Der Natur abgeschaut: Sonnenschutz nach dem Vorbild von Kiefernzapfen

Forschende der Universitäten Stuttgart und Freiburg haben ein energieautarkes Fassadensystem entwickelt, das sich selbst ohne jegliche technische Vorrichtung aktiviert. Der Clou: Das biobasierte Material reagiert auf Feuchtigkeitsschwankungen.
20.01.2025 – Mithilfe von bioinspirierten Designs, natürlichen Materialien und allgemein zugänglichen Technologien haben Forschende der Universitäten Stuttgart und Freiburg das Fassadensystem Solar Gate entwickelt – das erste wetterabhängige, adaptive Verschattungssystem, das nicht auf elektrische Antriebsenergie angewiesen ist. Als Vorbild dienten die Bewegungsmechanismen von Kiefernzapfen, die sich bei Veränderungen von Luftfeuchtigkeit und Temperatur öffnen und schließen, ohne dabei Stoffwechselenergie zu verbrauchen.
Dem Team ist es gelungen, die richtungsabhängige Struktur der Zellulose in Pflanzengeweben mit Standard-3D-Druckern nachzubilden. Die Forschungsergebnisse wurden in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Biobasierte Materialien und bioinspirierter 4D-Druck
Zellulose ist ein natürliches, reichlich vorhandenes und erneuerbares Material, das bei Feuchtigkeitsschwankungen quillt und schrumpft. Diese Eigenschaft, die als Hygromorphie bezeichnet wird, ist in der Natur häufig zu beobachten, beispielsweise beim Öffnen und Schließen der Schuppen von Kiefernzapfen oder bei den Blütenständen der Silberdistel. Das Forschungsteam machte sich diese hygromorphe Eigenschaft zunutze, indem es biobasierte Zellulosefasern maßgefertigt und im 4D-Druckverfahren in eine zweischichtige Struktur gebracht hat, die von den Schuppen des Kiefernzapfens inspiriert ist.
Königsweg der Bionik
Bei hoher Luftfeuchtigkeit nehmen die Zellulosematerialien Feuchtigkeit auf und dehnen sich aus. Die bioinspirierten, gedruckten Elemente rollen sich ein und öffnen sich. Umgekehrt geben die Zellulosematerialien bei niedriger Luftfeuchtigkeit ihre Feuchtigkeit ab und ziehen sich zusammen, wodurch sich die gedruckten Elemente abflachen und schließen.
„Inspiriert von den hygroskopischen Bewegungen von Kiefernzapfenschuppen und den Hochblättern der Silberdistel ist es beim Solar Gate gelungen, nicht nur die hohe Funktionalität und Robustheit der biologischen Vorbilder in ein bioinspiriertes Verschattungssystem zu übertragen, sondern auch die Ästhetik der pflanzlichen Bewegungen. Dies kann als ‚Königsweg der Bionik’ betrachtet werden, da alles, was uns am biologischen Ideengeber fasziniert, auch im bioinspirierten architektonischen Produkt realisiert wurde“, sagt Thomas Speck, Professor an der Universität Freiburg.
Architektonische Integration von selbstformenden Elementen
Das Forschungsteam testete die Funktionalität und Haltbarkeit des Verschattungssystems über ein Jahr lang unter realen Wetterbedingungen. Schließlich wurde es an einem Forschungsgebäude der Universität Freiburg an einem nach Süden ausgerichteten Dachfenster installiert und unterstützt die Klimaregulierung des Gebäudes. Im Winter öffnen sich die Verschattungselemente und lassen Sonnenlicht herein, so dass der Innenraum sich auf natürliche Weise erwärmt. Im Sommer schließen sie sich und minimieren die Sonneneinstrahlung. Angetrieben werden diese Prozesse ohne elektrische Energiezufuhr, allein durch tägliche und saisonale Wetterveränderungen.
Das Solar Gate stellt eine energieautarke und ressourceneffiziente Alternative zu herkömmlichen Verschattungssystemen dar. Da für den Komfort in Innenräumen typischerweise viel Energie benötigt wird und Gebäude einen erheblichen Anteil an den weltweiten Kohlenstoffemissionen haben, sind Lösungen zur Verringerung des Energiebedarfs für Heizung, Kühlung und Lüftung von großer Bedeutung. Solar Gate unterstreicht das Potenzial zugänglicher, kostengünstiger Technologien wie der additiven Fertigung und zeigt auf, wie Zellulose als reichlich vorhandenes, erneuerbares Material zu nachhaltigen architektonischen Lösungen beitragen kann. pf
Kommentare
Mika am 20.01.2025
Hallo, warum in China hergestellt? Eigene Fabrik in China. Hätte man es nicht auch hier machen können? (Bitte nichts mit Lohnkosten etc.)