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Ur-Grüne mucken auf

Bayern will keine Hochspannungsstromtrassen. Mittelspannungsmast bei Weitnau. (Foto: Björn Lars Kuhn / Proteus)
Bayern will keine Hochspannungsstromtrassen. Mittelspannungsmast bei Weitnau. (Foto: Björn Lars Kuhn / Proteus)


Von der bayerischen Parteibasis aus wird die Kritik an den Stromtrassen aus dem Norden nach internen Debatten an die Öffentlichkeit getragen. Der Landesvorstand bleibt aber bei seiner Position und sieht die Mehrheit auf seiner Seite. Selbst die bayerischen Grünen sind sich in der Sache nicht einig.

18.06.2015 – Die CSU vollzog wegen Protesten an der Basis einen Schwenk, der in der Bundesregierung seit über einem Jahr für Streit sorgt, eine LINKE-Landrätin in Thüringen geht nicht mit der Politik der LINKE-geführten Landesregierung konform – nun spalten die großen Stromtrassen in den Süden auch sichtlich die bayerischen Grünen.

„Wir gelangten nach einem Jahr des Wartens und der Überzeugungsarbeit gegenüber dem Landesverband zu der Ansicht, dass die Argumente nicht durchkommen.“ Andreas von Heßberg und die anderen Mitglieder des Grünen-Kreisverbands Bayreuth-Land haben deshalb den Konflikt mit ihrem Landesvorstand verschärft. Es geht um die beiden Höchstspannungsleitungen, die aus dem Norden und Nordosten der Republik in den Süden gebaut werden sollen, um das Wegfallen der dortigen Atomkraftwerke zu kompensieren. Die Landesführung der Bayern-Grünen befürwortet diese Leitungen, eine Vielzahl an Initiativen und viele Grünen-Mitglieder sind dagegen.

Ende April gab der Kreisverband Bayreuth-Land in einem Offenen Brief bekannt, dass er seine Mitgliedschaft im Landesverband „ruhen“ lässt. Er bezieht sich positiv auf einen Beschluss des Parteirats des Landesverbands von März, in dem neue Trassen nur dann gutgeheißen werden, wenn es einen „unabhängig und klar berechneten Bedarf“ für die Energiewende gibt. Dieser Beschluss nehme die Kritik vieler Grünen-Mitglieder, die an lokalen Initiativen beteiligt sind, auf, sagt Heßberg. Er beklagt jedoch, dass sich der Landesvorstand nicht daran halte. Führende Mitglieder, und sogar Parteiratsmitglieder, hätten auch seitdem in öffentlichen Vorträgen für die Trassen Position bezogen. Der Vorstand hat den Beschluss zudem weder im Partei-internen Newsletter verschickt (das hat mittlerweile Bayreuth-Land gemacht), noch in der Mitgliederzeitschrift veröffentlicht. Erst nach der öffentlichen Kritik wurde der Text in den Internetauftritt des Landesverbandes eingestellt.

„Die Partei muss dringend ihre Umweltpolitik überdenken und an den Grünen Idealen der Vergangenheit wieder anknüpfen“, heißt es in dem Offenen Brief. Bei vielen Mitgliedern des Kreisverbandes sei die Schmerzgrenze schon überschritten.

„Ich will als Kreisvorsitzender verhindern, dass die Mitglieder abspringen“, begründet Andreas von Heßberg den Aufsehen erregenden Schritt zur Konfrontation mit der Landesführung. Andernfalls würden mindestens zehn der nach einigen Austritten verbliebenen 47 Mitglieder die Partei verlassen, darunter Vorstandsmitglieder. „Der Kreisverband würde implodieren.“ Stattdessen leitet er jetzt die Mitgliedszahlungen nicht mehr an den Landesverband weiter.

Aus vielen anderen Kreisverbänden, Initiativen und sogar aus anderen Parteien habe Bayreuth-Land Lob erhalten, berichtet Heßberg. Der Konflikt hat es in sich: Nicht nur wollen die kritischen Basis-Mitglieder eine „ur-Grüne Energiepolitik“, wie es im Offenen Brief heißt, verteidigen und die alte Nähe zu lokalen Initiativen wiederhaben. Die Grünen-Landesführung ist bei den Trassen auch mit einem traditionellen wichtigen Verbündeten entzweit: dem großen BUND, der eine wichtige Stütze der Bürgerinitiativen ist.

Andreas von Heßberg sagt, dass die Notwendigkeit der Trassen für die Energiewende nicht erwiesen sei und dass diese großen Gleichstromleitungen als Teil des derzeit forcierten europaweiten Netzes zu sehen seien, das den Stromkonzernen die Profite sichern solle. Damit würden solche Groß- und Monopolstrukturen zementiert, gegen die gerade die Grünen im Stromerzeugungsbereich seit Jahrzehnten kämpfen.

Tatsächlich gibt es vier große Übertragungsnetzbetreiber, wie bei den Kraftwerksbetreibern. An Amprion ist sogar RWE zu einem Viertel beteiligt. „Wenn wir wirklich mal feststellen, dass wir die Gleichstromtrassen brauchen, weil sie weniger Verlust auf weiten Strecken haben, dann bitte nicht in der Hand der Konzerne“, meint Heßberg. Er fürchtet, dass sich die Grünen Industrie-Positionen annähern und findet es „peinlich“, wie der (übrigens dem bayerischen Landesverband angehörende) Ko-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Anton Hofreiter, 2014 eine Abordnung der Anti-Stromtrassen-Initiativen in Berlin empfing.

Eike Hallitzky gibt sich angesichts der Kritik gelassen. Bayreuth-Land sei ein kleiner Verband, hingegen denke „ganz klar die Mehrheit der Parteimitglieder“ wie die Grünen-Führung in Bund und Land, sagt der Ko-Landesvorsitzende. „100 Prozent Erneuerbare und 100 Prozent Versorgungssicherheit funktionieren ohne Leitungsausbau nicht“, glaubt er. Der Parteiratsbeschluss sei sofort ins „Wurzelwerk“ gestellt worden, eine Online-Plattform, zu der alle Grünen-Mitglieder Zugang haben, sagt er zum Thema Veröffentlichungspolitik.

Den Eindruck, dass Führungskräfte des Landesverbandes sich öffentlich gegenläufig zu diesem Beschluss geäußert hätten, führt er auf unterschiedliche Textinterpretationen zurück. Eventuell werde es nötig, das Thema beim Landesparteitag im Herbst zu klären. Wenn Bayreuth-Land weiterhin Mitgliedsbeiträge nicht weiterleitet, könnten dem Verband zum Ausgleich Zahlungen von der Landesebene verweigert werden, sagt Hallitzky.

Dass es nicht nur um Bayreuth-Land geht, zeigt sich daran, dass andere oberfränkische Grünen-Mitglieder ein noch viel schwereres Geschütz auffahren. Der Kreisverband Wunsiedel sammelt Geld für eine bereits in Arbeit befindliche Klage gegen den bundesweiten Netzentwicklungsplan (sowie das Vorgehen bei der Atommüllendlagerung, Frackinglizenzen und dergleichen). Ansatzpunkt ist die im Rahmen der UNO erarbeitete Aarhus-Konvention, die der Zivilgesellschaft Information und verbindliche Partizipation bei Projekten mit Umweltauswirkungen zuspricht. Sie wurde von EU und BRD ratifiziert, hat also Rechtskraft. Ziel der Klage bei der UNO ist der Abriss der Stromtrassen. Ralf Hutter


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Kommentare

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Kilian Rüfer 19.06.2015, 07:38:31

+281 Gut Antworten

hmm.. es klingt mehr so, als würde einer aufmucken. In der Frage bin ich mir selbst auch noch nicht sicher. Die Leitungen haben definitiv auch etwas mit europaweitem Stromhandel zu tun. Allerdings gelten "Stromleitungen" als als billigere Alternative zu Langzeitspeichern. Dabei ist mir unklar, welche Leitungs-Architektur gemeint ist.


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