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Nachgefragt
09. Mai 2017

„Wir machen Divestment mit Schwarmintelligenz“

Das Thema Divestment ist weltweit auf dem Vormarsch, immer mehr Institutionen und Unternehmen ziehen ihr Geld aus fossilen Geschäften ab. Wir haben mit Tine Langkamp von Fossil Free Deutschland über die Dezentralität der Bewegung, Schwarmintelligenz und die Zukunft der Kampagnen gesprochen.

Tine Langkamp ist Divestment Campaigner bei Fossil Free Deutschland. (Foto: Linda Choritz - Lichtgestalten)
Tine Langkamp ist Divestment Campaigner bei Fossil Free Deutschland. (Foto: Linda Choritz - Lichtgestalten)

09.05.2017 – Die Divestment-Bewegung – also das Abziehen von Geld aus fossilen Energien und das Investieren in „gute Geschäfte“ – hat vor ein paar Jahren auch Deutschland erreicht. Was wurde hierzulande bereits erreicht?

Wir haben tatsächlich eine Bewegung aufgebaut! Es gibt inzwischen über 25 Lokalgruppen mit mehreren hundert Menschen in Deutschland, die auf kreative Art und Weise Kampagnen machen, dadurch das Thema Klimawandel immer wieder in die Öffentlichkeit bringen und die Kohle-, Öl- und Gasindustrie als Verursacher an den Pranger stellen. Die größte Leistung ist dabei wohl die öffentliche Debatte über das Thema.

Sind daraus konkrete Erfolge hervorgegangen?

Ja, die Früchte dieser Arbeit sind besonders die Divestment-Erfolge in den Städten Münster, Stuttgart und Berlin. Wir können aber auch sehen, dass sich ganz große Akteure bewegen. Die Deutsche Bank ist zum Beispiel in diesem Jahr aus der direkten Finanzierung von Kohleprojekten ausgestiegen. Das war ein riesiger Erfolg, denn viele Jahre hat die Bank sich nicht bewegt und blockiert. Das ist natürlich noch nicht genug, trotzdem ist es ein Zeichen was unter dem Einfluss der globalen Divestment-Bewegung möglich ist.

Welche Branchen haben denn bislang das meiste Geld aus Kohle, Öl und Gas abgezogen?

In Deutschland sind es vor allem die Kommunen und Bundesländer, die Divestment-Strategien entwickeln und entsprechende Beschlüsse fassen. Dagegen sind die Universitäten in Deutschland Schlusslicht, anders als im Ausland gibt es hierzulande noch keine einzige, die deinvestiert hat. Obwohl es in diesem Bereich schon lange Kampagnen gibt. Irgendwo dazwischen liegen die berufsspezifischen Pensionsfonds, als gute Beispiele kann man die Ärzteversorgung und die Presseversorgung nennen.

Was ist mit den Kirchen? Immerhin stehen die für die Bewahrung der Schöpfung?

Bei den Kirchen tut sich immer mehr, die sind sozusagen dabei den zweiten Platz hinter den Kommunen zu erobern. Besonders die evangelische Kirche hat einige Beschlüssen gefasst, die Synode, also das Kirchenparlament, hat offiziell Divestment empfohlen und dem sind bereits einige Landeskirchen gefolgt. Vorreiter ist die Landeskirche Hessen-Nassau und auch die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ist gerade dabei. Auch weltweit liegen die Kirchen vorn: 23 Prozent der Divestment-Verpflichtungen gehen auf ihr Konto! Erst danach kommen dann Stiftungen und öffentliche Verwaltungen und Kommunen.

Wenn wir uns die Divestment-Bewegung weltweit anschauen, welche Länder sind da Vorreiter?

Als Vorreiter könnte man definitiv die USA und Australien betrachten. Die ersten Divestment-Kampagnen sind in den USA gestartet, dort geschieht noch immer sehr viel in diese Richtung, was auch etwas mit dem zeitlichen Vorsprung zu tun hat.

Was ist das Erfolgsrezept der Divestment-Bewegung?

Ich glaube die Divestment-Bewegung ist so erfolgreich, weil sie einen fest umrissenen Rahmen bietet mit konkreten Forderungen, die relativ einfach umsetzbar sind. Ein weiterer Vorteil ist die Dezentralität. Die Idee funktioniert in vielen Ländern der Welt, natürlich auf den lokalen Kontext angepasst, und spricht viele Menschen an, die selbst aktiv werden können. Teil unserer Arbeit ist eine Open-Source-Kampagne mit der wir Materialien wie Leitfäden, Flyer, Factsheets zur Verfügung stellen und uns gegenseitig austauschen. Wir machen also sozusagen Divestment mit Schwarmintelligenz.

Wieviel Potenzial steckt noch in dem Thema Divestment?

Ich glaube, es gibt noch viel Potenzial in den großen Sektoren wie bei Banken und Versicherern. Das Thema müsste auch noch mehr in die öffentliche Debatte gerückt werden. Denn was wir beobachten ist: Wenn eine Stadt in Deutschland sich für Divestment entscheidet, ist das keine bundesweite Nachricht mehr, es ist nur noch ein lokales Thema. Wenn eine Deutschen Bank, die Allianz oder Hannover Rück deinvestieren würden, hätte das eine hohe Strahlkraft. Genauso etwa wenn Schalke 04 seinen Sponsoringvertrag mit Gazprom beenden würde – solche Geschichten würden Aufmerksamkeit auf das Thema lenken und eine noch größere Debatte anstoßen, die wir dringend benötigen.

Und wie sieht die Zukunft der Divestment-Bewegung aus?

Auch ohne solche Erfolge wird das Thema Divestment in den nächsten Jahren an Gewicht gewinnen, weil es der Bewegung sehr gut gelingt, die fossile Industrie an den Pranger zu stellen. Ich denke aber auch, dass sich die Kampagne transformieren und mehr mit konkreten Infrastrukturprojekten arbeiten wird. Es geht darum, die Verbindung zwischen neuen Kohle-, Öl- und Gasprojekten und den Geldgebern herzustellen. Wir haben das kürzlich beim Kampf um die Dakota Access Pipeline in den USA gesehen: Der lokale Widerstand gegen die Pipeline wurde mit dezentralen Divestment-Kampagnen verknüpft und die Forderung an die beteiligten Banken gestellt, aus diesem Projekt und auch allen anderen fossilen Geschäften auszusteigen. In Zukunft wird es wichtiger, solche Bewegungen zu stärken.

Das Interview führte Clemens Weiß.


Kommentare

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Edwin Moser 09.05.2017, 12:52:48

+364 Gut Antworten

Ein sehr interessantes Interview. Herzlichen Dank. Besonders die Aussage: "Die größte Leistung ist dabei wohl die öffentliche Debatte über das Thema." finde ich bemerkenswert. Es geht also nicht nur um einen "Divestmenterfolg" an sich, sondern vor allem um die Ächtung von klimaschädlichen Investitionen in der öffentlichen Wahrnehmung und um das breite Engagement der Bevölkerung. Jeder sollte wissen, wie sein (Renten)geld angelegt ist und seine Versicherung, Bank und Pensionskasse zur Transparenz und etisch und ökologisch verantwortbarem Handeln auffordern.

Eitel Heck 12.05.2017, 22:27:32

+386 Gut Antworten

Ich möchte "Divestmenterfolge" nicht schmälern.

Ich begrüße auch die Maßnahmen zur Energieeinsparung und zur effizienten Energienutzung unter der Bezeichnung "Smart Grid" und "Power to Heat".

Eine Klimawende ist nur weltweit lösbar.

Länder mit Gasoligarchen und Ölscheichs wollen weiterhin durch Rohstoffexporte ihren Reichtum und Wohlstand erhalten, teilweise mit großem politischen Einfluss.Deutschland sollte sich nicht überschätzen, zumal einige Länder in den Klimazielen, darunter auch bei erneuerbaren Energien, innovativer sind.

In Deutschland wird bei der Energiewende nur der Verkehr, Wärme-und Stromerzeugung hinsichtlich Umstellung von fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energien betrachtet.

Das Problem ist viel komplexer und die Rohstoffkette wird meist nicht bis zum Ende betrachtet.Bei vielen metallurgischen Prozessen entstehen Co2-Emission oder andere klimaschädliche Abgase( z.B.:Hochofenprozess). Aber auf Metalle können wir nicht verzichten

Solaranlagen sind erneuerbare Energien.

Für Solaranlagen wird Halbleitersilizium benötigt.

Herstellung von Halbleitersilizium:

1.Herstellung von Ferrosilizium aus Sand und Koks( fossiler Rohstoff) bei ca.1.200 ° Celsius mit CO2-Emission,

2.Herstellung von Trichlorsilan( sehr giftig) aus Ferrosilizium mit Chlorwasserstoff( Kupfer als Katalysator)

3.fraktionierte Destillation von Trichlorsilan zu spezialreiner Qualität.

4.Umsetzung von Trichlorsilan mit Wasserstoff zu Halbleitersilizium und Chorwasserstoff als Nebenprodukt.

Ähnlich umweltbelastend ist die Herstellung von Rohstoffen für mikrolektronische und digitale Bauelemente.Zur Herstellung von Mikrochips kommen sehr giftige und umweltbelastende Chemikalien zum Einsatz,wie z.B. Phosphin, Arsin,Flussäure,Trifluormethan, Tetrafluormethan,.Phosphorpentafluorid, Schwefelhexaflurid u.a.

Wenn wir nur noch ökologisch leben wollen, dann müssen wir auf viele Anehmlichkeiten verzichten, vielleicht auch auf Medikamente.


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