrrad bzw. die Öffentlichen umsteigen. Dazu müsste die Einhaltung der Geschwindigkeitsbegrenzung natürlich streng kontrolliert werden. Darüber hinaus müssten Arbeitgeber viel mehr Anreize schaffen, damit ihre Angestellten in Fahrgemeinschaften, mit Bahn, Bus oder sogar Fahrrad zur Arbeit kommen. Und die Stadt müsste selbstverständlich entsprechende Maßnahmen ergreifen – Radwege (auf der Straße!) ausbauen und sichern, vermehrt (sinnvoll!) Radfahrerampeln einsetzen, Radfahrern Vorrang vor Autos gewähren, Fahrradstellplätze schaffen, Unterführungen und Fahrradschnellstraßen bauen etc. Momentan gibt es hier so wenig Einheitlichkeit und so viele Radwege, die einfach im Nirgendwo enden (oder in der aufgerissenen Tür eines parkenden Autos), dass man verstehen kann, dass Leuten das Radfahren zu unsicher ist und keinen Spaß macht.

Wenn ein Teil der Stadtbewohner also auf andere Verkehrsmittel umgestiegen ist, seine Autos ab-geschafft hat und für den Rest außerdem Parkhäuser und Tiefgaragen entstanden sind, so dass kaum mehr Autos an den Straßen parken müssen - was machen wir dann mit dem ganzen entstandenen Platz?

Das wäre der zweite Schritt der Entwicklung hin zu lebenswerteren Städten. Mir fallen da so verrückte Sachen ein wie: Grünflächen, Treffpunkte, Spielplätze oder einfach Freiflächen zum Spielen, Skaten, Straßenkreide malen. Ich stelle mir vor, dass mehr Leben draußen und mehr soziale Interaktion stattfinden würde. Vielleicht würden sich sogar kleine Grüppchen zusammenschließen, die beispielsweise gemeinsam Straßenfeste organisieren, eine Givebox aufstellen oder kleine Urban-Gardening-Projekte ins Leben rufen könnten.

Ein großes Problem der modernen Stadt sind ja auf der einen Seite die Anonymität der Lebensweise und auf der anderen die fehlende „Natur“ – natürlich haben wir Parks und Bäume, das meine ich nicht. Es fehlt der Bezug dazu, wo unsere Nahrung herkommt. Wie wachsen Möhren, wie sieht eine Gurkenpflanze aus, was für unterschiedliche Kartoffelsorten gibt es? Wie fühlt es sich an, selbst etwas zu pflanzen, sich darum zu kümmern, zu sehen, wie es wächst, und es am Ende tatsächlich ernten und essen zu können?

Wäre es nicht wichtig, dass Kinder wieder mehr mit so etwas groß werden (und auch uns Erwachsenen würde das sicherlich nicht schaden)? Dass sie aber gleichzeitig auch das Großstädtische mitbekommen, die Kultur, das Multikulti, auch mit Dingen konfrontiert werden, die eben nicht „heile Welt“ sind, seien es Obdachlose, Bettler oder Flüchtlinge? Wäre es nicht schön, das eigene Viertel wieder mehr als „Dorf“ zu empfinden, in dem es einen funktionierenden Einzelhandel gibt (wodurch man einerseits die lokalen Kleinunternehmen unterstützen und andererseits seine Einkäufe erledigen könnte, ohne sein Auto vom Fleck zu bewegen), man einige seiner Nachbarn vielleicht kennt, in dem es schöne Verweil- und Treffpunkte gibt, vielleicht sogar wieder mehr Gastronomie?

Die Krönung wäre dann natürlich ein Stadtteilzentrum – vielleicht durch die Umnutzung eines leerstehenden Gebäudes, anstatt dort den nächsten Hochglanz-Bürokomplex entstehen zu lassen – in dem sich alle einbringen könnten, Veranstaltungen organisieren oder auch nur an ihnen teilnehmen, sich austauschen, vielleicht auch wieder mehr politisches Bewusstsein entstehen würde, mehr Einmischung, mehr Mitsprache, mehr Verantwortungsgefühl.

Idealerweise würde man der Anonymität der Großstadt damit ein Stück weit beikommen. Ich habe das Gefühl, wir werden immer mehr zu einer Gesellschaft, in der man sich den Gegebenheiten fügt, anstatt etwas zu ändern, und in der immer die anderen schuld an den Zuständen sind. Wollen wir da wirklich hin? Oder wollen wir die Sache nicht lieber selbst in die Hand nehmen und Mitbestimmungsrechte einfordern bzw. in Anspruch nehmen, die uns zusteht, um unsere Städte zurückzuerobern? Wir sind immerhin die Menschen, die sie bewohnen – sollten wir nicht auch Einfluss darauf haben, wie sie aussehen und in welche Richtung sie sich entwickeln?

Katharina Uhlig arbeitet freiberuflich als Übersetzerin. Letztes Jahr erschien das von dem New York Times-Journalisten Michael Moss verfasste und unter anderem von ihr übersetzte Buch „Das Salz-Zucker-Fett-Komplott. Wie die Lebensmittelkonzerne uns süchtig machen.“ im Ludwig Buchverlag. Außerdem unterrichtet sie an Schulen zu den Themen Nachhaltigkeit, Konsum und Klimawandel.




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