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Europäische PerspektiveBürgerenergie als Anker in stürmischen Zeiten

große Menschengruppe im Solarpark Westmill, im Hintergrund Windkraftanlagen
Premiere in Europa: Die britische Solarkooperative Westmill Solar hat zusammen mit Energiegenossenschaften aus Spanien, Frankreich, Belgien und dem Vereinigten Königreich die erste grenzüberschreitende Genossenschaftsinvestition in Europa gestemmt. (Foto: Westmill Solar)

An der Vision eines europäischen Bürgerenergie-Pakets arbeiten Energiewende-Akteure über Grenzen hinweg. Mitbestimmen und mitverdienen beim Ausbau der Erneuerbaren ist ein starkes Motiv und stärkt zugleich den Zusammenhalt.

20.05.2025 – Budapest zeigt sich Anfang Dezember 2024 im winterlichen Grau, Nebelschwaden ziehen über die Donau – und dennoch leuchtet ein besonderes Ereignis in bunten Farben: Das Citizens’ Energy Forum. Es bringt Bürgerenergie-Akteure aus ganz Europa mit der neuen EU-Kommission zusammen. Von Estland über Polen, Tschechien, Kroatien, Ungarn bis nach Belgien, die Niederlande und Deutschland – Vertreterinnen und Vertreter aus zahlreichen Ländern sind angereist. Gemeinsam geben sie den Startschuss für das Bürgerenergiepaket, ein wichtiges Projekt, das Bürgerinnen und Bürger stärker in die Energiewende einbinden soll.

Das Bürgerenergiepaket knüpft an das Programm „Clean Energy for All Europeans“ aus dem Jahr 2019 an – ein wegweisendes Regelwerk, das erstmals Bürger ins Zentrum des Energiesystems rückt. Darin finden sich innovative Konzepte wie Energy Sharing, lokale Versorgungsmodelle – etwa Mieterstrom oder gemeinschaftliche Gebäudeversorgung – sowie die Definition von Bürgerenergiegemeinschaften. Doch obwohl das EU-Recht für alle Mitgliedsstaaten verbindlich ist, sind nicht alle Mitgliedstaaten gleich bemüht, diese wichtigen Bausteine in ihr Energiesystem zu integrieren.

Stimmungslage in der europäischen Familie

Der graue, schwere Nebel in Budapest ist ein guter Spiegel für die Stimmungslage vieler Europäer. Sie fühlen sich allein gelassen und befürchten einen Rechtsruck innerhalb der politischen Landschaft. Viele beschreiben ein Gefühl von Gelähmtheit und wünschen sich einen gemeinsamen europäischen Kurs. Gerade jetzt braucht die EU das Engagement und den Rückenwind der Bürgerschaft. Bürgerenergie ist die deutsche Erfolgsgeschichte der Energiewende. Ohne die engagierten Privatmenschen wäre der Stein nie ins Rollen gekommen. Sie haben dank guter Förderbedingungen in Erneuerbare-Energie-Projekte investiert und so einen Großteil der Wind- und Solaranlagen zu Beginn der Energiewende gebaut. Genau diese Handlungsfähigkeit und Wirkmacht brauchen wir in Zeiten von Energiepreiskrisen, einem Krieg in Europa und einem unberechenbaren Präsidenten, der den mächtigsten Staat der Welt aus der Energiewende herausführen möchte. Europa muss dem Gefühl der Ohnmacht etwas entgegensetzen und den Menschen ein Angebot machen. Die Energiewende war und ist ein Mitmachprojekt, bei dem jede und jeder nur gewinnen kann. Dieses ermutigende Narrativ sollte die Debatten um nationale Abschottung ersetzen.

Wie steht es also um die deutsche Bürgerenergie-Bewegung?

Die letzte Bundesregierung hat viele Anliegen der Bürgerenergie ernst genommen. Entsprechend glücklich zeigte sich die Community, als das Solarpaket 1 verabschiedet wurde. Zuvor hatte das Bündnis Bürgerenergie sehr konstruktiv mit der Politik darüber diskutiert, wie der Solarstrom in einem Mehrfamilienhaus unkompliziert von den Bewohnern innerhalb des Hauses selbst genutzt werden kann, ohne dass diese zu offiziellen Energieversorgern werden. Das vorhandene administrativ sehr aufwändige Modell des Mieterstroms kam leider nie in der Breite zum Zuge.

Mit dem Solarpaket1 wurde die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung möglich. Sie erlaubt den Bewohnern eines Gebäudes, den lokal erzeugten Solarstrom gemeinschaftlich zu nutzen. Überschüssiger, nicht verbrauchter PV-Strom wird ins öffentliche Netz eingespeist und vergütet. Die Blaupause für das Modell war die „gemeinschaftliche Erzeugungsanlage“ aus dem österreichischen Recht. Das PV-Referat des Ministeriums hat österreichische Akteure sehr gezielt zu den Erfahrungen mit dem Konstrukt befragt, um die Lessons Learned für das deutsche Energiesystem zu nutzen.

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Mit dem Solarpaket1 wurde im letzten Jahr die gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung auf den Weg gebracht. BSW-Solar und GdW erläutern das Geschäftsmodell in einem umfangreichen Leitfaden für Wohnungsunternehmen und Photovoltaik-Projektierer.

Doch nicht alle Anliegen konnten so zielstrebig im Schulterschluss mit den wichtigen Stakeholdern verfolgt werden. Das Herzensprojekt der Bürgerenergie „Energy Sharing“ – das Teilen von Strom über das öffentliche Netz – schaffte es zwar in die erste Version der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes, war aber nicht mehr Teil der finalen Mini-EnWG-Novelle, die der Bundestag im Januar 2025 verabschiedete.

Nun kommt es auf die nächste Bundesregierung an. Kein guter Vorbote: Die erfreulich klare Passage zu Energy Sharing aus der Energieagenda für Deutschland war bereits im Wahlprogramm der Union nicht mehr enthalten. Auch wenn es Kritikpunkte an dem Paragrafen gab, der das Energy Sharing in Deutschland regeln sollte, so hätte Deutschland – ähnlich wie Österreich, Italien oder die Niederlande – zumindest einen Experimentierraum geschaffen, um dezentrale Versorgungskonzepte unter Nutzung des öffentlichen Netzes zu erproben.

Hitzige Debatte um Blackouts

Das wäre vor allem vor dem Hintergrund der hitzig geführten Debatte zu möglichen Blackouts wichtig gewesen. Zunehmend geraten kleinere Solar-Aufdachanlagen unter den Generalverdacht, das gesamte Energiesystem zu gefährden. Es werden Stimmen lauter, die sich für eine Streichung von Fördergeldern für dieses Segment aussprechen, um das Geld in große Photovoltaik-Freiflächenanlagen zu stecken. Solch ein Signal könnte die Stimmung weiter vergiften. Wenn das Vertrauen in die Politik schwindet und die Energieversorgungssicherheit innerhalb der EU angezweifelt wird, braucht es das Gefühl von Unabhängigkeit von Energieimporten.

Was könnte einem mehr Unabhängigkeit verleihen als der grüne Strom vom eigenen Dach, der zudem keine Rechnung schickt? Eine jüngst veröffentlichte Studie des Ökostromanbieters EWS Elektrizitätswerke Schönau eG kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass lokale Energiegemeinschaften bei der notwendigen Flexibilisierung des Energiesystems eine wichtige Rolle spielen könnten. Bei entsprechender Ausgestaltung könnte Energy Sharing demnach zusätzlich positive system-, netz- und marktdienliche Effekte erzielen.

Um den Wahlkampf und die anstehenden Koalitionsverhandlungen mit den wichtigsten Forderungen zu flankieren, hatte das Bündnis Bürgerenergie sein Bürgerenergiewahl-Programm auf sechs Säulen gestellt. Sie bilden das Fundament für mehr Planungssicherheit der Bürgerenergie und benennen neben den Vor-Ort-Versorgungsmodellen vor allem die Themen Strommarktdesgin und Wärmeprojekte in Bürgerhand.

Deutsche Energiepolitik hat europäischen Rahmen

Das bisherige Finanzierungssystem des EEG muss zudem überarbeitet werden. Die aktuell geltende, gleitende Marktprämie zur Förderung von Erneuerbaren Energien ist europarechtlich nur noch bis Ende 2026 möglich. Die EU-Strommarkt-Verordnung 2024/17457 sowie die Klima-, Umwelt- und Energiebeihilfe-Leitlinien geben einen neuen Rahmen vor. Es gilt, einen Rückzahlungsmechanismus zu finden, der sicherstellt, dass über den Förderbedarf hinausgehende Einnahmen an den Staat zurückgezahlt werden.

Diese Vorgabe für Deutschland umzusetzen, wird mit Akteuren aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft seit 2023 im Rahmen des Dialogformats „Plattform Klimaneutrales Stromsystem“ diskutiert. Das Bündnis Bürgerenergie ist offizielles Mitglied und einer der wenigen zivilgesellschaftlichen Vertreter.

Änderungen im Finanzierungssystem führen zwangsläufig zu Verunsicherungen. Insbesondere die Projekte von kleinen und mittleren Akteuren drohen bei mangelnder Planungssicherheit zu scheitern. Die Bürgerenergie schaut diesen Entwicklungen nicht tatenlos zu, sondern versucht die Zukunft proaktiv mitzugestalten.

Wieder zeigt sich: Lösungen müssen gemeinsam mit den europäischen Partnern gefunden werden, um voneinander zu lernen. Das europäische ACCE-Projekt (Access to Capital for Community Energy) ist ein lebendiger Beweis dafür, wie es gelingt, über das gesetzliche Mindestmaß hinauszugehen, um die Bürger zu empowern.

Proaktiv und grenzüberschreitend

Über 1,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Europa engagieren sich aktiv in der Energiewende. Doch für viele Gemeinschaftsenergieprojekte, vor allem in der Startphase, ist der Zugang zu Kapital schwierig. Umso wichtiger ist es, zugängliche und leicht verständliche Prozesse zu schaffen.

Statt sich über fehlende Modelle zu beschweren, handelt die Bürgerenergiebewegung proaktiv und grenzüberschreitend. In den letzten drei Jahren sind im Rahmen des ACCEProjekts neue Finanzierungsmodelle entstanden und weitere sind in Entwicklung.

Ein besonders inspirierendes Beispiel ist das seit 2021 existierende niederländische Modell des „Realisatiefonds“. Dieses Modell unterstützt Energiegenossenschaften während der Bauphase kleiner Erneuerbarer-Energie-Projekte. Die Attraktivität des Modells liegt in seiner Einfachheit, klar definierten Rollen und Verantwortlichkeiten sowie der Standardisierung von Prozessen und Dokumenten. Wie sich die Erfahrungen auf Deutschland übertragen lassen, wurde in einem Workshop untersucht, nun arbeiten Arbeitsgruppen an der Umsetzung.

Konkrete Ergebnisse des ACCE-Projekts

Im Rahmen des ACCE-Projekts wurden weitere Finanzierungsmodelle entwickelt: Ein neuer gemeinschaftsbasierter Fonds für Nahwärmeprojekte, der im April 2024 in den Niederlanden mit einem Budget von 25 Millionen Euro gestartet wurde. Dieser Fonds unterstützt bis zu 25 Pilotprojekte. In Kroatien wurde ein Konzept zur „Kollektiven Beschaffung von Photovoltaik-Anlagen“ entwickelt. Erste grenzüberschreitende Investitionen

Die europäische Zusammenarbeit trägt weiterhin Früchte: Westmill Solar und REScoop MECISE haben die erste grenzüberschreitende Investition von Energiegenossenschaften bekannt gegeben. Dabei handelt es sich um eine Refinanzierung in Höhe von fünf Millionen Pfund für Westmill Solar, eine 5-Megawatt-Bürgersolaranlage in Oxfordshire, Großbritannien. Diese Initiative unterstreicht die innovative Rolle der Genossenschaftsbewegung in der Energiewende.

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Zusammenarbeit stärkt die Energiewende

Die enge Kooperation in EU-Projekten und der kontinuierliche Austausch mit Partnern aus anderen europäischen Ländern ermöglichen es, Bewährtes zu übernehmen und Fehler zu vermeiden. Diese grenzüberschreitende Zusammenarbeit führt nicht nur zur Entwicklung neuer Finanzierungsmodelle, sondern stärkt auch die Rolle der Bürgerinnen und Bürger bei der Gestaltung der zukünftigen Energielandschaft Europas. Die Bürgerenergiebewegung zeigt eindrucksvoll, wie gemeinschaftliches Handeln über Landesgrenzen hinweg die Energiewende beschleunigen kann – und dabei allen Beteiligten zugutekommt.

Die Zukunft der europäischen Bürgerenergie-Bewegung

Zurück in Budapest: Das Bürgerenergiepaket der EU ist noch in der Entstehung, doch die Ideen, wie Bürgerenergie effizienter und inklusiver gestaltet werden kann, sind zahlreich. Auf dem Forum wurden Modelle und Best-Practices aus ganz Europa vorgestellt. Besonders vielversprechend sind Konzepte, die Bürger nicht nur zu Konsumenten, sondern zu Prosumenten der Energiewende vor Ort machen. Gleichzeitig wird deutlich: Für eine erfolgreiche Umsetzung braucht es nicht nur gute Ideen, sondern auch politischen Willen, harmonisierte Rahmenbedingungen, Durchsetzung der EU-Vorschriften und eine stärkere Kooperation zwischen den EU-Mitgliedsstaaten. Budapest steht damit sinnbildlich für den Beginn eines langen, aber entscheidenden Weges. Denn die Bürgerenergie hat das Potenzial, nicht nur die Energiewende, sondern auch den Zusammenhalt in Europa zu stärken – von der Donau bis zur Nordsee. Autorinnen: Viola Theesfeld, Valérie Lange, Urszula Papajak (BBEn)

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