Kraftwerksstrategie: Biogas als Eckstein für Energie- und Wärmewende
Bioenergie kann teilweise LNG ersetzen und steht im Vergleich zu Wasserstoffimporten sofort und regional zur Verfügung. Doch in der Kraftwerksstrategie wird die heimische Energie ignoriert, bemängelt die Branche und fordert bessere Bedingungen.
08.07.2024 –Biogas ist eine wichtige Säule des zukünftigen Energiesystems – es ist speicherbar, flexibel nutzbar und grundlastfähig, schreibt das Bundesministerium für Landwirtschaft. Denn Biogas produziert auch dann Energie, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht. Biogas könnte daher ein wichtiger Baustein bei der Kraftwerksstrategie sein, wird aber bislang von der Regierung kaum berücksichtigt– dabei wäre das Potenzial groß. Die Branche forderte schon im März eine Aufnahme von Biogasanlagen in den Kraftwerksausbau. Denn Infrastruktur und Flexibilitätsmöglichkeiten seien größtenteils schon vorhanden.
Bioenergie statt LNG
„Biogas kann alles, was fossiles LNG (Liquefied Natural Gas) kann, und steht im Vergleich zu Wasserstoffimporten sofort und regional zur Verfügung. Dennoch sucht man das Wort Biogas in der Kraftwerksstrategie der Bundesregierung vergeblich“, kritisierte der Präsident des Fachverbandes Biogas, Horst Seide, die Situation seiner Branche im Vorfeld der EnergyDecentral 2024, die vom 12. bis 15. November in Hannover stattfindet. Im Interview mit energy decentral fordert Seide ein klares Signal pro Biogas. „Im Strombereich, in dem Biogas umsatzmäßig am stärksten ist, sieht es momentan nicht gut aus. Wir haben hier eine hohe Anzahl von Anlagen, die eine Anschlussförderung brauchen.“
Biogasanlagen in eine flexiblere Zukunft führen
Laut Seide gibt es noch knapp 10.000 Anlagen mit einer Gesamtleistung von rund sechs Gigawatt, die pro Jahr über 33 Terawattstunden Strom erzeugen. Das entspreche etwa sechs Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland und der gleichen Menge an Wärme, die vor allem im ländlichen Raum genutzt wird.
„Für hunderte Anlagen endet der EEG-Vergütungszeitraum in den nächsten Jahren“, so der Präsident des Fachverbandes Biogas. „Und die Ausschreibungsrunden für eine Anschlussvergütung waren zuletzt dreifach überzeichnet.“ Seide ist überzeugt, dass ohne eine deutliche Anhebung der Ausschreibungsvolumina im regulären Segment der Erhalt des Biogasanlagenbestandes auf heutigem Niveau nicht zu realisieren wäre.
Beteiligen sich Biogasanlagenbetreiber an einer Ausschreibung, können sie nach dem Ende der 20-jährigen Vergütung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EGG) eine neue Einspeisevergütung für weitere zehn Jahre erhalten. Das Problem: Der Gesetzgeber habe die Ausschreibungsmenge klein gehalten. Auf das ausgeschriebene Biomasse-Volumen von 240 Megawatt installierter Leistung wurden Laut Fachverband Biogas im ersten Halbjahr 2024 insgesamt 788 Gebote im Umfang von 742 Megawatt eingereicht. Über 500 Biogasanlagen-Betreiber hätten erneut keinen Zuschlag erhalten.
Umfrage zur Teilnahme an Ausschreibungen – Stilllegungen drohen
Der Fachverband Biogas hat seine Mitglieder zu deren Ausschreibungsteilnahme und möglichen Konsequenzen bei einem negativen Bescheid befragt. Von den knapp 3.200 Betreibern hätten 540 an der Umfrage teilgenommen. Fazit: 212 Betreiber hatten bereits einmal oder mehrfach an einer Ausschreibung teilgenommen. Nur 42 Prozent haben bislang einen Zuschlag erhalten. 88 Betreiber wollen nun ihre Anlage stilllegen – das sind 16 Prozent der Befragten. Für 151 Biogasanlagen bedeutet das Ende der EEG-Vergütungszeit auch das Ende der Wärmenutzung – also für mehr als ein Viertel. Sie werden künftig nur noch den Strom verkaufen.
Von den 540 Biogasanlagen haben laut Verband 89 Prozent eine Wärmenutzung. Abnehmer der Biogaswärme sind laut Verband über 21.000 Haushalte, 51 Schwimmbäder, 124 Schulen und Kindergärten, 82 Turnhallen, 54 Altenheime oder Krankenhäuser und 206 sonstige Nutzer (Ställe, Trocknung etc.). Hochgerechnet auf die 9.900 Biogasanlagen in Deutschland bedeute dies, dass knapp 390.000 Haushalte an Wärmenetze angeschlossen sind, über 1.000 Schwimmbäder, knapp 2.500 Schulen und Kindergärten, 1.640 Turnhallen und über 1.000 Altenheime oder Krankenhäuser.
„Wir können es uns nicht leisten, auf dieses Potenzial zu verzichten“, mahnt Seide. Viele Orte in ganz Deutschland hätten bei der vorgeschriebenen kommunalen Wärmeplanung auf Biogasanlagen gebaut. „Wenn die Biogaswärme, die bei der Erzeugung von Strom in Blockheizkraftwerken sowieso anfällt, nicht mehr zur Verfügung steht, wird es an vielen Stellen schwer werden mit der Umsetzung der Wärmewende“, sagt Seide und fordert: „Die Biogasbranche braucht dringend eine verlässliche Perspektive – sonst verlieren wir nicht nur flexible Leistung im Stromsektor, sondern auch sehr viel Wärme im ländlichen Raum.“
Dafür müsse das Ausschreibungsvolumen umgehend auf 1.800 Megawatt pro Jahr mehr als verdreifacht werden. Zudem solle der Flexibilitätszuschlag von 65 Euro auf 120 Euro je Kilowatt erhöht werden. Den Flexibilitätszuschlag erhalten diejenigen Betreiber, die nur dann Strom erzeugen, wenn zu wenig Strom im Netz ist. Auch müsse ein Verbot im Flexibilitätsbonus fallen. Bislang sei es nicht möglich, in einer bereits flexibilisierten Biogasanlage einen größeren Leistungsanteil zu flexibilisieren, etwa von 100 auf 200 Kilowatt. Dies müsse geändert werden, fordert Seide.
Kraft-Wärme-Kopplung hat zentrale Bedeutung in der kommunalen Wärmewende
Seide weist darauf hin, dass Biogasanlagen auch bei der Speicherung Vorteile haben, denn sie können Biogas und Biomethan länger und saisonal vorrätig halten. So lasse sich die Strommenge der Anlagen im flexiblen, dem Wind- und Sonnenstromlieferung angepassten Betrieb, deutlich besser verteilen: durch zusätzliche Gasspeicher und mehr Motoren.
2023 wurden in Deutschland über 14 Terawattstunden Wärme mittels Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) direkt an der Biogasanlage gewonnen. „Damit kommt der KWK eine zentrale Bedeutung im Rahmen der kommunalen Wärmewende zu“, so Seide. „Die zweite Option, über die wir sprechen, ist die Aufbereitung von Biogas zu Biomethan. Rund 4,9 Terawattstunden Wärme wurden 2023 aus Biomethan mittels Blockheizkraftwerken beziehungsweise Feuerungsanlagen am Erdgasnetz gewonnen.“
REPowerEU: eine Strategie zur Umgestaltung des europäischen Energiesystems
Ziel der REPowerEU-Strategie - die vor zwei Jahren von der Europäischen Kommission ins Leben gerufen wurde – ist es, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland zu verringern und den Übergang zu klimaneutraler Energie zu beschleunigen. Fester Bestandteil der Strategie ist ein Aktionsplan, mit dem bis 2030 eine Steigerung der EU-Biomethanproduktion auf 35 Milliarden Kubikmeter pro Jahr erreicht werden soll, berichtet der Fachverband Biogas. „Innovationen und die finanzielle Unterstützung zur Steigerung der Biogasproduktion übernehmen eine Schlüsselrolle“, so Seide. „Wir benötigen rund 5.000 neue Biogasanlagen, um das ehrgeizige EU-Ziel zu erreichen.“ Seide hält das für realistisch. „Innerhalb der EU sehen wir, dass Nachbarländer wie Frankreich dabei sind, den Biogas- und Biomethansektor massiv auszubauen. Auch Deutschland ist es nach 2006 gelungen, in weniger als zehn Jahren rund 6.000 Biogasanlagen zu bauen.“
Gefahr der technologischen Abhängigkeit vom Ausland
Ein großes Problem sieht Seide bei der Anzahl der neugebauten Biogasanlagen. Den rund 30 Stilllegungen hierzulande standen im Jahr 2022 nur knapp über 100 neu gebaute Biogasanlagen gegenüber, berichtet er. Laut Seide behindern zu viele rechtliche Hemmnisse und schleppende Genehmigungsverfahren den notwendigen Ausbau der Biogasnutzung in Deutschland.
Vorausgesetzt, die Entwicklung geht in Deutschland so weiter wie bisher, und die Förderungen bleiben so restriktiv, sieht Seide das Risiko, dass der Standort Deutschland auch technologisch abgehängt wird. „Die überwiegend mittelständischen Unternehmen der Branche zählen zu den führenden Innovationstreibern in Europa. Ein Großteil stellt auf dem Messegelände in Hannover aus. Allerdings besteht die Gefahr, dass sich dieses über 20 Jahre aufgebaute Know-how zunehmend ins Ausland verlagert, da dort im Gegensatz zu Deutschland weiterhin auf Biogas gesetzt wird.“
Kommunale Wärmeplanung in Gefahr
Viele Kommunen machen sich Sorgen um ihre Wärmeversorgung. Auch für die kommunale Wärmeplanung in Baden-Württemberg wäre diese drohende Entwicklung ungünstig. Mit ihr soll eine klimaneutrale Wärmeversorgung erreicht werden. Die Wärmeplanung beginnt mit einer systematischen Analyse des heutigen und zukünftigen Wärmebedarfs vor Ort, beziffert die Potenziale einer klimaneutralen Energieversorgung und weist Eignungsgebiete für Wärmenetze sowie eine dezentrale Wärmeversorgung aus, erläutert der Branchenverband. Außerdem werden Maßnahmen erarbeitet, mit denen sich der Wärmebedarf komplett mit Erneuerbaren Energien, Abwärme und der Kraft-Wärme-Kopplung decken ließe.
„Nahwärmenetze sind ein guter Einstieg für Kommunen, nach der Wärmeplanung ein konkretes Projekt umzusetzen. Wenn die Potenziale einer Biogasanlage in einem Wärmenetz genutzt werden, kann das für die Nutzer, den Biogasbetreiber und die Kommune eine echte Win-Win-Situation sein,“ sagt Jörg Dürr-Pucher, Vorsitzender der PEE BW. Unabhängig davon wären Wärmenetze für Kommunen ein Gewinn und erhöhten die Unabhängigkeit – denn sollte irgendwann noch mehr Wärme benötigt werden, ließe sich jede beliebige Wärmequelle an das Netz anschließen. na
Kommentare
Thomas R. am 09.07.2024
Zwei Dinge die bei Biogas (und auch bei Strom aus Biomasse) gerne vergessen werden:
1. Nur ca. 1/3 der Energiegewinnung aus Biogas / Biomasse wird aus Abfällen gewonnen. Für den Rest werden extra Energiepflanzen angebaut. Der Flächenbedarf dieser Energiepflanzen ist, im Fall der Stromerzeugung je kwh, um den Faktor 50-100 höher als bei Solaranlagen. Zudem werden diese Pflanzen unter Verwendung von Düngern hergestellt durch deren Verwendung der Stickstoffkreislauf gestört wird, und für deren Produktion große Mengen an Erdgas verwendet und CO2 ausgestossen wird. (Letzteres auch durch Bestellung und Transport der Feldfrüchte mit Großmaschinen.)
Diese hohen teils umweltschädigenden Aufwände werden durch Fördersätze von aktuell bis zu 19,83 Cent/kwh subventioniert.
2. Ja, es ist grundlastfähig, aber es ist vor allem auch speicherbar. Wenn wir schon teilweise auf Biomasse setzen, dann sollte die Anwendung doch wenigstens auf die Zeiten beschränkt sein, zu denen ein Mangel an Wind und Solar herrscht.
Aber während bei sonnigen oder windigen Tagen Kohle- und Gas-Kraftwerke runter regeln laufen die Biomasse-Kraftwerke kontinuierlich weiter.