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Schwarzwälder Schinken heizt ein

Foto: Die Abwärme aus der Schinkenproduktion wird im Bioenergiedorf Bonndorf für die Beheizung der einzelnen Gebäude genutzt.
Die Abwärme aus der Schinkenproduktion wird im Bioenergiedorf Bonndorf für die Beheizung der einzelnen Gebäude genutzt. (Foto:© solarcomplex)

Im Süden Deutschlands wird eine Kleinstadt mit gewerblicher Abwärme versorgt, die aus der Produktion von traditionellem Schwarzwälder Schinken kommt. Über ein hochgedämmtes Nahwärmenetz wird die Wärmeenergie zu den angeschlossenen Gebäuden transportiert und dort an die jeweilige Hausanlage übergeben.

14.04.2016 – In den jahrzehntealten, gemauerten Räucherkammern glimmt und knistert es in einem Bett aus Sägemehl und Tannenholzschnitzel. Der aufsteigende Rauch umhüllt die in großen Eisengestellen hängenden Fleischstücke. Beim Schwarzwälder Schinkenhersteller Adler spielt Tradition eine große Rolle. Bevor die begehrte Spezialität über zwei bis drei Wochen ihre rauchige Note erhält, reift sie gut eingerieben mit Salz und frisch gemahlenen Gewürzen, in Kühlhallen. Bis aus den rohen Schweineschenkeln jener Schwarzwälder Schinken wird, den sogar ein EU-Siegel schützt, ist noch eine weitere Zutat unerlässlich, und zwar in großen Mengen: Energie.

Abwärme nutzen

14 Gigawatt pro Jahr benötigt die Produktion der Hans Adler OHG – und dabei bleibt jede Menge Abwärme übrig. Dass sie nicht in die frische Schwarzwaldluft strömt, sondern die Stuben der Bonndorfer Einwohner wärmt, macht das Nahwärmenetz der solarcomplex AG möglich. Das Bürgerunternehmen mit Sitz in Singen am Hohentwiel hat im Süden Baden-Württembergs bereits eine ganze Reihe von regenerativen Wärmenetzen in Betrieb. Den Beginn markiert Mauenheim, das erste Bioenergiedorf Baden-Württembergs. In diesem Jahr feiert es seinen zehnten Geburtstag. „Eigentlich war das damals eine Notlösung“ erinnert sich Bene Müller, Vorstand der solarcomplex AG. Weil Biogasanlagen nur für die Erzeugung von Strom Geld bekamen, wurde die Abwärme zunächst schlicht verschwendet. Das wollten Müller und seine Mitstreiter ändern und entwickelten Techniken zur Übernahme der Abwärme und schickten sie über neugebaute Verteilnetze als flüssige Wärme zu den Kunden. „Längst wissen wir, dass Wärmenetze nicht nur das ideale Medium sind, um Abwärme von Biogasanalgen aufzunehmen, sondern aus vielen erneuerbaren Energiequellen gespeist werden können“, sagt Bene Müller. Inzwischen betreibt sein Unternehmen 13 Wärmenetze. 5 Mio. Liter Heizöl werden laut Berechnung von solarcomplex durch die Netze ersetzt und 15.000 Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr verhindert. Der Öko-Stromerzeuger arbeitet fortlaufend an neuen Konzepten. „Wir haben immer wieder experimentiert: in einem Projekt im großen Stil Solarthermie eingesetzt, an einem anderen Ort einen großen Wärmespeicher zugebaut und jetzt in Bonndorf integrieren wir zum ersten Mal im großen Maßstab industrielle und gewerbliche Abwärme ins Netz“. Vieles sei denkbar, auch dass irgendwann überschüssiger Wind- oder Sonnenstrom die Netze über Wärmepumpen oder Heizstäbe versorgt.

Flexible Wärmenetze aufbauen

Acht Ingenieure bilden im insgesamt 42-köpfigen Bürgerunternehmen solarcomplex die Planungsabteilung Bioenergie. Sie arbeiten an Lösungen für die zahlreichen Orte, gerade im Schwarzwald, in denen bis heute kein Gasnetz liegt. Dort gilt es, zunächst die politischen Entscheidungsträger und dann natürlich die Kunden davon zu überzeugen, dass ein Wärmenetz die beste Zukunftsoption ist. „Ein Ort mit einem eigenen Wärmenetz kann flexibel und technologieoffen auf jede denkbare regenerative Energiezukunft reagieren“, wirbt Müller. Nebenbei versucht solarcomplex seinen Netzbau mit dem Verlegen von schnellem Internet zu kombinieren. Wenn das gelingt, sind gerade für kleine Gemeinden zwei große Modernisierungsschritte auf einmal möglich. Auch an der Qualität der Netze an sich feilt die solarcomplex-Mannschaft. Die Mitarbeiter vom Rohrleitungsbau kooperieren mit dem Fernwärme-Forschungsinstitut (FFI) und entwickelten gemeinsam mit einem führenden deutschen Rohrleitungshersteller verbesserte Leitungsvarianten, die Netzverluste deutlich minimieren.

Energieversorgung nachhaltig planen

Der niedrige Ölpreis lasse die Kunden allerdings momentan zögern, bedauert Müller. „Natürlich trennt sich gerade jetzt niemand ohne Not von seinem Ölkessel.“. In manch geplantem Netz sind deshalb die notwendigen Anschlusszahlen nicht zu erreichen – mit der Folge, dass Projekte verschoben werden und damit eben auch Neuentwicklungen ausbleiben. Hier an der Basis, im direkten Kundenkontakt wird die Bremswirkung greifbar, die das billige Öl auf die Energiewende hat. „Natürlich ist völlig klar, dass der Ölpreis wieder steigen wird, aber zunächst verlieren wir Zeit beim Ausbau der Erneuerbaren“, bilanziert der solarcomplex-Vorstand. Dabei ist hier noch viel Pionierarbeit nötig, um gerade auch das Einbinden von Industrieabwärme zu erleichtern. „Die Investitionskosten sind recht hoch und es gibt noch zu wenig Know-How in diesem Bereich“, sagt Peter Adler, der seine aufbereitete Abwärme ins Bonndorfer Netz speist. Er plädiert für mehr Kontakte zwischen Unternehmern und Energieakteuren. Zurzeit bezieht er seine Energie noch überwiegend aus dem normalen Stromnetz. In der Zusammenarbeit mit dem Bürgerunternehmen wurde der Plan entwickelt, künftig Energie über ein großes Photovoltaik-Feld zu erzeugen. Zudem sind drei Blockheizkraftwerke im Bau. „Wir müssen zu einer längerfristigen Betrachtung der Energieversorgung kommen“ ist der Unternehmer Adler überzeugt. Kurzfristig betrachtet stellen sich keine großen finanziellen Vorteile ein. Für Peter Adler ist Nachhaltigkeit ein Thema, das ihn schon länger bewegt. Bereits vor 15 Jahren schuf er im eigenen Betrieb Möglichkeiten zur Wärmerückgewinnung. Ähnlich wie auch der Bonndorfer Motorenhersteller Dunker. Auch dieses Unternehmen leitet bereits Abwärme in das bestehende Wärmenetz. „Durch das Einbinden industrieller Abwärme orientiert man sich tendenziell weg vom ländlichen Raum mit seinen Biogasanalgen und hin zu den Städten und ihren Produktionshallen“, erläutert Müller. So könnte dann immer öfter der Holzhackschnitzelkessel in den Heizzentralen ohne Feuer auskommen. Das Ideal für Bonndorf ist klar: Feuer glimmt nur noch in den Räucherkammern des Schwarzwälder Schinkens.

Das Energiesystem von Bonndorf

Die Abwärme der Firma Adler kommt aus zwei unterschiedlichen Quellen. Die Größte ist Abwärme aus den Kühlhäusern. Da das Temperaturniveau (ca. 30° C) jedoch zu niedrig ist um die Energie direkt nutzen zu können wird es mit zwei Wärmepumpen auf ca. 70° C angehoben. Die thermische Leistung der Wärmepumpen liegt bei 1.500 kW. Die zweite Wärmequelle ist Abwärme aus der Kompressorenanlage für Druckluft. Die daraus eingespeiste Wärmeenergie hat eine Leistung von ca. 80 kW bei einer Vorlauftemperatur von über 80° C. Die Wärmeenergie der beiden Abwärmequellen wird ergänzt durch Wärme aus drei Blockheizkraftwerken (BHKW), in denen Strom und Wärme parallel mit hoher Effektivität erzeugt wird. Die Versorgungssicherheit wird durch eine Ölkesselanlage und durch einen Wärmetauscher zum Dampfsystem gewährleistet. Drei Pufferspeicher mit einem Gesamtvolumen von 300 m³ entkoppeln die Wärmeerzeugung von den Verbrauchern: Firma Adler und Nahwärmenetz solarcomplex. Damit werden Differenzen der Erzeugung und des Verbrauches ausgeglichen, Verbrauchsspitzen werden abgebaut und ein zeitweiliges Überangebot an Wärme wird zwischengespeichert. Das Nahwärmenetz von solarcomplex ist vom Heizungssystem der Fa. Adler über zwei große Plattenwärmetauscher vollständig getrennt. Eine gegenseitige Beeinflussung z. B. durch Druckstöße oder durch unterschiedliche Heizwasserqualitäten kann nicht erfolgen. Über das hochgedämmte Nahwärmenetz wird die Wärmeenergie zu den angeschlossenen Gebäuden transportiert und dort über die Übergabestationen an die jeweilige Hausanlage übergeben. Karina Christen


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