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Nachgefragt
28. Februar 2024

Das Prinzip Schwammstadt gegen Starkregen und Hitze

Der Umgang mit Regenwasser in der Stadt ändert sich. Kommunen arbeiten daran, Regen nicht einfach abzuleiten, sondern zu nutzen: zur Bewässerung des Stadtgrüns oder zum Auffüllen des Grundwassers. Darla Nickel von der Berliner Regenwasseragentur berichtet von den Herausforderungen des Umbaus.

Die Umweltingenieurin Darla Nickel ist die Leiterin der 2018 gegründeten Berliner Regenwasseragentur.

Die Umweltingenieurin Darla Nickel ist die Leiterin der 2018 gegründeten Berliner Regenwasseragentur.
(Bildnachweis: Berliner Regenwasseragentur / Foto: Ahnen&Enkel/Silke Reents)

Frau Nickel, was ist die Aufgabe der Berliner Regenwasseragentur?

Die Regenwasseragentur ist eine Servicestelle, wir beraten bei Bauvorhaben, bieten Unterstützung im Planungsprozess und bei der Entwicklung oder dem Umbau von Quartieren. Außerdem vernetzen wir Akteure miteinander und organisieren Fachaustausch. Wir bieten Weiterbildung an für all jene, die im Baugeschehen unterwegs sind, für Planer oder auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Bezirksämter und Wohnungsunternehmen. Auch bei strategischen Debatten und bei der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für das Regenwassermanagement sind wir dabei. Hoheitliche Aufgaben erfüllen wir nicht, wir sind auch nicht selbst für das Regenwasser-Management zuständig.

Was sind die neuen Aufgaben, die die Stadt in Bezug auf das Regenwasser meistern muss?

Regenwasser wird in der Berliner Innenstadt zusammen mit Abwasser aus Gewerbe und Haushalten über die Kanalisation zu den Klärwerken geleitet, das gereinigte Abwasser danach wieder in die Gewässer abgegeben. Zunehmende Starkregenereignisse, aber auch langanhaltende Trockenheit lassen die Ableitung von Regenwasser nicht mehr zeitgemäß erscheinen. Die dezentrale Bewirtschaftung, das heißt das Speichern, Nutzen und Versickern vor Ort, ist das Gebot der Stunde. Es gilt, bei Starkregen ein Überlaufen der Kanalisation zu vermeiden. In diesem Fall nämlich fließt das Wasser ungereinigt in die Spree oder den Landwehrkanal. Der vor Ort in den Boden versickerte Regen ist zudem wertvoll, weil er dem Stadtgrün zur Verfügung steht. Bäume und andere Pflanzen verdunsten es und kühlen damit die Stadt.

Soll gar kein Regenwasser mehr über die Kanalisation abfließen?

Wir werden es nicht schaffen, alles Regenwasser zurückzuhalten. Das ist nicht leistbar in so einer dicht bebauten Stadt wie Berlin. Aber bei Neubauvorhaben gilt inzwischen: Das Regenwasser muss vor Ort bewirtschaftet werden. Einer Ableitung in die Kanalisation wird nur in sehr seltenen, begründeten Ausnahmefällen zugestimmt.

Wie kann denn das Regenwasser vor Ort bewirtschaftet werden?

Da gibt es eine breite Palette von Möglichkeiten – sie alle benötigen Fläche, ein knappes Gut. Versickerung ist oftmals die preiswerteste Lösung, vor allem wenn man auf der grünen Wiese baut. Man schafft eine Mulde, das Wasser wird an der Oberfläche gespeichert und sickert dann in den Boden. Allerdings muss an dieser Stelle eine definierte Bodenpassage eingebracht werden, die das Wasser reinigt und der Boden muss durchlässig sein. Bei Böden mit Lehmschichten, wie sie auch in Berlin mancherorts zu finden sind, ist diese Lösung dann nicht alleine ausreichend. Retentionsdächer bzw. Gründächer können ebenfalls Regenwasser zwischenspeichern und teilweise verdunsten. Sie müssen inzwischen auf Flachdächern ab einer bestimmten Dachgröße angelegt werden. Fassadenbegrünung gehört auch dazu. Weiter gibt es Zisternen und Rigolen sowie oberirdisch angelegte Wasserbecken, beispielsweise am Potsdamer Platz. Meist ist es eine Kombination verschiedener Elemente, die am Ende die Lösung bilden.

Die neuen Vorschriften für die Regenwasserbewirtschaftung in Berlin gibt es seit 2018. Wie haben denn die Architekten und die Bauwirtschaft gelernt, damit zu leben?

Der Lernprozess ging erstaunlich schnell. Am Anfang war die Sorge natürlich groß, insbesondere bei Bauvorhaben, die bereits in der Planung waren und deren Flächennutzung feststand. Es gab mehr als eine Kuh auf dem Eis, die Arbeit in dieser Zeit war besonders intensiv. Viel Austausch zwischen Bauleuten, Senatsverwaltung und den Wasserbetrieben war notwendig. Inzwischen sind die Prozesse und Verfahren erprobt, wir können auf viele gute Beispiele und Erfahrungen zurückgreifen. Dennoch kommt es hin und wieder vor, dass fertige Baupläne ohne Regenwasserplanung vorgelegt werden.

Welche Möglichkeiten gibt es in der dicht bebauten Innenstadt?

In der Regel gibt es eine strikte Trennung zwischen privaten Flächen und den Flächen im öffentlichen Raum, also zum Beispiel Straßen, Parks oder Plätzen. Für die öffentlichen Flächen gilt es, die Stadtbezirke, Bauämter, Tiefbauämter, Grünflächenämter und die Wasserbetriebe an einen Tisch zu bekommen. Wenn es zu wenig Fläche gibt, wird es schwierig. Wenn man zum Beispiel das Regenwassermanagement einer Straße zu 100 Prozent vor Ort managen will, braucht man zwischen 15 und 25 Prozent der versiegelten Fläche zusätzlich. Man konkurriert mit allem, mit Parkplätzen, Radwegen und womöglich sogar mit Baumstandorten und das sollte nun wirklich nicht der Fall sein. Auch die Fahrbahnen werden tendenziell breiter, um den Anforderungen der ÖPNV, Feuerwehr, etc. zu genügen.

Kann man Regenwasser von Plätzen und Straßen nicht in Parks ableiten und dort sinnvolle Lösungen schaffen?

Das ist eine prinzipiell oft sinnvolle Lösung und wird immer öfter angestrebt. Zu Bedenken ist, dass auch die Grünflächen bereits stark beansprucht werden und viele unterschiedlichen Funktionen bedienen müssen. Es braucht also passende Lösungen, welche die Nutzung der Grünflächen als Erholungsort nicht einschränkt. Und noch eine Hürde gibt es: Grünflächen sind per se auch immer potenzielles Bauland, die Bezirksämter tun sich also schwer, Grünflächen dauerhaft für das Regenwassermanagement herzugeben, wenn damit die Gefahr einhergeht, über das Land nicht mehr verfügen zu können.

Sind dann Rigolen das Mittel der Wahl?

Rigolen werden unterirdisch eingebaut, man verbuddelt sehr viel Material unter der Erde, man bewegt viel Boden. Schadstoffe im Regenwasser müssen mit Hilfe einer technischen Anlage, eine Art Filter, entfernt werden, bevor das Regenwasser zur Versickerung gebracht wird. Rigolen sind also teuer und aufwendig. Man errichtet sie in der Regel dann, wenn es wenig Fläche an der Oberfläche gibt und die Versickerungsverhältnisse nicht so gut sind, man also mehr Speichervolumen braucht. Am zentral gelegenen und denkmalgeschützten Gendarmenmarkt wurden z.B. bei der Sanierung unterirdische Rigolen gewählt. Neben dem Denkmalschutz hat die intensive Platznutzung den Ausschlag für diese Entscheidung gegeben. Jetzt können hier jährlich rund 8.000 Kubikmeter Regenwasser versickern. Die Entlastung der Mischwasserkanalisation und die Gewinne für das Grundwasser sind es wert gewesen.

Ist eine Schwammstadt eigentlich automatisch eine grüne Stadt?

Das ist eine berechtigte Frage. Oft wird so getan, als würden sich all die positiven Effekte – grüne Bäume, gute Luft, angenehmes Klima – von allein einstellen. Das Prinzip ist einfach: Der Boden ist der größte Speicher, den wir haben. Alles Wasser, was wir in den Boden bringen, ist auch eine Quelle zur Versorgung der Stadtvegetation. Sind die Grundwasserspeicher gut gefüllt, kann man es fördern, um Bäume zu bewässern. Noch besser ist es, wenn Wasser im Oberboden gespeichert ist und die Bäume es über ihre Wurzeln aufnehmen können. Denn die Bäume sind letztlich die größte Klimaanlage der Stadt. Sie spenden nicht nur Schatten, sondern verdunsten Wasser und entziehen dafür der Luft Wärme – das sorgt zusätzlich für eine echte Abkühlung an heißen Tagen. Deshalb muss man die Schwammstadt zusammen mit Bäumen denken, müssen Versickerung und Grün nah beieinander liegen. Praktisch ist es oft nicht so einfach, das Wasser für die Bäume zugänglich zu machen.

Und wie gelingt es?

Die Nutzungen rund um Straßen- und Fußwege sind oft so intensiv, dass wir keine wasserwirtschaftlichen Anlagen unterbringen können, wie beispielsweise Versickerungsmulden. Es bleiben niedrigschwellige Lösungen: Entsiegelungen, Vergrößerungen der Baumscheiben, im Idealfall eine Verbindung der Baumscheiben untereinander. Auch die Idee der Wassertanke – Regentonnen an Häusern aufgestellt von engagierten Anwohnerinnen und Anwohnern – kann wertvolles beitragen.

Welche Städte können Berlin als Vorbild dienen in punkto Schwammstadt?

Gut vergleichbar ist Berlin mit Hamburg, dort werden ähnliche Ziele verfolgt und wir stehen im engen Austausch. Amsterdam ist von den Bedingungen her zwar sehr anders. Dort ist das Grundwasser direkt unter der Oberfläche. Doch von dort kommen viele innovative und mutige Ideen. Wegweisend ist für mich auch, was an Emscher und Lippe geleistet wird. Die Emscher war eine Kloake, die Kolleg:innen von der Emschergenossenschaft und Lippe-Verband haben sie saniert, das Abwasser herausgeholt aus dem Fluss und Abwasserkanäle gebaut. Weil das Regenwasser nicht komplett im Kanal landen soll, wird dort ein ähnlicher Ansatz verfolgt. Dort wie hier steht aber mittlerweile Regenwasser als Ressource im Fokus. Es ist zu wertvoll für den Kanal, oder wie wir gerne sagen, zu gut für den Gully.

Vor welchen Herausforderungen ganz allgemein steht der Umbau zur Schwammstadt?

Der Umbau zur Schwammstadt ist unumgänglich. Städte stehen vor Problemen, die nicht über die Kanalisation gelöst werden können. Der Weg zur Schwammstadt ist allerdings kein kurzer, sondern er braucht seine Zeit – Jahrzehnte – und seine Vielfalt. Auf neue Fragen gilt es eine Antwort zu finden, wir werden bei Lösungen landen, die wir heute vielleicht noch nicht kennen. Und der Stadtumbau ist nicht zum Nulltarif zu haben, auch dafür brauchen wir Lösungen. Wenn wir die notwendigen Umbauten nicht stemmen, werden wir später das Geld ausgeben, um Schäden zu beseitigen. Eine Schwammstadt ist eigentlich als solche nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Die Maßnahmen fügen sich oft im Stadtbild ein. Deshalb ist Aufklärungsarbeit so wichtig.

Das Gespräch führte Petra Franke.


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