Menü öffnen

Mit einem UNO-Abkommen gegen die Stromtrassen

Eine bayerische Grünen-Kreisvorsitzende und umtriebige umweltpolitische Aktivistin zieht auch im Kampf gegen die Höchstspannungsleitungen aus dem Norden vor eine UNO-Kommission in Genf. Die Mitbestimmungspflichten, die das Aarhus-Abkommen vorsieht, werden ihrer Meinung nach in der EU nicht umgesetzt.

23.06.2015 – „Es ist eine Klage, die für Europa bahnbrechend wird.“ Brigitte Artmann hat großes vor – und ist sich ihrer Sache sicher. „Ich weiß, dass ich Recht habe“, sagt die Vorsitzende des oberfränkischen Grünen-Kreisverbands Wunsiedel. Sie ist Gründungsmitglied des europaweiten Netzwerks Nuclear Transparency Watch und hat bei der UNO schon Beschwerden gegen das tschechische AKW Temelin sowie das britische Bauprojekt Hinkley Point C eingereicht (nicht zu verwechseln mit der Klage von Greenpeace Energy wegen unlauterer Konkurrenz und der EU-Beschwerde von EWS). Nun hat sie wichtige Elemente der deutschen Energiepolitik im Visier.

Artmann hat die Aarhus-Konvention-Initiative mitgegründet, die bundesweit Spenden für eine vielfältige Klage sammelt. Es geht gegen die Strategischen Umweltprüfungen, die nötig sind, beziehungsweise waren, bei der deutschen Endlagersuche für den AKW-Müll, dem Netzentwicklungsplan 2014 (der die Stromtrassen beinhaltet), Fracking-Lizenzen, dem Kohleabbau in der Lausitz, der CO2-Lagerung, beim Bundesverkehrswegeplan, dem AKW-Programm Polens und dem Energieprogramm Tschechiens. Zu Grunde liegt die 1998 im Rahmen der UNO beschlossene und im Lauf der Jahre von so ziemlich allen europäischen Ländern ratifizierte Aarhus-Konvention. Sie sichert der Zivilgesellschaft Information und Partizipation bei Projekten mit Umweltauswirkungen zu. Doch die Aarhus-Konvention wird nicht befolgt, sagt Brigitte Artmann.

Die Partizipation der von Projekten mit ökologischer Auswirkung Betroffenen muss gewährleistet sein, „wenn alle Optionen offen sind und effektive öffentliche Beteiligung möglich ist“, zitiert die Grünen-Kreisvorsitzende und -rätin Artikel 6.4 des Abkommens. Ihre Lesart: Die geforderte Verbindlichkeit schließt das Klagerecht der Betroffenen ein.

Da die EU-Direktive zu Strategischen Umweltprüfungen diese frühe und verbindliche Einbindung der Bevölkerung nicht beinhalte, stimme das EU-Recht nicht überein mit dem übergeordneten Abkommen, das den Status eines völkerrechtlichen Vertrags habe (und dem die EU-Kommission übrigens zugestimmt hat), analysiert Artmann. Deshalb richtet sich die Beschwerde gegen die EU.

Für solche Beschwerden gibt es das Aarhus-Komitee, dessen Entscheidungen bisher immer umgesetzt wurden, sagt die umtriebige Aktivistin. Wegen ihrer Einwände gegen Temelin und Hinkley Point sei sie schon zwei Mal bei Sitzungen in Genf dabei gewesen. In beiden Fällen wartet sie noch auf eine Entscheidung. Die neue Beschwerde soll in wenigen Wochen eingereicht sein.

Ein Urteil wird es erst ungefähr zwei Jahre später geben, sagt Brigitte Artmann. Sie will die dann gebauten Trassen abreißen lassen. Doch selbst bei Erfolg der Beschwerde sei es unklar, ob diese Konsequenz gezogen wird. Hoffnung macht ihr der Fall des AKW Mülheim-Kärlich, das den Betrieb nach kurzer Zeit einstellen musste, weil es nicht genau an der im Bauplan vorgesehenen Stelle gebaut worden war.

Einen ersten Erfolg kann der Aarhus-Aktivismus schon vorweisen: Artmanns Initiative hat zusammen mit Greenpeace Ungarn Briefe an das bayerische, deutsche und ungarische Umweltministerium geschickt und bemängelt, dass es für das Ausland nur einen Monat Einwendungsfrist gegen den Bau des ungarischen AKW Paks 2 gab. Der „absolute Knaller“ für Artmann: Das ungarische Ministerium vermeidet einen Konflikt und hat die Frist bis Mitte September verlängert. Danach soll es sogar eine Anhörung in Deutschland geben. „Jeder Mensch in Deutschland sollte wissen, dass er etwas zu Paks 2 sagen kann“, mahnt Artmann. Doch es gebe nur eine Bekanntmachung im Internetauftritt der bayerischen Regierung. Eine größere Öffentlichkeit erfuhr vergangene Woche davon, weil das Umweltinstitut München eine Online-Aktion dazu gestartet hat.

Diese Öffentlichkeit hätte eigentlich die Bundesregierung herstellen müssen, findet Artmann. Doch im Internetbereich des Bundesumweltministeriums findet sich das Thema weder im umfangreichen Bürgerforum, noch bei den Pressemitteilungen zum Thema Strahlenschutz, sondern etwas versteckt in einem Unterabschnitt.

Im Fall Hinkley Point C habe die Bundesregierung eine Bürgerbeteiligung offen abgelehnt, berichtet Brigitte Artmann. Die britische Regierung übrigens auch: „Sechs Juristen des britischen Wirtschaftsministeriums sagten bei der Sitzung des Aarhus-Komitees: Selbst im schlimmsten Fall, wenn Radioaktivität entweicht, werde die am Ärmelkanal umdrehen.“

Von ihren Parteioberen habe sie bei den Beschwerden gegen Temelin und gegen die ungarische Einwendungsfrist kaum Unterstützung bekommen, sagt Artmann. Dort sei zu wenig Chance auf Erfolg gesehen worden. Da liegt es nahe, dass auch ihre Beschwerde gegen die EU-Direktive nicht die Zustimmung der Parteiführung genießt – schließlich plagt den Landesverband Bayern gerade ein interner Streit um die Stromtrassen, bei dem Basis-Aktive wie Artmann gegen die komplette Landesführung stehen.

Doch dieses Mal unterstützt der Landesverband die Aktion. Der Ko-Vorsitzende Eike Hallitzky sagt im Gespräch mit energiezukunft: „Es geht ums Fracking. Wir wollen ein absolutes Fracking-Verbot. Wir unterstützen aber auch die grundsätzliche Frage: Eine Strategische Umweltprüfung muss alle Beteiligungsrechte erfüllen.“ Hallitzky hofft, dass die Beschwerde erfolgreich ist, die dann gebauten Stromtrassen aber nicht abgerissen werden müssen. Ralf Hutter


Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

heinbloed 24.06.2015, 14:53:14

+273 Gut Antworten

Zu doof zum Klagen?

 

http://de.euronews.com/2015/06/24/niederlande-muessen-mehr-treibhausgase-einsparen/

 

Ausfuehrlicher:

 

http://www.theguardian.com/environment/2015/jun/24/dutch-government-ordered-cut-carbon-emissions-landmark-ruling

 

und natuerlich reichlich Stoff in der niederlaendischen Presse!

 

Warum muss man einer eh. Regierungspartei den Klageweg erklaeren?


Neuen Kommentar schreiben


Name: *
E-Mail: *
(wird nicht veröffentlicht)
Nicht ausfüllen!


Kommentar: *

(wird nicht veröffentlicht)
max 2.000 Zeichen


energiezukunft