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Die Meinung
20. Februar 2017

Zusammen ist man weniger allein? Die Bürgerenergie braucht Verbündete

Drei Viertel der europäischen Bürgerenergiegesellschaften sind in Deutschland, Österreich und Dänemark zu Hause. In Deutschland erzeugen sie rund 40 % der erneuerbaren Energieleistung. Kann sich also Deutschland in puncto Akteursvielfalt in der Energiewirtschaft und Bürgerbeteiligung zufrieden auf die Schulter klopfen?

Silke BartolomäusBürgerenergie und ProjektbegleitungNATURSTROM AG

Silke BartolomäusBürgerenergie und ProjektbegleitungNATURSTROM AG
Silke Bartolomäus ist Teamleiterin für Bürgerenergie und Projektbegleitung bei der NATURSTROM AG. (Foto: privat)
Silke Bartolomäus ist Teamleiterin für Bürgerenergie und Projektbegleitung bei der NATURSTROM AG. (Foto: privat)

20.02.2017 – Tatsächlich gab es ja nach Einführung des EEG einen regelrechten Boom bei Energiegenossenschaften und damit eine aktive Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern am bis dato abstrakten und zentralistischen Energiemarkt. Einige EEG-Novellen später ist dieser Boom allerdings zum Erliegen gekommen, die Zahl von gut 800 Genossenschaften stagniert, sogar von einigen Auflösungen hat man gehört. Durch die gesunkene Einspeisevergütung und der Einführung von Ausschreibungssystemen für PV und nun auch für Wind stehen Bürgerenergiegesellschaften vor der Herausforderung, sich neue und ausgesprochen komplexe Geschäftsfelder zu erschließen. Nur wenige sind allerdings in der Lage, dies aus eigener Kraft zu schaffen: Kooperationen sind daher das Gebot der Stunde.

In Partnerschaften gelingt die demokratische Energiewende

So lag denn auch der Fokus des diesjährigen Bundeskongresses genossenschaftliche Energiewende des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbands (DGRV) am 14. Februar in Berlin auf der Suche nach neuen Kooperationsformen und der Frage nach der Bedeutung von Energiegenossenschaften für die europäische Energiepolitik.

Im Statement von Paula Abreu Marques, Leiterin der Abteilung „Erneuerbare und CCS“ bei der Generaldirektion Energie beim Kongress wurde deutlich: Aus EU-Sicht liegt der Nutzen von Bürgerenergiegesellschaften eindeutig bei der Akzeptanz der Energiewende – und auch nur dort. Bürgerbeteiligung wird in Brüssel nicht aus Gründen von Teilhabe und Mitgestaltung eines demokratischen Energiesystems gefördert, sondern dient vielmehr als Vehikel für mehr Akzeptanz der Infrastrukturentscheidungen anderer. Folgerichtig ist im Energie-„Winterpaket“ auch ausschließlich von „consumers“ die Rede, nicht von mitgestaltenden und selbstbewussten „citizens“. Allerdings: Selbst wenn man Bürgerenergie auf diese Bedeutung reduziert muss sich die Politik die Frage gefallen lassen, warum dann die Rahmenbedingungen so komplex gestaltet werden, dass sich immer weniger Bürgerinnen und Bürger beteiligen, engagieren und zusammenschließen. Denn ehrlicherweise müsste man heute das genossenschaftliche Raiffeisen-Motto „Was einer nicht schafft schaffen viele“ ergänzen um den Zusatz: „Allerdings nur mit Partnern“.

In Kooperationen liegen derzeit die größten Potenziale für die Realisierung von Projekten. Bei der Erschließung eines Themenfelds wie Mieterstrom beispielsweise kann im Zusammenspiel von Bürgerenergiegesellschaft, Wohnungsbaugesellschaft und ökologischen Energieversorgern jeder Partner tun, was er am besten kann und so Mehrwert für alle geschaffen werden: Genossenschaften sind perfekte Multiplikatoren und Kenner der lokalen Gegebenheiten und Akteure vor Ort und können das Geld ihrer Mitglieder wieder rentabel in Erneuerbare-Energien-Anlagen investieren; Wohnungsbauunternehmen stellen Dächer zur Verfügung, steigern dadurch die Attraktivität ihrer Immobilie und verbessern ihre CO2-Bilanz. Nachhaltige und ganzheitlich aufgestellte Energieversorger wiederum verfügen über das notwendige fachliche Know-How und die notwendigen Prozesse zur Abwicklung von Strom- und Wärmelieferungen.

Joachim Scherrer ist Vorstandsvorsitzender der Bürger Energie Region Regensburg eG und Redner beim DGRV-Kongress.

Partnerschaften erlauben Bürgerenergiegesellschaften die Rückbesinnung auf ihre Kernkompetenzen oder, wie es ein Genossenschaftsvertreter beim Kongress nannte, als Schuster bei seinen Leisten zu bleiben und dennoch an Stärke zu gewinnen und Mehrwert zu schaffen für die Energiegesellschaft und für die Region. Und auch wenn eine volle Eigenständigkeit wie zu Zeiten des alten EEG derzeit kaum mehr möglich ist: Die Bürgerenergie sollte mit breiter Brust auftreten, denn sie spielt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung lokaler Projekte, bei der Einbindung von Menschen vor Ort und bei der Finanzierung, dem Anlagenbetrieb in Bürgerhand.

Nutzen und Vielfalt: Die Bürgerenergie ist zukunftsfähig

Das neue Forschungsprojekt klimaGEN der Universität Kassel will darüber hinaus die Weiterentwicklung von Energiegenossenschaften zu Klimaschutzgenossenschaften denken: Hier soll geprüft werden, wie das Potenzial, das in Bürgerenergiegesellschaften liegt, besser genutzt werden kann, beispielsweise durch die Entwicklung neuer Betätigungsfelder wie Energieeffizienz, Suffizienz und Mobilität, und damit ein klimaschutzförderndes Unternehmensprofil geschärft wird. Auch die Rolle der vor Ort intensiv verankerten Energiegenossenschaften als Vermittler eines klimaschutzrelevanten Verhaltens in eine breite Bevölkerungsschicht hinein soll gestärkt werden.

In Vielfalt statt Reduktion liegt die Zukunft der Bürgerenergie. In der Zwischenzeit kann und muss es erst einmal in Partnerschaften gelingen, wieder Innovationsmotor in den Regionen zu sein. Und vielleicht kommt irgendwann die Zeit, dass Bürgerenergieakteure auch in der Politik den Stellenwert erlangen, den sie verdienen und Rahmenbedingungen geschaffen werden für vielfältige und selbstbestimmte bürgerliche Energieprojekte – und auch in Europa in diesem Zusammenhang nicht mehr nur vom „consumer“, sondern vom „citizen“ die Rede ist.

Silke Bartolomäus ist Teamleiterin für Bürgerenergie und Projektbegleitung bei der NATURSTROM AG. Auch privat treibt sie die bürgerschaftliche Energiewende voran und ist seit Jahren Mitglied einer Energiegenossenschaft und einer ökologischen Baugenossenschaft.




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