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Stroh-Lehm-Solar-HausEin guter Ort für Kinder

Ein schlichtes rechteckiges Lehmhaus mit Strohballen und einem Mann davorsitzend
Rückansicht des Stroh-Lehm-Hauses des Vereins Uplift-Aufwind für Heimkinder und Kinder mit Handicaps in Kirgistan. (Foto: Jörg Böthling)

Der Verein Uplift-Aufwind engagiert sich in Kirgisistan für Heimkinder und Kinder mit Handicaps. Ab Frühjahr finden die vielfältigen Angebote in einem Neubau statt, der im zentralasiatischen Land energetisch wie baubiologisch für Aufsehen sorgt.

20.02.2025 – Seit vielen Jahren schon engagiert sich der Verein Uplift für Kinder in Kirgistan, die es nicht so leicht haben. Ab Frühjahr bieten die Uplift-Mitarbeiter:innen ihr vielfältiges pädagogisches und therapeutisches Angebot nun in einem nachhaltigen Ambiente an. Es ist das erste Gebäude in Stroh-Lehm-Bauweise in Tokmok. Eine lokale Sensation – und das auch noch an einem so symbolträchtigen Ort. Denn es steht direkt hinter dem sowjetischen Kriegsdenkmal, das an die unglaublich vielen Soldaten der kirgisischen Stadt rund 80 Kilometer östlich der Hauptstadt Bischkek erinnert, die im „Großen Vaterländischen Krieg“ im Zweiten Weltkrieg gefallen sind.

Dabei ist das neue zweigeschossige Haus auf der Vorderseite eher schlicht gehalten. Aber von der Südseite, zum Garten hin, offenbart es eine großzügige Fensterfront mit einem flachen Vordach, das begrünt werden soll. Auf dem Hauptdach soll demnächst eine Photovoltaik-Anlage installiert werden, die Fußböden komplett mit Holzdielen ausgestattet. In die Innenwände des Holzständerbaus sind Heizröhrchen in den strohigen Lehmputz verlegt worden, die die Räume angenehm erwärmen. Ähnlich wie bei einem Speicherofen. Die Außenwand hat eine Dicke von 40 Zentimetern, in der mittig eine 30 Zentimeter breite gepresste Strohmatte verbaut ist. Nach innen wie nach außen ist auf die Strohwand jeweils vier Zentimeter Lehmputz aufgetragen worden.

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Pionier im kirgisischen Ökohausbau

Während die kirgisische Architektin Saikal Zhunushova Gestalt und Funktionsweise für das Haus konzipierte, übernahm Aibek Scharschenbajew mit seiner Baufirma Eco Saman den Bau. Scharschenbajew ist ein Selfmade-Mann und gilt als Pionier im kirgisischen Ökohausbau. Er baute sein erstes Strohhaus schon vor rund 15 Jahren, andere Bauten folgten. So zählt der 49-jährige Bauunternehmer mittlerweile 15 Mitarbeiter. In einer eigenen Manufaktur in Bischkek stellt er die kleinformatigen, einen Meter breiten Stroh-Lehm-Wandelemente je nach Bedarf und Höhe selbst her.

Das Stroh kauft er von Landwirten in der Umgebung auf: Der Preis für einen Großballen lag im Herbst bei umgerechnet zwei Euro. Innerhalb nur einer Woche, so der Bauunternehmer seien die Strohelemente fürs das von Uplift konzipierte Haus fabriziert worden. Die Dämmeigenschaften seien hervorragend. „In unseren Häusern wird vier Mal weniger Heizenergie verbraucht“, unterstreicht er. Ein starkes Argument, gerade in Zeiten steigender Energiepreise und vor allem Gaspreise auch in Kirgisistan in Folgen des russisch-ukrainischen Krieges. Von daher sei das Interesse auch seitens privater Bauherren an Stroh-Lehm-Häuser groß, so der Firmenchef von Eco Saman.

Ein Zeichen setzen – nachhaltiges Gebäude für gute Energie

Für die Gründerin von Uplift-Aufwind, die Deutsche Maren Ernst, ist mit dem energieeffizienten Bau aus nachwachsenden Rohstoffen ein „langgehegter Traum“ wahr geworden. Alle Aktivitäten des 35-köpfigen Teams von Uplift, ob nun Physio- oder Ergotherapie, psychologische Betreuung oder logopädische Behandlung – um nur einige zu nennen –, finden jetzt unter dem Dach eines nachhaltigen Gebäudes statt.

Mit ihrem beeindruckenden Engagement ist es Maren Ernst und ihren kirgisischen Mitstreiterinnen von Uplift gelungen, einen nicht mehr wegzudenkenden Akteur in der Betreuung von Heimkindern als auch bei Kindern mit Handicaps zu etablieren. Dabei lag es Maren Ernst sehr am Herzen, gerade bei einem Sozialbau wie in Tokmok, in einem Land wie Kirgisistan, einem postsowjetischen Staat mit islamischen Einflüssen und zwischen den Großmächten China und Russland gelegen, auch architektonisch ein nachhaltiges Zeichen zu setzen.

Ihre Vorstellung war klar definiert: Sie wollte natürliche, regional verfügbare Baustoffe einsetzen und ein gesundes, energieeffizientes Gebäude bauen. Und wie der (strukturelle) Zufall es manchmal will, wurde die engagierte Deutsche auf die kirgisisch-schweizerische Architektin Saikal Zhunushova aufmerksam. Die beiden trafen sich im Oktober 2023 in Lausanne, in der Wahlheimat von Zhunushova, diskutierten intensiv über Konzepte und Ideen bezüglich eines neu zu bauendes Therapiehaus. Schließlich wurden sie sich einig und Ernst beauftragte die Kirgisin mit dem Entwurf eines Therapie- und Schulungszentrums.

Klima- und menschengerechtes Bauen für eine bessere Zukunft

Die 42-jährige Architektin, die in der Schweiz als eine der Hoffnungsträgerinnen für nachhaltigeres Bauen gilt, kennt Plattenbau, lebte in ihrer Kindheit in solchen Gebäuden. Sie wuchs zuerst in Bischkek und später in einem kirgisischen Dorf namens Vinogradnoe auf. Sie weiß aus persönlichen Erfahrungen, wie es ist, in einer schlecht gedämmten Betonhülle zu wohnen. Besonders im zentralasiatischen Kirgisistan, wo es Sommer brüllend heiß ist und im Winter bitterkalt.

Ende der 90er-Jahre beginnt sie ihr Architekturstudium in Bischkek, der Hauptstadt des seit 1991 unabhängigen Kirgisistans, auf dessen Gebiet vorher die Kirgisische Sozialistische Sowjetrepublik herrschte und davor Teil des russischen Zarenreiches war. In ihrem Studium beschäftigt sie sich mit Entwurf, Konzeption, Gebäudehülle und interessiert sich für den sowjetischen Konstruktivismus, der in den 20er-Jahren die internationale Architekturszene mit Ansätzen „neuen Bauens“ inspirierte. Sie entdeckt ihr Talent fürs Zeichnen und Rechnen.

Ihre Abschlussarbeit in Kirgisistan ist der Entwurf einer multifunktionalen Eissporthalle in Bischkek. Danach geht sie als Au-pair nach Deutschland, lebt zuerst in Velbert, dann Nürnberg und schließlich in Plauen. Über Umwege kommt sie fünf Jahre später in die Schweiz. In Winterthur studiert sie an der dortigen Fachhochschule und schreibt ihre Masterarbeit zum Thema „Plattenbau in Bischkek“.

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Seither eilt ihr und ihrem Büro Oekofacta der Ruf voraus, natürliche Baustoffe und energetische Effizienz klug miteinander zu versöhnen. Mit der Fertigstellung des neuen Therapiehauses für Kinder und ihren Eltern von Uplift in Tokmok ist der Wanderin zwischen zwei Welten wieder ein wichtiges Ausrufezeichen für eine neue Baukultur gelungen. Und dies ist wahrlich umso bedeutsamer, weil der konventionelle Beton-Geschossbau in Bischkek und anderswo im Land am Wegesrand der neuen Seidenstraße weiterhin mit ungebremster Brutalität voranschreitet. Dierk Jensen

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