Widersprüchliche Kommunalpolitik: Aachener Stadtverwaltung provoziert Rückbau intakter Solaranlagen
In Aachen liegen Freud und Leid in diesen Tagen nah beieinander. Mit einer Solaroffensive will die Stadt Hauseigentümer motivieren. Gleichzeitig brüskiert sie Betreiber alter Anlagen mit Forderungen, die letztlich zum Rückbau führen.
13.04.2021 – Während die Stadt Aachen Geld in die Hand nimmt, um den innerstädtischen Solarenergieausbau zu fördern, zeigt sie sich gegenüber Anlagenbetreibern der ersten Stunde von einer sehr unnachgiebigen Seite. Sie schraubte die Bedingungen für den Weiterbetrieb von Anlagen auf gepachteten städtischen Dächern so hoch, dass jetzt intakte PV-Anlagen zurückgebaut werden.
Mit der vor zwei Wochen gestarteten Solaroffensive will die Stadtverwaltung die Hauseigentümer zum Bau von Photovoltaik- und Solarthermieanlagen motivieren. Beratungsangebote und Fördermittel stehen bereit. Sogar ein Solarkataster bietet die Stadt. Dort sind alle Dachflächen je nach Eignungsgrad für eine Solaranlage farblich gekennzeichnet. Hauseigentümer können damit schnell herausfinden, ob ihr Dach überhaupt zur Nutzung der Sonnenenergie geeignet ist. All diese Maßnahmen sind Teil des Klimaschutzkonzeptes, das die Stadt nach dem Ausrufen des Klimanotstandes 2019 entwickelt hat.
In dieses Bild passt nur schwer die Nachricht vom gleichzeitigen Rückbau von intakten Photovoltaikanlagen auf städtischen Dächern. Doch genau dies geschieht gerade, wie der Solarenergie Förderverein (SFV) berichtet. Er ist sogar selbst als Betreiber einer Anlage betroffen. Der Verein hat Ende März eine voll funktionsfähige Anlage auf dem Dach der katholischen Grundschule Birkstraße abgebaut. Die Anlage war seit 23 Jahren in Betrieb und lieferte gleichbleibend gute Erträge.
Mit dem Aachener Modell schrieb die Stadt einst Geschichte
Mit dem Abbau geht ein Stück Solarenergie-Geschichte zu Ende. Die Anlage war 1997 Teil des kommunalen Förderprojektes Sonne für Schulen. Der erzeugte Strom wurde nach dem vom Solarenergie Förderverein Deutschland e.V. (SFV) entwickelten „Aachener Modell“ mit einem fixen Betrag pro Kilowattstunde kostendeckend vergütet. Damals hatte die Strompreisaufsicht in Nordrhein-Westfalen genehmigt, dass für die Vergütung des Solarstroms auf kommunaler Ebene ein Geldbetrag auf den Strompreis aufgeschlagen werden durfte. Viele Städte und Kommunen in ganz Deutschland folgten diesem Beispiel. Das Konzept fand später Eingang ins Erneuerbare-Energien-Gesetz.
Der SFV pachtete ein kommunales Schuldach und errichtete die Anlage. 2017 lief der Pachtvertrag aus. Die Stadt forderte ein Sachverständigengutachten, das den einwandfreien technischen Zustand der Anlage belegen sollte. Schon das fand der Verein übertrieben, erfüllte aber die Forderung, die mit hohen Kosten verbunden war. Der neue Pachtvertrag wurde nur bis Ende 2020 geschlossen – zu diesem Zeitpunkt endete für diese Anlage die EEG-Vergütung.
Jährliches Sachverständigengutachten gefordert
Bereits Mitte letzten Jahres, als überhaupt noch nicht feststand, wie der Weiterbetrieb ausgeförderter Anlagen gesetzlich geregelt würde, meldete sich die Stadt mit sehr konkreten und weitreichenden Forderungen. Die Anlagenbetreiber sollten wiederum ein Sachverständigengutachten erbringen – und das von nun an jährlich. Nur dann könne der Pachtvertrag verlängert werden. Solch ein jährliches Gutachten übersteigt die finanziellen Möglichkeiten des Vereins und ist aus Sicht der dort versammelten erfahrenen Solarfachleute auch nicht branchenüblich und angemessen. Susanne Jung, Vorsitzende des Solarenergie Fördervereins Deutschland berichtet: „Wir haben das mit der Stadt diskutiert, aber es gab kein Einsehen.“
Zudem wurde die Erneuerung der Blitzschutztechnik gefordert. Ärgerlich dabei war, dass die Stadt nicht darauf einwirkte, den Blitzschutz gemeinsam mit einer zweiten Anlage auf demselben Dach umzusetzen, sondern beide Anlagenbetreiber aufforderte, ein eigenständiges System zu installieren.
Das war ein trauriger und emotionaler Moment
„Finanziell hätten diese Forderungen den Verein überstrapaziert und so haben wir uns letztlich entschieden, die Anlage abzubauen. Der Betreiber der anderen Anlage auf dem Dach wurde ähnlich unter Druck gesetzt und hat seine Anlage gemeinsam mit uns abgebaut. Das war ein sehr trauriger und emotionaler Moment“, berichtet Susanne Jung. „Wir haben intakte Module vom Dach genommen, mit einem wirklich großen Aufwand. Das Dach wurde eingerüstet, ein Dachdecker war vor Ort, hat kleine Reparaturen ausgeführt und die Absperrung am Boden war auch auf höchste Sicherheit ausgelegt.“ Als die Module auf dem Schulhof in Anhänger eingeladen wurden, waren alle Beteiligten vor Ort ergriffen. Die Solartechnik war in einem sehr guten Zustand, weder verschmutzt noch mit anderen sichtbaren Schäden. Die Anlage hätte noch einige Jahre weiterlaufen können. Die gleichbleibend guten Erträge der letzten Jahre hatten bereits vorab gezeigt, dass ein Abbau völlig unnötig war.
Das Schicksal dieser Anlage ist kein Einzelfall. Schon kurz darauf wurde eine weitere große Anlage in Aachen Walheim abgebaut, bei der der Betreiber – ein gemeinnütziger Verein – erst vor zwei Jahren viel Geld in Blitzschutztechnik investiert hatte.
Einige Dutzend Anlagen wurden vor mehr als zwanzig Jahren im Programm Sonne für Aachener Schulen gebaut. Bei einigen Anlagen hat die Stadt den Weiterbetreib ermöglicht, sogar die Nutzung des Stroms in den Schulen, aber nicht alle Anlagen hatten dieses Glück. „Wir kritisieren, dass dieses Verfahren überhaupt nicht transparent war und die Gründe für die Entscheidungen nicht nachvollziehbar“, sagt Jung.
Die Kommunalpolitik hat aus ihrer Sicht hier versagt. Jung hofft, dass das in anderen Städten so nicht passiert. Mit dem Aachener Modell habe die Stadt einst Geschichte geschrieben. Mit diesem Vorgehen werfe sie jedoch eigene Maßstäbe über Bord. Wenn die Stadt die Dächer in einigen Jahren mit neuen leistungsfähigen Anlagen bebauen will, so Jung, hätten die Altanlagen mit einigem guten Willen zumindest bis zum Neubau erhalten werden können.
Die Solaranlage des SFV wird glücklicherweise nicht entsorgt, sondern nach dem Abbau der Initiative „aachen eden“ übergeben, um eine Aquaponik-Anlage zur nachhaltigen Fisch- und Pflanzenzucht in der Region Aachen aufzubauen. pf
Kommentare
Rolf Henkel am 13.04.2021
Vollkommen unverständlich! Sind das Aachener Schildbürgerstreiche? R.H.
jomei am 13.04.2021
Das Grundproblem hat Elon Musk bereits in seinem Statement über Verschleppungen durch deutsche Genehmigungsbehörden auf den Punkt gebracht (sinngemäß): Die sachbezogene Inkompetenz von Entscheidungsträgern und Vollstreckern bei formalem inhaltsleeren Absolutheitsanspruch. Deutsches Behördentum.