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Nachgefragt
22. Januar 2024

Jede Kilowattstunde erneuerbarer Strom drängt Fossile aus dem Markt

Die Energy-Charts sind eine seriöse und vielzitierte Datenquelle, wenn es um die Energiewende in Deutschland geht. Darüber hinaus finden sich in den interaktiven Zahlen und Grafiken schlagkräftige Argumente gegen falsche Behauptungen und Irrtümer.

Bruno Burger und sein Team haben die Energy-Charts am Fraunhofer ISE aufgebaut und entwickeln sie stetig weiter.

Bruno Burger und sein Team haben die Energy-Charts am Fraunhofer ISE aufgebaut und entwickeln sie stetig weiter.
Foto: Fraunhofer ISE

Seit mittlerweile zehn Jahren bieten die Energy-Charts aktuelle Zahlen und Grafiken zum Erneuerbaren Ausbau, zu Energieträgern in der Stromerzeugung und anderen Kennzahlen aus dem Energiemarkt – eine wahre Fundgrube für die vielfältigsten energiepolitischen Fragestellungen. Bruno Burger und sein Team vom Fraunhofer ISE sind unermüdliche Datensammler und Erklärer hinter den Zahlen.

Herr Burger, wie begann die Geschichte der Energy-Charts?

Die erste Grafik zur Stromerzeugung in Deutschland habe ich im Mai 2011 für die Kalenderwoche 18 gemacht. Damals gab es nur drei Kategorien: Solar, Wind und konventionell. Mich hat die Äußerung des damaligen Chefs der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, geärgert – er hatte wegen hoher Solarstromerzeugung vor einem Blackout an Pfingsten gewarnt. Dieser irreführenden Aussage wollte ich mit Argumenten entgegentreten. Die Grafik habe ich mit heruntergeladenen Daten individuell aufbereitet. Die Resonanz war groß, deshalb folgten weitere. Damit stieg auch der Aufwand, denn manche Zahlen ändern sich rückwirkend.

Dabei sind Statistiken und Energiedaten gar nicht Ihr eigentliches Forschungsgebiet…

Nein. Ich bin Ingenieur für Elektrotechnik, ganz speziell Leistungselektroniker, habe eine Honorarprofessur für Leistungselektronik am KIT und war damals Abteilungsleiter für Leistungselektronik am Fraunhofer ISE. Mit Energiedaten hatte ich gar nicht so viel am Hut. Weil aber immer wieder falsche Behauptungen zu den Erneuerbaren Energien und zur Energiewende in den Debatten auftauchten, habe ich den Schwerpunkt meiner Arbeiten auf die Energiedaten verlegt, um einen positiven Beitrag für die Energiewende mit aussagekräftigen Zahlen zu leisten.

2014 gingen die Energy-Charts Online, viele neue Features kamen seitdem hinzu. Bekommen Sie dafür Förderung, haben Sie ein Team?

Förderung des Bundes haben wir keine bekommen, obwohl wir zu Beginn damit gerechnet hatten. Die damalige Bundesregierung entschied aber, eine eigene ähnliche Plattform unter Ägide der Bundesnetzagentur zu initiieren, die Plattform smard. Die Weiterentwicklungen bei den Energy-Charts wurden über die Jahre durch studentische Arbeiten realisiert. 2020 haben wir mit einer neuen Softwareplattform einen großen Sprung gemacht. Das Geld dafür kam zum Teil von der Deutschen Bundestiftung Umwelt DBU und aus hauseigenen Mitteln des Fraunhofer ISE. Neben der verbesserten Nutzerfreundlichkeit lässt sich seitdem unter anderem der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung im Viertelstunden-Takt aufgelöst anzeigen und die Pumpspeicherkraftwerke wurden integriert. Bei den Daten zu Preisen sind seit 2020 als wichtiges neues Element die aktuellen Preise der CO2-Emissionzertifikate enthalten, die man mit den aktuellen Börsenstrompreisen vergleichen kann.

Auch Daten von anderen europäischen Ländern sind zu finden…

Daten von allen europäischen Ländern haben wir seit August 2021 integriert. Aktuelle Zahlen, aber auch für Zeiträume zusammengefasste Zahlen zu Import und Export von allen Energieträgern, also auch Kohle und Erdgas sind abrufbar. Man kann ganz deutlich sehen, dass jede Kilowattstunde erneuerbarer Strom die fossile Erzeugung zurückdrängt. Zusätzlich haben wir das komplette Marktstammdatenregister in der Karte drin. Das sind fast drei Millionen Kraftwerke in Deutschland, das war eine große Anstrengung.

Und welche neuen Features wollen Sie schon jetzt ankündigen?

Wir werden Daten aus Deutschland regional differenzierter bereitstellen. Zunächst aggregiert auf die vier Übertragungsnetzbetreiber aufgeteilt, im zweiten Schritt die Stromerzeugung für die Bundesländer aktuell darstellen. Denn die Länder sind sehr langsam mit der Veröffentlichung ihrer Zahlen – das dauert bis zu zwei Jahren. Eine aktuelle energiepolitische Diskussion kann man mit solch veralteten Zahlen nicht sinnvoll führen. Wir berechnen die Daten selbst – aus Satellitendaten zum Wetter und aus den Anlagendaten des Marktstammdatenregisters. Weil für die Energiewende Erzeugung und Verbrauch besser in Einklang zu bringen sind, wollen wir zudem den Vorhersagehorizont der bereits veröffentlichten Stromampel erweitern – so dass man bestimmte Verbräuche, z.B. das Laden eines Autos auch für mehrere Tage im Voraus planen kann.

Die Falschbehauptungen und Irrtümer bleiben Ihnen aber erhalten, wenn auch in immer neuer Gestalt…

Ja, das stimmt. Aber – und das ist mir wichtig – auf solche Behauptungen und Interpretationen kann man nur angemessen reagieren mit aktuellen und belastbaren Zahlen. Jüngstes Beispiel: die Äußerung von Jens Spahn (CDU) zum Jahresende 2023, in Deutschland würde so viel Kohle verstromt wie noch nie zuvor, so seine Behauptung. Ganz im Gegenteil: Der Graph der Kohleverstromung geht kontinuierlich nach unten. Im Dezember 2023 wurde so wenig Kohle verstromt wie zuletzt im Jahr 1959.  Übrigens haben wir, um die Zeitreihen so weit in die Vergangenheit abbilden zu können, tatsächlich alte gedruckte energiewirtschaftliche Berichte ab 1950 ausgewertet und Daten in die Datenbank übertragen. Digitale Daten dazu gibt es erst seit 1990.

Ihre Daten widerlegen auch die Aussage, die Abschaltung der Kernkraftwerke habe zu höheren Strompreisen und Importen geführt…

Im ersten Quartal 2023 wurde intensiv über mögliche negative Folgen des Atomausstiegs diskutiert. Wenn man in den Balkendiagrammen sieht, wie marginal der Anteil des Atomstroms zu diesem Zeitpunkt war, ist keine Black-out-Behauptung mehr ernst zu nehmen. Kurze Zeit später wurden die Importe ins Feld geführt: Deutschland würde den fehlenden Atomstrom mit Importen ersetzen. Gleichzeitig zur Abschaltung am 15. April war aber auch der Übergang von Winterbetrieb auf Sommerbetrieb. Im Winter ist Deutschland Stromexporteur, da kann man sehr viel Geld verdienen mit Strom. Im Sommer sind wir eher Importeur, weil vielerorts mehr Strom erzeugt wird als nachgefragt und sich eine fossile Erzeugung dann nicht rentiert. Die Importe wurden also zu einem Zeitpunkt diskutiert als sie erwartungsgemäß hoch gingen und als Ursache dafür – absichtlich oder aus Unkenntnis, aber auf jeden Fall zu Unrecht die fehlenden Atomkraftwerke genannt. Ein weiteres Argument sollte man dabei im Kopf haben:  Ein großer Teil des nach Deutschlands importierten Stroms stammt aus erneuerbaren Energien – Windkraft in Dänemark und Wasserkraft aus Norwegen.

In Ihren Zahlen und Grafiken gibt es bestimmt noch weitere Botschaften, die vielleicht weniger wahrgenommen werden. Haben Sie da ein Beispiel?

Aussagen zu Preisen werden viel diskutiert. Wir stellen in den Energy-Charts die Day Ahead Preise im Stromhandel für die einzelnen europäischen Länder dar. Dort ist zu sehen, dass Deutschland hinter Schweden, Norwegen und Dänemark die niedrigsten Großhandelspreise für Strom hat. In allen anderen europäischen Ländern ist der Strom an der Strombörse teurer. Dennoch sind unsere Verbraucherpreise hoch – das liegt an Steuern und Abgaben. Wenn Endkundenpreise verglichen werden, darf man deshalb nicht vergessen, dass dabei verschiedene Subventionen und Steuersätze drinstecken. Frankreich beispielsweise musste den Konzern EDF verstaatlichen, weil er insolvent war – und damit subventioniert der Steuerzahler den Stromtarif.

Die Energy Charts weisen auch die Eigenstrommengen aus, welchen Effekt haben sie auf das Gesamtbild?

Mit dem Eigenverbrauch von Solarstrom kann man Geld sparen. Wir sehen das an den Zahlen. Die ins Netz eingespeiste Solarstrommenge nimmt nicht so stark zu wie der Photovoltaik-Zubau. Der Strom wird in Privathaushalten, aber auch in Industrie und Gewerbe selbst genutzt. Daraus resultiert ein geringerer Strombezug aus dem Netz – das wiederum deuten einige als Deindustrialisierung. Im europäischen Vergleich sehen wir aber eine ähnliche Entwicklung. Der Strombezug aus dem Netz geht zurück. Ein Teil davon kann Konjunkturschwäche sein, ein anderer Teil sind ganz sicher Effizienzmaßnahmen, in Deutschland wahrscheinlich aufgrund der hohen Preise auch Sparmaßnahmen. Aber ein nicht geringer und messbarer Teil resultiert eben auch aus der Eigenstromnutzung.

Wie beurteilen Sie den Weg Deutschlands in punkto Energiewende?

Wir sind auf einem guten Weg. Wir hatten 2023 schon einige bemerkenswerte Rekorde. Das Kapitel Atomenergie ist abgeschlossen, jetzt können wir uns voll und ganz dem geordneten Ausstieg aus anderen fossilen Quellen widmen. Die Weichen in den Gesetzen sind gut gestellt. Jede Kilowattstunde aus Erneuerbaren Energien geht jetzt auf Kosten der Fossilen, jedes Solarmodul jede Windkraftanlage bedeutet sofort weniger Fossile im Strommix.

Das Gespräch führte Petra Franke.


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