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Nachgefragt
06. Mai 2024

„Wir müssen mit der Photovoltaik mithalten“

Bei der Wärmegewinnung aus Sonnenkraft – der Solarthermie – nimmt Österreich eine Vorreiterrolle ein. Im Interview spricht Roger Hackstock über die Anfänge und über aktuelle Entwicklungen, bei denen es um die Integration der Solarthermie in Wärmenetze und die Industrie geht.

Roger Hackstock ist Geschäftsführer des Solarwärmeverbandes Austria Solar.

Roger Hackstock ist Geschäftsführer des Solarwärmeverbandes Austria Solar.
(Foto: Jantzen)

Österreich gehört zu den Top-Solarthermiemärkten in Bezug auf die installierte Solarthermiefläche. Es sind 343 Kilowatt pro 1000 Einwohner – Platz vier in der Rangliste nach Barbados, Zypern und Israel. Woher kommt das?

Roger Hackstock: Österreich hatte mit der Selbstbaubewegung in den 1980er Jahren ein gutes Jahrzehnt Vorsprung bei der Solarthermie, das hat uns von Anfang an auf die vordersten Plätze katapultiert. Einen neuerlichen Schub brachte Anfang der 2000er Jahre die Initiative klimaaktiv des Umweltministeriums. Austria Solar organisierte das größte Programm darin, das Technologieprogramm klimaaktiv Solarwärme. Das lief von 2004 bis 2009 mit einem Budget von 3,5 Mio. Euro. Es wurden 170.000 Broschüren verteilt, auf zwei Dutzend Messen Beratungsstände organisiert, rund 500 Installateure zu Solaranlagen geschult. Das Ergebnis des Ganzen war eine Marktverdopplung von 180.000 auf 356.000 m2 Kollektorfläche. 2009 war das stärkste Jahr in der Geschichte der Solarwärme in Österreich.

Zeitgleich hast Du den Europäischen Tag der Sonne ins Leben gerufen, der 2008 erstmals stattfand. Wie kam Dir die Idee und welche Mitstreiter konntest Du dafür am Anfang gewinnen?

Ich war auf einen Zeitungsbericht zu „Sonnenmonat Mai, Wonnemonat Juni“ gestoßen, eine öffentlichkeitswirksame Aktion zu Solarthermie in den 1980er Jahren mit vielen Veranstaltungen. Zwei Monate schienen mir zu lang, aber was wäre mit einem „Tag der Sonne“? So startete ich im Jahr 2002 die Initiative, wobei von Anfang an das Klimabündnis Österreich im Boot war. Zwei Jahre später übernahm Swissolar das Konzept, wieder zwei Jahre später der deutsche Solarverband. Das war eindeutig zu langsam, daher reichten wir gemeinsam mit dem Europäischen Solarverband ein EU-Projekt ein, um den Tag der Sonne auf acht Länder auszuweiten.

Letztlich lief der Europäische Tag der Sonne zehn Jahre lang, zum Schluss mit über 7.000 Events in 16 Ländern. In den letzten Jahren der Aktion hat sich allerdings gezeigt, dass es zunehmend nicht mehr nur um Solarenergie, sondern um Erneuerbare insgesamt geht, inklusive Elektromobilität. Da hat sich das Konzept des Aktionstags rein für Solarenergie überlebt, der ist dann ausgelaufen.

Seit 2010 verliert die Solarthermie in Österreich an Boden. Warum?

Ab 2010 wurde Solarwärme in der öffentlichen Wahrnehmung immer mehr von Photovoltaik und Wärmepumpen verdrängt, vor allem bei den privaten Kleinanlagen. China hatte den europäischen Photovoltaikmarkt mit unfairen Dumpingpreisen komplett übernommen. Mit diesem staatlich gelenkten Preisverfall der Konkurrenztechnologie konnte die heimische Solarwärmebranche nicht mithalten. Ab da redeten alle nur noch über Strom. Der Markt und die Politik haben sich total gedreht. Natürlich ist es toll, dass wir bei Ökostrom auf dem Weg zu 100 % sind. Wir kommen aber langsam darauf, dass das größte Problem bei der Wärme liegt und wir die Dekarbonisierung der Wärme noch kaum angetastet haben. Das wird uns die nächsten Jahre mehr beschäftigen.

2010 hattest Du wieder einen großen Lobbyerfolg zu verzeichnen. Auf die Initiative von Austria Solar hin, hat der Klimafonds damals das Förderprogramm für solarthermische Großanlagen gestartet. Wie sieht Deine Bilanz aus?

Das Programm lief gut, mit über 200 Projekten allein in den ersten fünf Jahren. Es hat auch neue Projektentwickler ins Spiel gebracht, die vorher nicht am Markt waren. Die braucht es bei Großanlagen. Das ist eine neue Liga, die die Solarfirmen allein nicht stemmen können. Darum haben wir die Projektentwickler auch in den Verband aufgenommen, was echt eine Bereicherung ist.

Trotzdem hast Du noch einen draufgesetzt und erfolgreich für einen 45 Millionen Euro schweren Fördertopf beim Klimafonds lobbyiert, der Machbarkeitsstudien und Großanlagen mit beliebiger Größe unterstützte.

Für das kleine Österreich war das in der Tat ein gewaltiges Programm, das 2021 startete (link zu solarthermalworld.org/news/uncapped-funding-large-solar-heat-plants-austria/) 30 Machbarkeitsstudien für Solarthermieanlagen wurden gefördert, die theoretisch zu Investitionen im Wert von 0,5 Milliarden Euro führen könnten. Die ersten vier Anlagen daraus sind bereits in Bau, darunter die weltweit größte Anlage mit PVT-Kollektoren für eine Prozesswärmeanlagen in der Textilindustrie. Von den 45 Millionen wurden 33 Millionen Euro abgeholt. Nun hoffen wir, dass der Klimafonds den Schwung halten kann. Das Programm wird gerade umstrukturiert.

Wie sind die Zukunftsperspektiven der Solarthermie in Österreich?

Es klopfen immer mehr Betriebe an, die den Gas- oder Ölkessel komplett rauswerfen wollen. Hier brauchen wir Gesamtlösungen der Projektentwickler. Bei den Lösungen ist dann immer Solarwärme im Spiel, das ist ein wichtiges zukünftiges Standbein der Branche. Wichtig ist hier, dass sich die Förderlandschaft nicht allein auf Strom konzentriert, sondern den Fokus auf die Wärme legt, wo der Rollout für betriebliche klimaneutrale Lösungen noch zögerlich vorangeht.

Ermutigend ist auch, dass wir bei Big Solar Graz weiter sind als je zuvor. Wir reden hier von einer Gesamtinvestition für Kollektorfeld, Speicher, Wärmepumpe und Biomassekessel von 280 Millionen Euro für grüne Fernwärme für 50.000 Haushalte. Die 60 HektarGrundstücksfläche für das 28 Hektar große Kollektorfeld sind gesichert. Der 1,5 Million Kubikmeter große Speicher soll durch Flutung eines stillgelegten Basalt-Steinbruches 20 km südlich von Graz entstehen. Wenn die Anlage wie geplant 2028 in Betrieb geht, dann nimmt sie einen Spitzenplatz ein im Ranking der größten Solarthermieanlagen weltweit.

Wie sieht es im Bereich private Kleinanlagen aus?

Hier müssen wir ganz klar mit der Photovoltaik mithalten. Das heißt Vereinfachung in Richtung Plug-and-Play Installation und Übernahme der bei PV üblichen digitalen Visualisierung beim Kunden auch für Solarwärme-Kleinanlagen. Erschwert wird die Situation durch das Umschwenken der Heizungsinstallateure auf Photovoltaik. Die sind uns quasi untreu geworden.

Das auch in diesem Segment mit zusätzlicher Kommunikation noch einiges zu bewegen ist, haben wir gerade in der Steiermark gezeigt. Die Verdoppelung der Förderung von 150 auf 300 EUR pro m2 haben wir zusammen mit der steirischen Innung und der Landesregierung in einer Kampagne beworben. 160 Plakate auf der Straße, eine Serie in der Tagespresse und Messeauftritte. Nach Aussage der Förderstelle zeigt das auch schon Wirkung, die Anzahl der Förderanträge hat sich heuer verdoppelt, im Vergleich zum Vorjahr. So macht die Arbeit Spaß, muss ich sagen!

Trotz Deines intensiven Berufslebens als Solarlobbyist hast Du es immer wieder geschafft, an Buchprojekten zu arbeiten. Gibt es da etwas Neues?

Tatsächlich arbeite ich gerade wieder an einem neuen Buchprojekt, das nächstes Jahr veröffentlicht werden soll. Darin geht es um Wege, wie wir mit mehr Gelassenheit und Humor statt Empörung und Verzweiflung die Kurve kriegen, um das fossile Zeitalter möglichst rasch zu verlassen. Wenn ein klimagerechter Alltag einmal die unaufgeregte Normalität ist, haben wir es geschafft. Im Buch zeige ich, wie uns das gelingen kann, ohne uns ständig zermürbend in Sorgen zu ergehen.

Roger Hackstock feiert dieses Jahr sein 20-jähriges Jubiläum als Solarthermie-Lobbyist. Von 2002 bis 2013 und wieder seit 2016 leitet er den österreichischen Verband Austria Solar. Er sprüht immer noch voller positiver Energie, wenn er über die Herausforderungen der Zukunft seiner Branche spricht. Die Austria Solar Mitglieder spornt er unermüdlich an: „Wir müssen uns aktiver ins Spiel bringen mit Turnkey Lösungen bei den Großanlagen“ oder „Wir müssen mit der PV mithalten“.

Das Gespräch führte Bärbel Epp, Gründerin und Geschäftsführerin der auf Solarthermie spezialisierten Marktforschungsagentur Solrico.

Weitere Informationen zur Solarwärme in Österreich


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