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Die Meinung
24. August 2015

Zivilgesellschaft stößt nachhaltigen Wandel an

Unser täglicher Konsum ist ressourcenintensiv, umweltbelastend und trotz zahlreicher sozialer und ökologischer Initiativen nach wie vor nicht nachhaltig. Was es braucht, damit der Wandel hin zu einem ressourcen- und klimaschonenden Lebens- und Wirtschaftsmodell gelingen kann, zeigen Erfahrungen aus erfolgreichen Innovationen.

Dr. Bettina BrohmannForschungskoordinatorin Transdisziplinäre NachhaltigkeitswissenschaftenÖko-Institut e. V.

Dr. Bettina BrohmannForschungskoordinatorin Transdisziplinäre NachhaltigkeitswissenschaftenÖko-Institut e. V.
Dr. Bettina Brohmann ist Forschungskoordinatorin Transdisziplinäre Nachhaltigkeitswissenschaften am Öko-Institut. (Foto: Öko-Institut)
Dr. Bettina Brohmann ist Forschungskoordinatorin Transdisziplinäre Nachhaltigkeitswissenschaften am Öko-Institut. (Foto: Öko-Institut)

24.08.2015 – Der Blick auf die sogenannten Next Eleven Staaten und verschiedene Zukunftsszenarien zeigt es: Verbreitert sich der nicht-nachhaltige westliche Lebensstil auf alle Nationen, so wird die ökologische Tragfähigkeit der Erde überschritten. Der damit einhergehende globale Wandel erlaubt uns keinen Aufschub beim Aufbau eines langfristig tragfähigen Lebens- und Wirtschaftsmodells. So müssen etwa Industrieländer wie Deutschland ihre Treibhausgasemissionen in vergleichsweise kurzer Frist drastisch reduzieren (80 bis 95 Prozent bis 2050), um den Klimawandel wenigstens abzufedern. Das hat übrigens der Weltklimarat IPCC schon 2007 gezeigt.

Die Umweltpolitik der vergangenen Jahrzehnte, aber auch innovative Unternehmensentscheidungen haben technische Einzellösungen initiiert: zum Beispiel die Vorgaben für energieeffiziente Haushaltsgeräte, umweltverträglichere Produktionsverfahren oder weitreichende Politikinstrumente wie beispielsweise unser Abfallgesetz. Diese bringen Fortschritte speziell in den jeweiligen Bereichen und sind auch weiterhin erforderlich. Damit allein aber können die ambitionierten Nachhaltigkeitsziele nicht erreicht werden. Vielmehr müssen sich die umwelt- und ressourcenintensiven Systeme (Energieversorgung, Wohnen, Verkehr, Landwirtwirtschaft und Ernährung) und der generell hohe Pro-Kopf-Konsum im Kern ändern. Dies kommt national wie international auch durch die Forderung nach anspruchsvollen Nachhaltigkeitszielen wie die Sustainable Development Goals zum Ausdruck.

Impulse für gesellschaftliche Transformationen in Richtung Nachhaltigkeit, wie sie der „Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ im Jahr 2011 beschrieben und gefordert hat, entstehen häufig in der Mitte der Gesellschaft. Initiativen zur Energiewende, zum Aufbau alternativer Verkehrsangebote oder einer nachhaltigen Ernährung sind viel beforschte und belegte Beispiele zivilgesellschaftlicher Impulse.

Ihre Entstehungsbedingungen dokumentiert auch ein aktuelles Forschungsvorhaben des Öko-Instituts im Auftrag des Umweltbundesamtes und des Bundesumweltministeriums und in Zusammenarbeit mit der Zeppelin Universität und dem Kulturwissenschaftlichen Institut Essen. Hier wird gezeigt, dass für den breiten Erfolg solcher Impulse, Gestaltung und strategisches Management durch viele Akteure und Kooperationen notwendig sind. Es wird auch deutlich, dass statt punktueller politischer Eingriffe übergreifende Konzepte und Strategien gebraucht werden, die die zahlreichen – zum Teil parallel laufenden Aktivitäten –Instrumente und Akteure eines gesellschaftlichen Wandels koordinieren.

Voraussetzungen für das Gelingen eines Wandels zur Nachhaltigkeit

Gewünschte, positive Transformationen entstehen in einem Wechselspiel aus Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft. Von „Pionieren des Wandels“ bis hin zu den Kommunen – für das Gelingen großen Wandels ist das Zusammenspiel vieler Akteure in den unterschiedlichsten Handlungsfeldern notwendig. Visionen und Leitbilder sind dabei wesentliche „Aufhänger“ von Transformationen - über sie werden Bürger und Konsumenten im Idealfall zu Anhängern. Von Leitbildern lassen sich Ziele zu einer Änderung individuellen Verhaltens und kollektiver Lebensstile ableiten. Die Anpassung materieller Infrastruktur, aber auch sozialer und zeitlicher Strukturen, die über Wahlperioden hinaus Bestand haben müssen, ist eine Voraussetzung für erfolgreichen Wandel. Märkte und Finanzsysteme sollten angehalten werden, nachhaltige Produkte und Technologien zu fördern. Transformative Forschung und Nachhaltigkeitsbildung und nicht zuletzt der Einsatz neuer Politikinstrumente und Institutionen ist zu bedenken und zu unterstützen.

Da alle erfolgreichen Innovationen in die sozialen Strukturen der Gesellschaft eingebettet sind, sollte Politik gerade Nischen zur Entwicklung und Erprobung von Ideen fördern und anreizen. Transformationen sind in jedem Fall mit Such-, Lern- und Experimentierprozessen verbunden. Diese zu gestalten heißt: Neues neu denken, eine gewisse Flexibilität gewährleisten, Fehler zulassen und von ihnen zu lernen, sowie aktiv mit Konflikten umzugehen, die sich aus Angst vor Verlusten oder dem Widerstand gegenüber Unbekanntem aufbauen. Um zusätzliche Konflikte zu vermeiden bzw. angemessen zu handhaben, sollten die positiven Aspekte einer neuen Entwicklung, aber auch die Risiken frühzeitig kommuniziert werden, um Bündnispartner zu gewinnen, über Kompensationen zu verhandeln oder im Einzelfall auch Entscheidungen zu revidieren.

Akteure und Kooperationen bilden das Rückgrat

Folgt man dem Ansatz sozialer Innovationen, ist bei Transformationsprozessen eine große Zahl von zivilgesellschaftlichen, staatlichen und wirtschaftlichen Akteuren – auch aus Wissenschaft und Kultur – beteiligt, wobei diese im Laufe des Prozesses unterschiedliche Rollen einnehmen können. Die viel zitierten „Pioniere des Wandels“ aber auch andere interessierte Akteure sollten die Aktivitäten der unterschiedlichen „nachbarschaftlichen“ Handlungsfelder und Prozess-Elemente wahrnehmen und für sich nutzen: Mit den dortigen Entwicklungen lassen sich häufig Synergieeffekte herstellen. Man denke an Förderprogramme für transformative Forschung, die lokale Initiativen bei ihren Lern- und Suchprozessen unterstützen und helfen können, Bedingungen der Verbreitung zu verbessern und zu kommunizieren.

Während bei klassischen Managementprozessen in Unternehmen und politischen Entscheidungsprozessen klar ist, wer die zentralen Akteure sind, ist dies bei Transformationsprozessen zuerst einmal unklar, und kann sich auch im Verlauf aufgrund der langen Dauer einer Transformation verändern. Die relevanten „Spieler“ sind sich womöglich ihrer jeweiligen Rolle als „Gestalter“, „Beeinflusser“ oder „Moderator“ gar nicht bewusst, zumindest am Anfang einer Transformation. Eine der Herausforderungen einer intentionalen Transformation ist es aber, dass sich aktive und änderungswillige Individuen ihrer Rolle bewusst werden, um Gleichgesinnte suchen und gemeinsam eine Strategie entwerfen zu können.

Gleichzeitig gibt es selbstverständlich sowohl in der Zivilgesellschaft wie auch bei staatlichen und Wirtschaftsakteuren von Anfang an Treiber und Bremser einer Transformation. Historische Beispiele in ausgewählten Politikbereichen zeigen, dass einzelne staatliche Institutionen auch ähnlich progressive Zielsetzungen wie zivilgesellschaftliche Kräfte verfolgen können. Beispiele sind Kommunen (wie etwa Freiburg, Münster oder Jühnde mit ihrer innovativen Energie-, Bau- oder Mobilitätskultur), einzelne Bundesländer (wie etwa Hessen in der Chemiepolitik der 1980er Jahre), aber auch eine Behörde wie das Umweltbundesamt (etwa bei der Unterstützung der Fahrradmobilität in den 1990er Jahren).

Man spricht hier von einer polyzentrischen Gestaltung von Transformationen durch Innovationen und Interventionen. Bei einer gezielten Transformation – wie die der unter Zeitdruck stehenden Energiewende – erscheint es nach wie vor unklar, ob und wie ein zentraler Akteur vorstellbar wäre, der einen solchen Prozess in verschiedenen Teil-Systemen initiieren und moderieren könnte. Gleichwohl existiert hier eine hohe Erwartung an die Politik, Ziele und Umsetzungsstrategien sowie Maßnahmen in den verschiedenen Teil-Systemen in Übereinstimmung zu bringen. Dies könnte durch die Einbeziehung von existierenden Netzwerken unterstützt werden.

Ein Beispiel für „historische“ Akteursnetze: Energiewende

1986, nach dem atomaren Gau in Tschernobyl, wurde das Öko-Institut, das seit langem zu den Risiken von Atomkraftwerken gearbeitet hatte, zur Anlaufstelle für Medien, besorgte Bürgerinnen und Bürger und auch kommunale Einrichtungen. Als Antwort auf die Flut von Anfragen und um gemeinsam Druck auf Politiker und Behörden aufzubauen, rief das Öko-Institut zur Gründung lokaler, überparteilicher Energiewende-Komitees auf. Inhaltlich bezog sich das Institut dabei auf die 1980 veröffentlichte Energiewende-Studie (Krause, Bossel, Müller-Reißmann: Energiewende – Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran, S. Fischer Verlag).

Innerhalb weniger Monate bildete sich ein Netzwerk mit rund 400 Energiewende-Komitees unterschiedlichen Ursprungs (Friedens-, Umwelt-, Anti-AKW-Initiativen und besorgte Bürger- und Elterninitiativen). Die Betreuung des Netzwerkes und der einzelnen Komitees finanzierte das gemeinnützige Öko-Institut über zehn Jahre lang mit einer Halbtagsstelle. Wesentliche Erfolgsbedingungen des Netzwerks und der teilweise bis heute aktiven Gruppen (wie Energiewende Saarland, Energiewende Rüsselsheim oder das bekannteste Beispiel, die „Elektrizitätswerke Schönau“, die aus der Energiewendeinitiative „Eltern für Atomfreie Zukunft“ hervorgegangen sind) waren:

  • eine erfahrene Organisation mit hohem Transformationswillen und glaubwürdiger Zielsetzung als Netzknoten und Vermittler
  • eine inhaltlich bereits ausgearbeitete Strategie und Zielvorstellung (Energiewendestudie von 1980), die gesellschaftlich diskutiert und für die Entscheidungsebene der Kommune weiterentwickelt wurde („Rekommunalisierung“) sowie neue Geschäftsmodelle („Least cost Planning“) für Stadtwerke
  • eine bereits zu Energie und anderen Themen engagierte Umweltschutzbewegung mit vielen kreativen und aktiven Einzelpersönlichkeiten
  • mit der Katastrophe von Tschernobyl ein „Gelegenheitsfenster“, das hohe persönliche Betroffenheit in allen Schichten der Gesellschaft erzeugte
  • ein klares Konzept zur Zusammenarbeit und eine jahrelange Vernetzung
  • ein (wenn auch überschaubares) finanzielles Budget
  • gezielte Öffentlichkeitsarbeit, die andere Gruppen einbezieht bzw. bezog.


Hier zeigt sich die große Bedeutung übereinstimmender bzw. koordinierter Aktivitäten in mehreren relevanten Teil-Systemen – bei Leitbildern; bei Forschung und Bildung sowie der gemeinsamen Entwicklung von Wissen und Erfahrung; im weiteren Verlauf auch auf Märkten und zu Politikinstrumenten sowie zu neuen Institutionen. Es existierte früh eine vorbereitende „Blaupause“ und die (thematische) Weiterentwicklung durch verschiedene gesellschaftliche Akteure ließen neue Kooperationen im Hinblick auf die Transformation in Teil-Systemen erfolgreich werden.

Mehr Mut zum Experiment

Die genannten „Erfahrungswerte“ könnten aufgegriffen und für den aktuellen Prozess der Energiewende in der Breite, aber auch experimentell, genutzt werden. Dazu müssen sie übersetzt und auf die heute existierende Dynamik in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und im globalen Kontext angepasst werden: Politik und Zivilgesellschaft brauchten dazu gleichermaßen Mut und interessenübergreifendes Engagement.

Dr. Bettina Brohmann ist Forschungskoordinatorin Transdisziplinäre Nachhaltigkeitswissenschaften am Öko-Institut. Sie begleitet verschiedene Projekte der Transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung sowohl inhaltlich-methodisch als auch organisatorisch. Zusätzlich ist sie in verschiedenen Netzwerken tätig und war Mitglied der Expertengruppe „Wissenschaft für Nachhaltigkeit“ des Landes Baden-Württemberg.

Weiterlesen

Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung am Öko-Institut – ein Überblick

E-Paper des Öko-Instituts Gemeinsam für Veränderungen – der Beitrag der Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung (Juni 2014)

UBA-Texte 66/2015 Gesellschaftlicher Wandel als Mehrebenenansatz

UBA-Text 68/2014 Zeit für Nachhaltigkeit – Zeiten der Transformation: Elemente einer Zeitpolitik für die gesellschaftliche Transformation zu nachhaltigeren Lebensstilen




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