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Energiewende im GebäudesektorBauen und Sanieren – mit Weitblick aufs Klima

Vorgefertigte Energiemodule werden auf einem Gebäudedach installiert.
Vorgefertigte Energiedachmodule von Factory Zero: Serielles Sanieren nach dem Energiesprong-Prinzip ist eine Idee, um die energetische Sanierung schnell und effizient im großen Maßstab voranzutreiben. (Foto: Energiesprong International / Flickr / CC BY 2.0)

Klimagerechtes Bauen und Sanieren braucht eine ganzheitliche Planung. Gebäude sollen energieeffizient sein, ins dezentrale Energiesystem passen und möglichst klimaneutral betrieben werden. Hinzu kommt die Klimaresilienz. Und all das muss sich auch noch rechnen.

02.12.2021 – Das Bauen und Wohnen der Zukunft soll „bezahlbar, klimaneutral, nachhaltig, barrierearm und innovativ“ gestaltet werden, heißt es im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung.

Im Zuge einer dezentral gestalteten Energiewende entstehen immer mehr Schnittmengen zwischen Energie- und Immobilienwirtschaft. Im Hinblick auf die Klimaziele sollten bei einer nachhaltigen Gebäudeplanung alle Möglichkeiten einer dezentralen und ökologischen Energieerzeugung von Anfang an mitgedacht werden – eine Herkulesaufgabe, die nur im Zusammenspiel vieler Akteure möglich ist. Beste Möglichkeiten zur Umsetzung bieten sich im Quartier: Hier kann Erneuerbare Energie erzeugt, gespeichert und verteilt werden. Strom, Wärme und Mobilität werden im Idealfall verknüpft, der Energieverbrauch auf die Bedürfnisse der Nutzer und des Energiesystems abgestimmt – und damit Energie gespart.

Hürden für solche Modelle sind jedoch unzureichende Regularien von Seiten der Politik. „Es ist rechtlich kaum möglich, Strom und Wärme in Quartieren wirklich smart zu verbinden, denn jede einzelne Komponente wird separat reguliert. Dieses Dickicht an Regelungen müssen wir lichten“, sagt Tim Meyer, der beim Ökoenergieversorger NATURSTROM den Geschäftsbereich Dezentrale Energieerzeugung leitet.

Im Projekt flexQgrid untersucht ein Forschungskonsortium unter der Leitung der Netze BW, wie das Zusammenspiel in Zukunft bei gleichbleibend hoher Versorgungsicherheit gelingen kann. „Reallabore“ wie die Gemeinde Freiamt nördlich von Freiburg im Breisgau zeigen im Feldtest, wie lokal erzeugter Strom aus Erneuerbaren Energien durch gleichzeitige Nutzung von Batteriespeichern, E-Autos und Wärmestromanlagen in Ortsnetzen integriert wird und Überlastungen im Netz vermieden werden.

Das Dilemma der Stadtwerke

Nicht alle Kommunen haben die Ressourcen, sich diesem komplexen Thema zu widmen. Auf dem diesjährigen Stadtwerkekongress des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) in Dortmund wurden die aktuellen Probleme der Kommunen deutlich. Angesichts der Verwüstungen durch die Flutkatastrophe sei es für die kommunalen Unternehmen vor Ort die größte Herausforderung, die Infrastruktur der Ver- und Entsorgung schnell und möglichst klimarobust wieder zu errichten, so Michael Bleidt, Geschäftsführer der VKU-Landesgruppe Rheinland-Pfalz. Im Hinblick auf die neuen Klimaneutralitätsziele wäre es wichtig, sich auch Alternativen zu dem vorzustellen, was zerstört wurde. Vielleicht wäre ein Wärmenetz mit möglichst hohem regenerativem Anteil sinnvoller aufzubauen als eine individuelle Erdgasversorgung für die Heizungen in den Häusern?

Doch die Umstellung auf grüne Wärme geht schleppend voran. Vor allem bei der Fernwärme wird auf industrielle, meist noch fossil erzeugte Abwärme gesetzt. Die Stadtwerke sind auch an Förderungen von Bund und Ländern gebunden. So fließt häufig noch Erdgas durchs Netz. Auf lange Sicht, so ein Fazit beim Stadtwerke-Treffen, werde sich auch bei der Wärme eine strombasierte Dekarbonisierung durchsetzen. Doch der Ökostrom dafür fehlt noch. Der Druck vom Immobilienmarkt, fossile durch Erneuerbare Energieträger zu ersetzen, steigt aber.

Mieterschutz und Klimaschutz zusammenbringen

Viele Städte können den Bedarf an kostengünstigem klimafreundlichem Wohnen und finanzierbaren Mieten längst nicht mehr decken. Das Positionspapier von Agora Energiewende Wie passen Mieterschutz und Klimaschutz unter einen Hut? verweist dabei auf Schweden. Dort seien die Emissionen der Haushalte seit 2000 enorm gesunken: „Ein wesentlicher Grund ist das Konzept der Warmmieten, verbunden mit hohen CO₂-Preisen, so dass Hauseigentümer hohe Anreize für Effizienzinvestitionen haben.“

Easy Tech statt High Tech

Oberstes Ziel der Gesetzgebung müsste es also sein, den Energiebedarf der Haushalte zu minimieren – um die sogenannte „zweite Miete“ für die Energiekosten zu deckeln. Das Gebäudeenergiegesetz soll dabei helfen. „Doch mit den verschiedenen anwendbaren Verfahren hält weitere Technik Einzug ins Gebäude – und damit kommt die dritte Miete ins Spiel: die Kosten für Wartung und Instandhaltung dieser Technik“, sagt Architekt und Baupraktiker Timo Leukefeld, der bundesweit als „Energiebotschafter“ unterwegs ist. Für ihn liegt in der „Enttechnisierung“ der Schlüssel zu klimagerechtem und doch günstigem Bauen. „Wir müssen den Mut haben, neu zu denken und uns trauen, vielbeschworene Techniken in Frage zu stellen“, so Leukefeld. „Statt immer mehr komplexe, teure und wartungsintensive Technik zu verbauen, sollte es eher weniger werden.“

Vernetzte Energieautarkie – Flatrate für die Zukunft

Zusammen mit weiteren Experten hat Leukefeld eine neue Generation energieautarker Mehrfamilienhäuser entwickelt. Nach den üblichen Technologien wie Heizkessel, Wärmepumpen, Fußbodenheizungen, zentrale Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung oder BUS-Systeme sucht man hier vergebens. Eine effiziente Gebäudehülle sorgt mit viel Speichermasse für einen geringen Heizwärmebedarf. Setzte Leukefeld früher auf Solarthermie mit großem Speicher für Beheizung und Warmwasser, plädiert er nun für Solarstrom und Infrarotheizungen. Die hätten eine lange Lebensdauer, wären wartungsfrei und reduzierten die Investitionskosten der Heizung drastisch, so Leukefeld.

Dank Photovoltaik auf Dach und an Fassaden sowie Stromspeicher erreichen realisierte Projekte einen Autarkiegrad von über 60 Prozent. „Solarstrom, der in dieser Anlagengröße für 8 bis 10 Cent je Kilowattstunde erzeugt werden kann, ermöglicht eine Pauschalmiete“, so Leukefeld. Zudem könnten sich die Häuser besser vernetzen.

Solarstrom, der gerade nicht im Gebäude verbraucht werden kann, wird in Akkus zwischengespeichert, Überschüsse gehen ins Netz. Andersherum wird der verbleibende Strombedarf – vor allem in den Wintermonaten – mit Ökostrom von den Stadtwerken oder einem Öko-Energieversorger gedeckt. Der baut PV-Anlage und Akku ins Gebäude und schnürt dem Vermieter – der es an die Mieter weitergeben kann – 15 Jahre lang zum jährlich gleichen Preis ein Flatrate-Energiepaket, das Wärme, Strom und optional auch E-Mobilität für die Mieter enthält. Neben der Nettokaltmiete sind also auch Energie für Heizung und Warmwasser, Haushaltsstrom und anteilige Gemeinschaftskosten im Mietpreis enthalten. Zudem entfällt der Aufwand für die Heizkostenabrechnung.

Der Klimaschutz verändert Perspektiven: Jede Immobilie, die viel CO2 ausstößt, wird unwirtschaftlich und auch als Verkaufsobjekt unattraktiv.

Viel Geld für wenig Klimaschutz

Im Juli 2021 trat als Sofortprogramm 2020 für den Gebäudesektor nach § 8 Abs. 1 des Klimaschutzgesetzes (KSG) die Bundesförderung für energieeffiziente Gebäude (BEG) in Kraft. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hatte die Einführung dieses Programms vollmundig als „Sanierungsturbo“ bezeichnet.

Doch beim ersten Praxistext attestieren Planer wie Martin Ufheil vom Ingenieurbüro solares bauen GmbH in Freiburg und Berlin dem Programm eine schlechte Wirkungsbilanz: Mit viel Geld werde dabei wenig für den Klimaschutz erreicht. Denn durch die neue BEG würden Neubauvorhaben gegenüber der Sanierung mit Fördermitteln geradezu überhäuft, kritisierten die Akteure. Vor allem in der Sanierung vieler Gebäude stecke jedoch das große Potenzial.

Sanierung soll Förder-Vorrang erhalten

Laut Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung sollen die Anforderungen des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) verschärft werden, um den Klimaschutz im Gebäudebereich voranzubringen.

Eine Änderung der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) hatte das Bundeswirtschaftsministerium vor kurzem auf den Weg gebracht. Im Neubau entfällt damit die Förderung für effiziente Gebäude aller Effizienzhaus-55-Stufen, also auch die Erneuerbare-Energien-Klasse und Nachhaltigkeits-Klasse, zum 1. Februar 2022.

Fördergelder sollen ab Februar 2022 nun vor allem in die energetische Gebäudesanierung und in Neubauten mit einer höheren Effizienzklasse – mindestens KfW-40-Standard – fließen, – denn dort sei das CO2-Einsparpotenzial viel höher. Auch die Sanierungsstandards ziehen laut Koalitionsvertrag an: Ab Anfang 2024 sollen die Anforderungen für wesentliche Ausbauten, Umbauten und Erweiterungen von Bestandsgebäuden so angepasst werden, dass die auszutauschenden Elemente dem Effizienzhaus 70 entsprechen.

Die EU fordert indes eine Sanierungswelle für klimaneutrales Wohnen in Europa bis 2050. Weniger als ein Prozent der Wohnungen werden in Deutschland jährlich saniert. Im gegenwärtigen Tempo würde der klimaneutrale Gebäudebestand in Deutschland erst in 100 Jahren erreicht werden.

Energetische Sanierung von der Stange

Vor etwas mehr als zehn Jahren reagierte die niederländische Regierung auf die negative Klimabilanz des Wohnungssektors. Sie setzte ein gemeinnütziges Programm namens Energiesprong auf und investierte zunächst in die Planung. Ingenieure, Bauunternehmer, Baustofflieferanten, Aufsichtsbehörden und Vermieter sollten ein Konzept erschließen, wie sich energetisch ineffiziente Sozialbauwohnungen in Niedrigenergiebauten umwandeln lassen – seriell und im großen Maßstab. Ziel ist es, Hürden bei der energetischen Sanierung abzubauen und in einer möglichst kurzen Zeit eine warmmietenneutrale Sanierung mit Nullenergie-Standard (NetZero) zu bewerkstelligen.

Denn trotz des langfristigen ökologischen und finanziellen Nutzens schreckten viele Hausbesitzer und Vermieter vor einer Sanierung zurück. Das Prinzip setzt auf standardisierte Lösungen mit industriell vorgefertigten Elementen, maßgeschneidert für Fassaden und Dächer mit vollständig integrierten Dämm- und Energiesystemen, mit denen die Dauer der Sanierungsarbeiten von mehreren Monaten auf wenige Wochen reduziert werden kann.

Das niederländische Unternehmen Factory Zero hat dazu ein Dachmodul entwickelt, in dem die Energie-Haustechnik auch schon drinsteckt: ein Elektroboiler für Warmwasser, eine Wärmepumpe für die Beheizung des Hauses, ein intelligentes Messsystem und ein Solarstromanschluss.

Serielles Sanieren wird in Deutschland gefördert

Die Deutsche Energieagentur brachte das Energiesprong-Prinzip gemeinsam mit Wohnungs-, Bau- und Zulieferunternehmen auf den deutschen Markt. Das Förderprogramm für Serielles Sanieren wird laut Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung fortgeführt und innerhalb der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) ausgeweitet. Bauplanungs- und bauordnungsrechtliche Hürden gelte es zu beseitigen.

Von der Energieschleuder zum Energieproduzenten

Das Berliner Startup ecoworks hat bei einem Wohnblock aus den 1930er-Jahren in der Stadt Hameln die erste serielle Gebäudesanierung in Deutschland umgesetzt. Das Gebäudeensemble erreiche nun einen energetischen Netto-Null-Standard, so die Planer. Solarstrom vom Dach, Wärmepumpen, Lüftungsanlagen – einiges an Technik ist im Spiel: Über 500 im Haus verbaute Sensoren werten die Verbrauchsdaten aus und helfen, Strom- und Wärmeversorgung sowie Lüftung optimal zu steuern. Nun muss sich das Gebäude in der Praxis beweisen. Die Wohnkosten sollten nicht steigen und die energetische Qualität für 30 Jahre garantiert werden.

Dächer werden Infrastruktur

Die Dachflächen von Mehrfamilienhäusern bieten großes Potenzial, um Solarstrom lokal zu erzeugen. Um auch für Mehrfamilienhauseigentümer und Hausverwaltungen, die Aufwand und Investitionen vermeiden möchten, ein attraktives Angebot zu machen, hat die Energieagentur Regio Freiburg gemeinsam mit der Gemeinde Denzlingen bei Freiburg ein Pilotprojekt gestartet: mit Verträgen, die es der Kommune ermöglichen, das Dach der Wohneigentümergemeinschaft zu pachten und dieses wiederum an einen Dienstleister weiter zu verpachten – der darauf eine Photovoltaikanlage installiert und betreibt. So kann den Bewohnern der Mehrfamilienhäuser vergünstigter Strom vom eigenen Dach geliefert werden – ohne eigene Investition. Die Kommune übernimmt die Verantwortung.

Der Energieverbrauch muss sinken

Für das klimagerechte Bauen im dezentralen Energiesystem ergeben sich also verschiedene Modelle – welches das Richtige ist, soll und muss im Einzelfall und vor Ort entschieden werden. Die Zeit des Entweder-Oder beim Einsatz verschiedener Gebäudetechnologien sei angesichts der Versäumnisse der Vergangenheit vorbei, schreibt das Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu). Eine deutliche Senkung des Endenergieverbrauchs um mindestens ein Drittel bis 2050 wäre die Voraussetzung dafür, dass ein sinnvoller Wettbewerb zwischen verschiedenen Energieversorgungsoptionen stattfinden kann. Fehlende Effizienz der Gebäudehülle schränke den Handlungsspielraum dabei ein, weil Niedertemperatur-Anwendungen ausgeschlossen und Umwandlungstechnologien für Erneuerbare Energien ineffizienter betrieben werden müssten. Ein einmal erreichtes Effizienzniveau wäre eine langfristige Absicherung gegen Veränderungen und Ungewissheiten, wie etwa steigende Energiepreise – die gerade aktuell in diesem Winter auf viele Verbraucher zukommen. Nicole Allé

 


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