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Black Out durch intelligente Stromzähler

Intelligente Messsysteme sollen das Stromsystem flexibel machen. Doch Forscher warnen: Der massenhafte Einsatz von Smart Metern könnte zu Blackouts führen. In einem künstlichen Strommarkt, der auf Angebot und Nachfrage basiert, können sich Blasen bilden.

27.07.2015 – Können Smart Meter einen Blackout herbeiführen? Ja, sagen Wissenschaftler des Instituts für Theoretische Physik der Universität Bremen. Sie haben den Markt, der bei massenhaftem Einsatz von intelligenten Stromzählern entsteht, simuliert und festgestellt: Durch die intelligenten Stromzähler wird ein neuer, künstlicher Strom-Markt geschaffen, der Blasen und sogar Crashs produzieren kann. Die Untersuchungsergebnisse wurden in der Physik-Fachzeitung „Physical Review“ der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft veröffentlicht.

Eigentlich ist es ein technischer Fortschritt: Statt einen Einheitsstrompreises zu bezahlen, der rund um die Uhr gilt, können Haus- und Wohnungsbesitzer ihre Verbrauchsgeräte mithilfe intelligenter Zähler heute so programmieren, dass sie stets den günstigsten Strompreis nutzen. Das intelligente Messsystem weiß, wann viel Strom da ist und gleichzeitig die Nachfrage gering. Da zu solchen Zeiten Elektrizität günstig ist, schaltet das schlaue System automatisch Strom verbrauchende Geräte wie Wasch- und Spülmaschine ein. Voraussetzungen hierfür sind ein intelligenter Stromzähler, der den aktuellen Strompreis übermittelt, und ein entsprechender Tarif, der die Schwankungen im Stromnetz berücksichtigt. Der Nutzer programmiert seine Geräte. In Verbindung mit dem intelligenten Stromzähler bekommt sie erst dann ein Startsignal für die Wäsche, wenn eine vorher definierte Preisgrenze unterschritten wurde. Der Einsatz intelligenter Stromzähler soll so gezielt dazu beitragen, Stromschwankungen im Netz zu dämpfen. Denn Elektrizität ist zwar noch nie gleichmäßig ins Netz eingespeist worden. Wind- und Solarenergie sorgen aber mittlerweile dafür, dass diese Schwankungen im Netz stärker werden.

„Die Grundidee dahinter stammt aus der Wirtschaftstheorie, nach der Angebot und Nachfrage den Preis regeln. Und darüber soll dann wiederum die Stromnachfrage angepasst werden: Viel Strom – viele Abnehmer, wenig Strom – wenige Abnehmer“, sagt Professor Stefan Bornholdt vom Institut für Theoretische Physik der Universität Bremen. „Die Standardtheorie von Angebot und Nachfrage ist jedoch unvollständig, wenn eine riesige Zahl Konsumenten gleichzeitig um den günstigsten Preis konkurriert. Denn natürlich wollen alle ihre Wäsche waschen, wenn der Strom am billigsten ist.“

Doch genau das, so haben der Bremer Hochschullehrer und seine Mitarbeiter herausgefunden, könnte womöglich nicht klappen. Sie haben die Konkurrenzsituation der Konsumenten im Computer simuliert und herausgefunden, dass es in diesem neu entstehenden Segment des Strommarktes „chaotisch, wild und zappelig“ zugehen kann – ähnlich wie an einer Finanzbörse.

Ein Beispiel: „Wenn wenig Strom im Netz und der Preis daher teuer ist, wird das Waschen einfach verschoben. Aber das geht nicht unendlich lang, weil es sich beim Waschen um ein Grundbedürfnis handelt“, erläutert Stefan Bornholdt. „Je mehr von den Menschen vorprogrammierte Waschmaschinen nun auf ihren Start warten, desto höher steigt die potentielle Nachfrage: Eine Nachfrage-Blase bildet sich.“ Und die platzt spätestens, sobald der Preis wieder etwas absinkt: Weil viele Konsumenten aufgrund des sich aufstauenden Waschbedürfnisses ihre „Schmerzgrenze“ nach oben angepasst haben, starten plötzlich unzählige Waschmaschinen auf einmal. „Dann wird ein kollektiver Lawinen-Mechanismus ausgelöst, der die Stromnetze extrem belastet – Blackouts wegen unerwarteter Überlastung nicht ausgeschlossen“, so der Bremer Physiker.

Die Wissenschaftler halten den massenhaften Einsatz der neuen intelligenten Stromzähler für „einen Schnellschuss, der nicht sorgfältig bis zum Ende durchdacht ist“. Man müsse die Versorger darauf aufmerksam machen, dass sich derartige Szenarien abspielen könnten. „In unserem Computermodell haben wir mit verschiedenen Variablen das nachvollzogen, was reale Menschen in solchen Situationen logischerweise tun würden“, erklärt Bornholdt. Der Einzelne wisse in solch einer Situation natürlich nicht, welche Folgen sein Verhalten habe, wenn es sich potenziere. Und leider wüssten es auch diejenigen noch nicht, die den Strom bereitstellten, so Bornholdt weiter. rr

Hier geht es zum Abstract der Studie „Econophysics of adaptive power markets: When a market does not dampen fluctuations but amplifies them” (Wirtschaftsphysik der adaptiven Strommärkte: Wenn ein Markt Schwankungen nicht dämpft, sondern verstärkt), Physical Review E 2015.


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