Christina, ganz allgemein, was sind Regionalstromtarife?
Christina Lenzen: Regionalstromtarife sind ein Baustein zur Bürgerbeteiligung. Wenn Solaranlagen oder Windkraftanlagen gebaut werden, können Menschen, die in der Nähe wohnen, einen Teil ihres Stroms aus diesen Anlagen beziehen. Ob solch ein Angebot zustande kommt, hängt vom Betreiber ab und der Vermarktungsform, die er wählt. Es braucht das Zusammenspiel von engagierten Betreibern mit Ökostromanbietern wie naturstrom. Häufig entsteht die Idee bereits in der Planungsphase, wenn auch Bürgerinnen und Bürger in irgendeiner Form in das Projekt involviert sind.
Was treibt Projektierer und Betreiber, solche Angebote zu machen?
Wir sind bei der Energiewende ungefähr auf halber Strecke und müssen bis 2030 ungefähr noch einmal so viel Erneuerbare ausbauen wie bisher existieren. Es müssen landauf, landab noch viele neue Anlagen gebaut werden. Ohne die Unterstützung der Menschen vor Ort wird das nicht gelingen. Für einen Projektierer reicht es nicht, nur die Zustimmung der Flächeneigentümer zu haben. Er braucht eine positive Stimmung in der Gemeinde und der Menschen vor Ort.
Wer setzt den Tarif auf und bietet ihn an?
Projektierer sind in der Regel keine Energieversorger. Sie brauchen einen Partner, der ein Stromprodukt aufsetzen, es verwalten und abrechnen kann, das dann in einem lokal beschränkten Postleitzahlengebiet verfügbar ist. Der Betreiber bezuschusst es aus den Erträgen der Anlage, so dass der Tarif im besten Fall sehr günstig ist. naturstrom ist insofern eine Ausnahme, weil das Unternehmen Anlagen selbst plant und betreibt und gleichzeitig Energieversorger ist. Bei uns kommt sozusagen alles aus einer Hand. Das gehört übrigens seit jeher zur Unternehmensphilosophie: nicht nur erneuerbaren Strom erzeugen, sondern auch in den Bau neuer Anlagen investieren.
Es gibt die im EEG festgeschriebene Möglichkeit, die Kommune aus den Erträgen der Anlage zu beteiligen. Inwiefern unterscheiden sich Regionalstromtarife von dieser Beteiligungsform?
Die kommunale Beteiligung nach EEG ist möglich, aber nicht verpflichtend, jedenfalls bisher. Mit dem Regionalstromtarif kann jeder Haushalt profitieren, der das will. Es ist ein direkterer Weg, als wenn die Gemeinde das Geld erhält und vielleicht gar nicht klar ist, wofür es verwendet wird. In einzelnen Bundesländern gibt es inzwischen weitergehende Regelungen. In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise ist es möglich, die kommunale Beteiligung durch ein preiswertes Stromangebot an die Menschen vor Ort zu ersetzen. Vom Bündnis Bürgerenergie wurde ein Vorschlag für eine bundeseinheitlichen Regelung gemacht. Demnach sollen Vorhabensträger bis sechs Monate nach Genehmigung den Akteuren vor Ort ein passendes Beteiligungsangebot machen.
Bezieht man mit einem Regionalstromtarif immer Strom aus ganz konkreten Anlagen?
Bei unserem Regionalstrom garantieren wir, dass über die Hälfte aus dem jeweiligen regionalen Kraftwerk vor Ort stammt. Wir gehen den Weg und lassen Regionalstromnachweise ausstellen bzw. entwerten einmal jährlich beim Umweltbundesamt Regionalstromnachweise. Das ist mit einigem Verwaltungsaufwand verbunden, weshalb das nur wenige Anbieter machen. Verbreiteter ist ein anderes Vorgehen, allerdings werben die Anbieter ähnlich. Sie sagen: ‚Ihr wisst ja, dass wir hier Anlagen bauen, und jetzt gibt es auch noch einen neuen Stromtarif.‘ Damit wird suggeriert, dass der Strom im Tarif mit diesen Anlagen erzeugt wird.
Sollte es Förderung für echten Regionalstrom geben, der den Verwaltungsaufwand kompensiert?
Das halte ich für wenig sinnvoll. Denn dann fließt das Geld nicht in die Energiewende. Das ganze Problem entsteht ja durch die Trennung von Handel und Erzeugung. Hier spielt das Doppelvermarktungsverbot hinein. Der Strom aus Anlagen, die eine EEG-Vergütung erhalten, darf nicht ein zweites Mal verkauft werden. Die allermeisten Anlagen sind aber EEG-Anlagen. Für die Energiewende ist es trotzdem wichtig, einen Zusammenhang zwischen den Anlagen vor Ort und dem Haushaltsstrom für die Kundinnen und Kunden herzustellen. Dafür wurden die Regionalnachweise eingeführt. Wir nehmen den Mehraufwand auf uns, weil es uns wichtig ist, dass die Menschen einen Bezug zur Energiewende bei sich vor Ort herstellen können.
Wie kann denn dann ein Regionalstromtarif im Wettbewerb mit anderen Tarifen mithalten?
Zum einen wird er aus den Erträgen der Anlage bezuschusst. Beispielsweise bezuschusst der Betreiber MLK Consulting von Erneuerbaren Anlagen in der Gemeinde Jacobsdorf den gleichnamigen Stromtarif mit bis zu 28 Euro monatlich, die jeder Kunde erhält, unabhängig vom individuellen Verbrauch. Im Umfeld der Brandenburger Gemeinde hat der Betreiber zahlreiche Windkraftanlagen gebaut. Mit diesem Zuschuss wirbt er natürlich um Akzeptanz für weitere neue Anlagen. Zum anderen gibt es auch regionale Unterschiede bei den Netzentgelten. Gerade in Bayern sind sie im Vergleich niedrig. Dann kann auch der Regionalstromtarif davon profitieren.
Für die Regionalstromtarife arbeitet naturstrom mit Bürgerenergiegenossenschaften zusammen, kannst du diese Form der Partnerschaft kurz erläutern?
Das ist sozusagen unser Standardmodell. Wir sind Partner der Genossenschaften, bauen und betreiben mitunter sogar die Anlagen gemeinsam. Die Genossenschaft ist Ansprechpartner für den Betrieb und wir leisten die energiewirtschaftlichen Dienste im Hintergrund, inklusive Kundendienst. Denn das kann eine Genossenschaft in der Regel gar nicht leisten. Beispielsweise gibt es den Tarif regionalstrom Osteland, er heißt so wie die Bürgerenergiegesellschaft, die hinter den Anlagen steht. In Bayern ist das Regionalstrom-Modell sogar noch ausgeweitet. Hier arbeiten wir mit verschiedenen Genossenschaften zusammen, es wird aber ein bayernweiter Regionalstromtarif gebildet: bavariastrom.
Siehst du das Energy Sharing als Konkurrenz zu den Regionalstromtarifen?
Nein, es ist eine Erweiterung, auf die wir schon sehr lange warten. naturstrom steht in den Startlöchern für Modellprojekte, sobald die gesetzlichen Rahmenbedingungen stehen und setzen uns für entsprechende Gesetzesvorhaben ein. Wir bieten ja keinen Regionalstrom um seiner selbst willen an – sondern dahinter steht das Anliegen, die Bürgerinnen und Bürger für die Energiewende zu gewinnen und sie auch daran zu beteiligen. Es ist daher wichtig, dass dieser überfällige Schritt endlich gegangen wird.
Hier kommen wir nochmals auf das Thema Bürgernähe…
Die Menschen erleben, dass die Energiewende in vollem Gange ist. Aber der Frage des „Wie“ wird meiner Meinung nach noch zu wenig Bedeutung geschenkt, dabei ist sie so wichtig. Die Energiewende muss bürgernah und dezentral gestaltet werden. Es geht nicht, die Anlagen den Menschen nur vor die Nase zu stellen, ohne Mitsprache und ohne Beteiligung. Das führt zu Ablehnung. Auf der einen Seite die Anlagen ganz nah, auf der anderen Seite das Verständnis dafür ganz fern. Hier gibt es auch von der Politik noch Nachbesserungsbedarf. Die Bürgerinnen und Bürger müssen einbezogen werden.
Das Gespräch führte Petra Franke.