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Nachgefragt
05. Dezember 2023

"Auf den bestehenden Äckern und Grünländern müssen wir unsere Art der Landnutzung ganz schnell ändern."

Intensive Landbewirtschaftung mit hohen Nährstoffüberschüssen und Pestizideinsatz belastet Artenvielfalt und Umwelt. Weniger Nutztiere, weniger synthetische Pestizide und Düngemittel, weniger Bodenbearbeitung. Mehr konservierende Landwirtschaft, Vielfalt in der Art der Bewirtschaftung und wechselnde Fruchtfolgen. So wird Boden fruchtbarer, hält mehr Wasser – und Kohlenstoff.

Simon Kraemer, Advisor Food System and Soil Policy, NABU

Simon Kraemer, Advisor Food System and Soil Policy, NABU
Simon Kraemer, Advisor Food System and Soil Policy, NABU
Foto: privat

Muss die Landwirtschaft grundlegend umgestellt werden, um sich an den Klimawandel anzupassen?

In den nächsten paar Jahren werden viele Regionen Deutschlands umdenken müssen. Bei den Getreidearten ist der Einfluss des Klimawandels in Deutschland bisher noch eher positiv. Generell muss man aber sagen, nicht nur, weil es heißer wird, sondern auch, weil der Regen sich immer volatiler verhält, also wir immer seltener Regen haben, und wenn dann viel stärker oder nur im Winter und nicht im Sommer, muss sich die Landwirtschaft auf jeden Fall anpassen.

Welche Klimaanpassungsstrategien gibt es im Agrarsektor?

Wir müssen auf jeden Fall drastisch unsere Nutztiere und unseren Konsum an Tierprodukten reduzieren. Dabei geht es vor allem um monogastrische Tiere, also Schweine und Hühner, deren Ernährung immer in der Nahrungsmittelkonkurrenz zu uns Menschen steht. Bei Wiederkäuern ist es eine andere Sache, die können wir großartig auch in einer integrierten Landnutzung in größerem Stil managen und halten. Dadurch, dass wir weniger Nutztiere konsumieren, sollten wir auch von Futtermittelimporten aus der Mehrheitswelt unabhängig werden und dort nicht weiter Landnutzungsänderungen verursachen – das gilt für Südamerika, den Regenwald, das Amazonasgebiet und Ozeanien, ob für Palmöl oder sonstige Plantagen.

Auf den bestehenden Äckern und Grünländern müssen wir unsere Art der Landnutzung ganz schnell ändern. Wir müssen die synthetischen Inputs reduzieren, kontinuierlich und auf null, sowohl von synthetischen Pestiziden als auch von Düngemitteln. Die müssen wir biologisch durch eine erhöhte Fotosynthese und bessere Biomasse-Produktion in der Fläche substituieren. Anstatt Unkräuter totzupflanzen und damit in negative Feedback-Loops zu fallen, sollten wir Unkräuter mit Untersaaten, besserer Bodengesundheit usw. aus der Fläche drängen. Anstatt synthetischen Stickstoffdünger zu nehmen, müssen wir mehr Leguminosen in der Fruchtfolge, in der Untersaat anwenden. Vor allem müssen wir dabei die Stickstoff-fixierenden Bodenbakterien fördern.

Die EU-Kommission hat gerade ein Gesetzesverfahren eingestellt, das darauf abzielte, Pestizide bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren.

Da gibt es viel Fehlinformationen und wenig Verständnis für die tatsächliche Anwendung von Pestiziden bei Pionier-Landwirten. Ich finde es aber manchmal auch schwierig, wie, mit welchen Narrativen und welcher Expertise den Landwirten gegenüber solche Ziele formuliert und kommuniziert werden. Wir müssen auf jeden Fall schleunigst und kontinuierlich den absoluten Pestizideinsatz reduzieren. Es ist aber immer nur im Kontext des landwirtschaftlichen Betriebes möglich zu bewerten, ob man einen Hardcut macht und Bio kommt, oder man sich über das System der Conservation Agriculture, also, No-Till, Zwischenfrüchte und diverse Fruchtfolgen, langsam aus der Pestizid-Abhängigkeit rausarbeitet.

Mit welchen Mitteln kann ein nachhaltiger Kohlenstoffkreislauf im Boden gefördert werden?

Die Treibhausgas-Kreisläufe sind miteinander gekoppelt und unterschiedlich groß. Der Wasserkreislauf ist mit Abstand der größte. Dann kommen der Kohlenstoffkreislauf, Stickstoffkreislauf und so weiter. Es ist wichtig, Strukturelemente in die Landschaft zu bringen, um kleine Wasserkreisläufe zu regenerieren. Denn, wenn wir etwas für die kleinen Wasserkreisläufe tun, tun wir auch etwas für den Kohlenstoffkreislauf. Am Ende kann keine Photosynthese passieren, die Kohlenstoff assimiliert, wenn die Pflanze kein Wasser hat. Hat man mehr Kohlenstoff in der Landschaft in der Form von Bodenkohlenstoff, Pflanzen oder Pflanzenkohle, so kann man auch mehr Wasser in der Landschaft halten. Ein Prozent mehr Humus im Boden erhöht die Wasserspeicherfähigkeit dieses Bodens ganz erheblich. Man kann Agrarland gut in Streifen bewirtschaften, Ackerbau im Wechsel mit Viehzucht zwischen Agroforststreifen ist sehr gut für die Biodiversität. In Agro-Forst-Streifen kann dann beispielsweise mit Stickstoff-fixierenden Bäumen gearbeitet werden.

Sehr wichtig ist die Intensität der Bodenbearbeitung, also ob ich einen Flug nehme, ob ich tief gehe, ob ich vielleicht nur noch flach bearbeite oder ob ich es schaffe, gar nicht zu bearbeiten, und nur direkt zu sähen. Um die Photosynthese-Leistung der Pflanzen zu erhöhen, sollte die Intensität der Bodenbearbeitung soweit wie möglich reduziert werden, der Boden bedeckt gehalten werden, also nicht brach liegen, in der Sonne oder im Regen. Dann sollten so viele lebende Pflanzen wie möglich auf der Fläche und so viele und diverse lebende Wurzeln wie möglich im Boden sein. Entscheidend ist am Ende die Netto-Primärproduktion auf der Fläche. Also wie viel Kohlenstoff wurde auf der Fläche durch Photosynthese von Pflanzen über das ganze Jahr assimiliert – und was passiert mit diesem Kohlenstoff. Ein Teil dieses Kohlenstoffs geht ins Getreide oder in die anderen Kalorien, die wir als Nahrung verzehren oder als Futtermittel an Tiere verfüttern. Ein anderer Teil wird zu Biomasse verarbeitet. Hier ist entscheidend, ob diese auf dem Feld gelassen oder abtransportiert wird. Und dann gibt es noch einen ganz erheblichen Teil, der in die Wurzelmasse geht. Über die Ausscheidung der Pflanzen wird auch Kohlenstoff an Bodenlebewesen weitergegeben. Das ist der Kohlenstoff-Kreislauf in der Landwirtschaft. Es gibt unendlich viele Maßnahmen und systemische Ansätze, wie der Kohlenstoff und die anderen bio-geochemischen Kreisläufe in der Landnutzung gemanagt werden können.

Ist das auch das, was man unter Carbon Farming versteht?

Carbon bezeichnet das, was wir CO2e nennen, also die großen Treibhausgase um Kohlenstoff, Stickstoff und Methan. Ich würde auch Wasserdampf dazuzählen, das wichtigste Treibhausgas, das wird leider immer vergessen. Als Carbon Farming kann man das Management von Treibhausgasflüssen in der Landnutzung verstehen. Dabei versuchen wir, die Fläche zur optimalen oder maximalen Photosynthese- Leistung zu befähigen. So kann der Großteil dieses Kohlenstoffs in den Aufbau von Boden-Kohlenstoff umgewandelt werden, während wir gleichzeitig unser Land nutzen.

Carbon Farming wird allerdings auch schnell als Synonym für andere Maßnahmen benutzt, um mit CO2-Ausgleichszertifikaten auf freiwilligen Kohlenstoffmärkten zu handeln. Da entsteht dann eine Reihe von Problemen. Ich bin Mitglied im Beirat der europäischen Kommission zu ihren neuen Carbon Removal Certification Mechanism. Das soll auf EU-Ebene das Carbon Farming legislativ einrahmen. In Deutschland gibt es jetzt die Carbon Management Strategie. Da stehen wir noch am Anfang vieler Diskurse, wie genau dort jetzt eine Tonne Kohlenstoff je nach Landnutzungsart und Erhebungsmethodik differenziert vereinheitlicht werden soll. Carbon Farming ist eigentlich ein Schlagwort, das sich Politiker oder Bürokraten ausgedacht haben. In der Realität der Landnutzung oder in der Landnutzungsbewegung findet es keinen Widerhall.

 

Das Interview führte Julia Broich


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