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Die Meinung
31. Januar 2024

Neun Thesen zum Zusammenhang von Klimaschutz und Demokratie

Nicht nur das Klima erhitzt sich, sondern auch die gesellschaftliche Stimmung. Rechtsextreme hetzen gegen Menschen, aber auch gegen Klimaschutz – und erfahren gleichzeitig wachsende Zustimmung. Damit stehen nicht nur Ökosysteme unter akutem Druck, sondern auch die Demokratie. Um Lösungen zu finden, müssen beide zusammengedacht werden.

Steffen Krenzer, Mehr Demokratie e.V.

Steffen Krenzer, Mehr Demokratie e.V.
Ein Mann mit mittellangen blonden Haaren, Bart und kariertem Hemd
Bild: Cordula Kropke

Konsequenter Klimaschutz kann nur gelingen, wenn die meisten mitmachen. Umfragen deuten an, dass Klimaschutz an sich weiterhin von einer breiten Mehrheit befürwortet wird. Sobald es konkret wird, treten aber oft Widerstände auf. Dies gilt bei Entscheidungen auf Bundesebene, wie beim „Heizungsgesetz“, ebenso wie bei kommunalen Vorhaben wie Windparks. Angesichts der verzweifelten Warnungen der Wissenschaft vor dem Kollaps der Ökosysteme und unserer auf sie angewiesenen Zivilisation sollte konsequenter Klimaschutz eigentlich selbstverständlich sein – zumal er seit dem Verfassungsgerichtsurteil vom April 2021 grundgesetzlich geboten ist.    

Stattdessen verlieren mit Klimaschutz assoziierte Parteien und auch die Klimabewegung an Zustimmung, Menschen gehen gegen klimapolitische Maßnahmen auf die Straße (z. B. gegen die höhere Besteuerung von Agrardiesel), bestehende Beschlüsse werden aufgeweicht (z. B. verbindliche Sektorziele) und auch lokale Maßnahmen teilweise rückgängig gemacht (z. B. das neue Gießener Verkehrskonzept). Gleichzeitig drohen in diesem Jahr Rechtsextreme in Ländern und Kommunen an die Macht zu kommen, die neben menschenverachtenden Positionen und Plänen (Stichwort: „Remigration“) auch Skepsis gegenüber dem menschengemachten Klimawandel vertreten und Klimaschutz ablehnen.

Welche Erkenntnisse und Strategien lassen sich aus den Entwicklungen der vergangenen Jahre und den aktuellen Ereignissen ableiten? Die eine Antwort hierauf gibt es nicht; im Folgenden möchte ich einige Überlegungen skizzieren, die sich aus meiner Perspektive als Demokratieaktivist und Umweltpsychologe ergeben.

1. Ruhe bewahren

Die Zeit drängt, aber in einer aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung ist die sich aufheizende Erdatmosphäre für viele Menschen nicht (mehr) die größte Sorge. Corona, Kriege, Inflation – die Gesellschaft steht unter Druck, Kontroversen werden zusätzlich angefeuert von Akteuren, die sich dadurch Vorteile erhoffen. Stress – auch sozialer Stress – kann unsere Fähigkeit und Bereitschaft zu kooperieren lähmen. Vertrauen, Zusammenhalt und konstruktive Zusammenarbeit weichen derzeit zu oft Lagerdenken und Kurzsichtigkeit.

Die Situation ist besorgniserregend, aber Angst ist ein schlechter Ratgeber. Hier gilt es eine klare, stabile und zuversichtliche Haltung einzunehmen – zum einen bildet das einen anschlussfähigen Gegenpol zur gesellschaftlichen Unruhe. Zum anderen ist es wichtig für die eigene Motivation und Hoffnung: Wir müssen aufpassen, dass Untergangserzählungen keine selbsterfüllenden Prophezeiungen werden.

2. Eine neue Erzählung

Druck erzeugt Gegendruck. Das gilt für eine Politik, die Beteiligung nicht ernst nimmt und ökonomischen und emotionalen Bedürfnissen in der Bevölkerung nicht ausreichend Gehör bietet. Es gilt auch für unangemessene Anforderungen: Lange folgte Klimapolitik einer individualisierenden Logik. Verantwortlich für die Rettung der Welt sollten einzelne Verbraucher sein, die vermeintlich die freie Wahl hätten, umweltfreundliche Produkte zu kaufen.

Weil unter den aktuellen Rahmenbedingungen wirklich nachhaltige Produkte jedoch selten existieren und meistens teurer sind, führt die individualisierte Verantwortung bei vielen Menschen zu Überforderung, Ohnmacht, Scham und Schuldgefühlen oder Reaktanz – einem inneren Widerstand. Ärger und Frust stauen sich auf. Kollektive Herausforderungen können nur kooperativ bewältigt werden.

Statt Klimaschutz als individuelle Pflicht zum Verzicht darzustellen, braucht es daher eine positive Vision, eine Wir-Erzählung: Klimaschutz erhält und schafft Freiheit und stiftet Gemeinschaft, wir stellen uns dem Problem gemeinsam. Gesellschaftliche Meta-Erzählungen ändern sich zwar nicht über Nacht, aber jede Botschaft erzählt eine kleine Geschichte. Mehr Respekt für die Menschen, die uns ernähren, und eine nachhaltigere Landwirtschaft gehen beispielsweise Hand in Hand. Es braucht Solidarität, etwa zwischen Gewerkschaften und Klimabewegten, und mehr ungewöhnliche Bündnisse.

3. Perspektivübernahme statt Lagerbildung

Schon im Sinne der eigenen psychischen Gesundheit muss man sich nicht alles gefallen lassen, nicht mit allen reden. Trotzdem tragen zu oft auch progressive Kräfte zu Ausgrenzung und Lagerbildung bei. Milieustudien zeigen zum Beispiel, dass Menschen, die „grün“ wählen, besonders wenige Kontakte außerhalb ihres Milieus haben. Sich gegenüber bestimmten Positionen abzugrenzen ist zwar gut und richtig. Über Grenzen hinweg sollte aber weiterhin Austausch möglich sein, sonst zementieren sich die Lager.

Das ist ein Balanceakt, gerade wenn das Gegenüber nicht „nur“ andere Meinungen zur Klimapolitik hat, sondern auch menschenfeindliche Positionen oder Verschwörungsfantasien vertritt. Es ist aber wichtig, dass alle demokratischen Kräfte jetzt den Schulterschluss suchen, in der Zivilgesellschaft ebenso wie in der Politik (wozu ein auf Konkurrenz von Parteien ausgelegtes System nicht unbedingt beiträgt, weshalb es Reformen der Demokratie braucht, s. u.).

Wichtig finde ich dabei zu reflektieren, dass auch die eigene Wahrnehmung gesellschaftlicher Realität oft verzerrt und von (gesellschaftlichen und persönlichen) Stimmungen geprägt ist: Die lauten Stimmen sprechen nicht unbedingt für die Mehrheit und das für die einen Selbstverständliche ist anderen oft neu und fremd.

4. Den Kulturkampf verstehen

Anti-demokratische Positionen und solche gegen Klimaschutz gehören nicht notwendigerweise zusammen. Ein ökofaschistisches System, das völkisches Denken, Autoritarismus und Umweltschutz vermengt, ist vorstellbar und wird von manchen angestrebt. Der Versuch von Rechten und Rechtsradikalen das Thema Umweltschutz zu besetzen, wird mit fortschreitendem Ökosystemkollaps stärker werden. Bisher lässt sich aber festhalten, dass viele rechts und konservativ Gesinnte Klimaschutz ablehnen.

Warum ist das so? Der Spiegel-Journalist Jonas Schaible hat bereits 2019 einen weitsichtigen Essay geschrieben („Wieso es keinen Rechtsruck gibt, aber die extreme Rechte trotzdem wächst“), der darauf hinweist, dass eine neue Konfliktlinie die Gesellschaft teilt, in diejenigen, die die „Zumutung“ eines gesellschaftlichen Wandels annehmen und denjenigen, die zurückwollen zu vermeintlicher „Normalität“. Fragen zum Gendern, zur Klima- und Migrationspolitik werden in „einem Aufwasch“ behandelt. Ohne hier eine abschließende Beurteilung zu wagen, halte ich es für gewinnbringend, diese Interpretation im Hinterkopf zu behalten.

5. Respekt und Kommunikation

„Wenn es ums Klima geht, sind Emotionen auch wichtig. Wir dürfen nicht nur auf Fakten schauen.“ Dieses Fazit zog die Teilnehmerin einer Veranstaltung zu Strategien gegen Populismus. Die Einsicht ist richtig – kommt leider aber spät. Zu lange wurde Klimaschutz als technisches Thema behandelt. Stellen im Klimaschutzmanagement wurden zum Beispiel oft an Ingenieurinnen und Ingenieure gegeben. Technologie ist fraglos wichtig und an manchen Stellen eine (Teil-) Lösung – wir haben allerdings kein technisches, sondern ein gesellschaftliches Problem mit dem Klimaschutz.

Kommunikationist auf allen politischen Ebenen kein schmückendes Beiwerk, sondern Voraussetzung für eine gelingende Transformation. Dabei sollten aufsuchende Ansätze verfolgt werden – Informationen müssen zu den Menschen gebracht und nicht „zur Abholung“ bereitgestellt werden. Gleichzeitig muss Raum zum Zuhören sein. Respekt und Wertschätzung sollte die Grundlage für jeden Austausch sein – beispielsweise auch für die Lebensleistung von Kohlearbeitern. Beim Strukturwandel geht es nicht (nur) um Geld, sondern auch um Identität. Wir müssen Menschen ermöglichen, erhobenen Hauptes neue Wege einzuschlagen.

6. Destruktiver Kommunikation Einhalt gebieten

Gezielte Falschmeldungen, hetzerische Berichterstattung und hasserfüllte Kommunikation zersetzen die Demokratie und jeden konstruktiven Diskurs. Dies betrifft längst nicht nur Klimathemen, hier hat systematische Desinformation aber eine jahrzehntelange Tradition. Eine auf Skandale und Spektakel getrimmte Medienlogik und die (unreglementierte) Funktionsweise sozialer Netzwerke verstärken dieses Problem.

Hierfür müssen dringend Lösungen auf struktureller Ebene gefunden werden. Unabhängig davon gilt: Persönliche Gespräche sind der beste Weg das Vertrauen von Menschen zu gewinnen, um einer Auseinandersetzung mit Argumenten und positiven Beispielen den Weg zu bahnen. Für einen Austausch zwischen Milieus müssen Begegnungsräume gefördert werden.

7. Soziale Gerechtigkeit ins Zentrum stellen

Angesichts der mangelnden Berücksichtigung in der Praxis kann die eigentlich triviale Erkenntnis nicht oft genug wiederholt werden: Die „Große Transformation“ muss sozial gerecht sein, wenn sie nicht scheitern soll. Beim „Heizungsgesetz“ den sozialen Ausgleich zu „vergessen“ oder das versprochene Klimageld in die nächste Legislatur schieben sind Fehler mit großer Symbolwirkung.

Die wachsende Kluft zwischen Superreich und dem Rest der Gesellschaft wächst und droht die Fundamente von Demokratie und Klimawende auszuhöhlen. Auch der letzte Bericht des Club of Rome „Earth for All” betont, dass soziale Gerechtigkeit Teil von und Voraussetzung für die Transformation ist.

8. Beteiligung ermöglichen

Wir haben keine Zeit nicht zu beteiligen. Alle, die jetzt übergangen werden, machen den Prozess hinterher langsamer, sei es aus Widerstand oder Unwissenheit. Beteiligung, sowohl in der Mitsprache als auch finanziell, schafft Zustimmung und Engagement – gerade im Bereich Energiewende gibt es dafür gute Beispiele und erfahrene Akteure.

Allerdings müssen die Rahmenbedingungen auf Landes- und Bundesebene verbessert werden, denn Beteiligung in der Breite braucht finanzielle und personelle Ressourcen sowie rechtliche Grundlagen. Baden-Württemberg geht hier mit seinem Beteiligungsgesetz und der Stabstelle für Bürgerbeteiligung voran.

9. Demokratie weiter denken

Die Uhr tickt. Um die gefährlichsten Folgen der Erderhitzung abzuwenden, muss Klimaschutz schneller und konsequenter werden. Es sind drastische Veränderungen notwendig, aber Verbote, zumal mit Härte durchgesetzt, scheinen nicht zum Freiheitsversprechen und der langsamen Kompromissfindung einer Demokratie zu passen. Wie Jonas Schaible im Buch „Demokratie im Feuer“ (2023) darstellt, ist es nicht die Demokratie, die beim Klimaschutz an ihre Grenzen kommt – sondern unsere aktuelle Vorstellung von Demokratie. Demokratie ist und war aber immer wandelbar. Änderungen, die die Demokratie stärken und zugleich den Klimaschutz voranbringen würden, könnten sein: 

  • Die Einführung von Transparenzgesetzen und die konsequente Nutzung von Möglichkeiten, Verwaltungshandeln durch Digitalisierung zu beschleunigen. Länder wie Estland sind hier vorbildlich.
  • Die Ausweitung direktdemokratischer Mitbestimmungsmöglichkeiten. Untersuchungen zeigen, dass Bürgerinitiativen und -entscheide viel besser sind als ihr Ruf und eher zur Beschleunigung als zum Ausbremsen des Klimaschutzes beitragen.
  • Eine Änderung des Wahlrechts: An der Wahlurne sind alle gleich – jede Person hat eine Stimme, das ist das Versprechen der repräsentativen Demokratie. Abgesehen davon, dass viele Menschen, gerade solche, die von der Klimakrise besonders betroffen sind, nicht wählen dürfen, scheitern im aktuellen Wahlrecht Parteien an der 5-Prozent-Hürde und Millionen Stimmen wandern in den Papierkorb. Kleine Parteien haben so oft keine Chance auf einen Einzug in die Parlamente. Ideen wie die Einführung einer Ersatzstimme bieten hier einen praktikablen Ausweg, der zu mehr Repräsentation und Vielfalt in der Politik beitragen kann.
  • Digitale Plattformen (z. B. Consul oder Pol.is) ermöglichen in anderen Ländern (z. B. Taiwan) schon heute demokratische Zusammenarbeit auf einem Level, die uns in Deutschland wie von einem anderen Planeten vorkommt. Gerade komplexe Herausforderungen wie Klimaschutz erfordern aber ein Aufbrechen strenger Hierarchien und linearer Abläufe. Simultanes, kokreatives Arbeiten mit neuen Werkzeugen kann z. B. Planungen zur Wärmewende oder das Verfassen fundierter und abgewogener Gesetze in kurzer Zeit unterstützen.
  • Die deliberative Demokratie (z. B. Bürgerräte mit gelosten Teilnehmenden) ermöglicht es, Antworten zu kontroversen Fragestellungen durch Austausch vielfältiger Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen zu finden. Die so entstehenden Ideen und Kompromisse können im Klimaschutz manche Knoten auflösen – allerdings nur, wenn die Empfehlungen von der Politik aufgegriffen werden.

Die skizzierten Vorschläge sind keine abschließende Liste, zeigen aber Chancen auf, wie eine resiliente und handlungsfähige Demokratie in Zeiten der Klimakrise gestärkt werden kann. Für alle liegen Konzepte vor (s. www.mehr-demokratie.de), die mit politischem Willen relativ einfach umzusetzen wären.

Fazit

Demonstrationen für die Demokratie, wie sie aktuell stattfinden, sind ebenso gut und wichtig wie der kontinuierliche Einsatz für Klima- und Umweltschutz. Beide müssen aber stärker zusammengedacht werden. Es müssen nicht „nur“ Abwehrkämpfe – gegen anti-demokratische Kräfte oder die Erderhitzung – geführt und gewonnen werden, um dann zur „Normalität“ zurückzukehren. Sondern die Herausforderungen erfordern (soziale) Innovationen und tiefgreifenden Wandel.

Klimaschutz kann nur gelingen, wenn demokratische Beteiligung und demokratischer Dialog neu gedacht – und gelebt werden – sonst scheitert er an Widerständen und Passivität. Gleichzeitig kann die Demokratie nur weiterbestehen, wenn sie das Ökosystem schützt, in dem sie entstanden ist. Für diese Herausforderung müssen wir sie neu aufstellen. Demokratisierung und die „Große Transformation“ hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft gehören zusammen.

Steffen Krenzer ist Umweltpsychologe, leitet beim Verein Mehr Demokratie den Bereich „Demokratie & Klima“ und arbeitet als selbstständiger Transformationsberater und Prozessbegleiter.




Kommentare

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Hannes Allabauer 07.02.2024, 10:46:36

Das "Zurückkehren zur Normalitaet" ist besser zu ersetzten durch "Halten der erreichten Ziele".


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