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Europa






Foto: Envelio

Nachgefragt 13.05.2025

Daten sind Grundlage für Planung und Ausbau

Die Digitalisierung der Netze ist eine Riesenaufgabe – doch was bedeutet das genau? Tobias Falke spricht im Interview über die konkreten Schritte, die zu gehen sind, und Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern.

Tobias Falke ist VP Sales & Marketing beim Smart-Grid-Spezialisten Envelio


Nachgefragt 13.05.2025

Daten sind Grundlage für Planung und Ausbau

Die Digitalisierung der Netze ist eine Riesenaufgabe – doch was bedeutet das genau? Tobias Falke spricht im Interview über die konkreten Schritte, die zu gehen sind, und Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern.

Foto: Envelio

Tobias Falke ist VP Sales & Marketing beim Smart-Grid-Spezialisten Envelio



Herr Falke, was genau ist gemeint, wenn man von der Digitalisierung der Netze spricht?

Grundsätzlich kann man zwei Stränge unterscheiden: die Digitalisierung von Prozessen und die Digitalisierung von Betriebsmitteln. Letzteres ist die Hardware,  die eine präzisere Überwachung und Steuerung der Netze ermöglicht. Darunter fallen Smart Meter, aber auch Batterien oder intelligente Ortsnetzstationen. Beim Rollout von Smart Metern ist Deutschland in Europa hintendran, viele andere Länder sind da deutlich weiter. Durch die Installation vieler Smart Meter erhalten die Netzbetreiber einen viel besseren Überblick über ihr Netz.  Sie sind in der Lage zu erkennen, wo hohe Auslastungen oder Spannungsprobleme auftreten können. Außerdem können sie die Daten für verschiedenste Simulationen und Analysen nutzen. Der flächendeckende Einsatz von Smart Metern ist sozusagen die Basis der Digitalisierung. Denn nur wenn ich weiß, was in den Netzen wirklich passiert, kann ich Dinge entscheiden, regeln, steuern und mein Netz gezielter ausbauen.

Wie steht es um die anderen Betriebsmittel?

Bei der Erprobung von Batterien zur Netzstützung oder auch bei so innovativen Betriebsmitteln wie intelligenten Ortsnetzstationen ist Deutschland schon auf einem vergleichbaren Weg wie andere europäische Länder. Allerdings sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass die Ausbringung intelligenter Steuerungstechnik aufwändig und langwierig ist. Um von den Vorteilen der Automatisierung und Digitalisierung bestmöglich zu profitieren, sollte dieser Prozess daher frühzeitig und flächendeckend umgesetzt werden.

Sie sprechen von zwei Strängen. Wie digital sind die Prozesse organisiert?

Hier geht es im ersten Schritt darum, die unterschiedlichsten Systeme zu verbindenn, damit alle verfügbaren Daten tatsächlich  in den verschiedensten Prozessen zur Verfügung stehen. Prozesse digitalisieren heißt dann, dass die unterschiedlichsten Vorgänge viel stärker datengetrieben ablaufen und alle Messwerte zum Beispiel auch in die Planung eingehen oder zur Zustandsüberwachung genutzt werden. Gleichzeitig bedeutet es, die Prozesse zu automatisieren, zur Datenauswertung keinen Menschen mehr rechnen zu lassen. So können Prozesse schneller und präziser werden.

Können sie dafür ein Beispiel nennen, wie sieht so etwas in der Praxis aus?

Ein gutes Beispiel sind die Hosting Capacity Maps in Nordeuropa. Das sind Karten, in denen Netzbetreiber sehr transparent über freie Netzkapazitäten informieren. Diese Karten können von Projektierern direkt bei Standortentscheidungen für das nächste Rechenzentrum oder den nächsten Windpark genutzt werden – ohne dass sie auf Rückmeldung von Netzbetreibern warten müssen. In Deutschland drehen sich Netzbetreiber und Projektierer oft im Kreis. Auch die Frage, wo man zu welchem Preis das Netz ausbauen kann, gehört dazu. In Nordeuropa und in den baltischen Staaten gibt es tatsächlich mehr proaktive Informationen der Netzbetreiber bis hin zu Ausbauplänen, auf denen Ausbauvorhaben mit Kosten ausgewiesen sind.

Wo liegen denn die Unterschiede in der Herangehensweise?

Zum einen haben wir in Deutschland ein größeres Sicherheitsbedürfnis, zum Beispiel was die Veröffentlichung von Daten betrifft. Da gehen die Nordeuropäer eindeutig mit einem anderen Mindset ans Werk. Ja, wenn wir Netzpläne auf die Homepage stellen, gibt es ein gewisses Sicherheitsrisiko, aber diese Informationen sind auch auf anderen Wegen verfügbar. Ein weiterer Unterschied: Netzbetreiber in anderen Ländern gehen eher mit einer Dienstleistungsmentalität ans Werk, sehen sich selbst viel stärker als Dienstleister gegenüber den Endkunden und nicht primär als Infrastrukturbetreiber. In Deutschland hätte uns in der Vergangenheit mehr Pragmatismus besser getan, zum Beispiel beim Rollout der intelligenten Messsysteme.

Deutschland hat sehr viele Verteilnetzbetreiber, gibt es andere europäische Länder mit vergleichbaren Strukturen?

Deutschland ist mit mehr als 800 Verteilnetzbetreibern schon ein sehr fragmentierter Markt. Ähnlich fragmentiert ist nur die Schweiz. Ansonsten sind die Märkte in anderen europäischen Ländern deutlich konzentrierter und entsprechend deutlich weniger komplex. In der Regel gibt es maximal 10 bis 20 relevante große Netzbetreiber. Viele Länder haben sogar noch weniger, drei bis fünf. In Griechenland und Estland gibt es sogar nur einen einzigen.

Sind die Vielzahl der Netzbetreiber und die eher kleinen Netze ein Nachteil für Deutschland?

Die kleinen Netzbetreiber, die wir in Deutschland haben, sind sehr dynamisch und können Innovationen schneller umsetzen und sich naturgemäß schneller bewegen als ein großer Player. Es gibt Beispiele von kleinen Netzbetreibern, die sehr innovativ unterwegs sind. Aber das Gros der Unternehmen hat zu wenig IT-Ressourcen, um die Vielzahl der Digitalisierungsprojekte umzusetzen. Da tun sich dann größere Netzbetreiber natürlich ein bisschen leichter, die ein eigenes Innovationsmanagement und eine eigene Digitalisierungsabteilung haben. Das Zusammenlegen von Kompetenzen wäre aus meiner Sicht ein notwendiger Schritt. Und auch Standardisierung über mehrere Netzbetreiber hinweg ist notwendig, nicht jeder muss das Rad neu erfinden.

In Deutschland dürfen Netzbetreiber große Verbraucher bei Netzengpässen dimmen. Haben Netzbetreiber in anderen Ländern ähnliche Rechte?

Die Diskussion um den Paragrafen 14a des Energiewirtschaftsgesetzes ist in der Tat bemerkenswert. Wärmepumpen, Batterien und Ladestationen müssen die Dimmung durch den Netzbetreiber ermöglichen, falls Netzengpässe auftreten.  Deutschland geht hier einen Sonderweg, da wir uns im ersten Schritt darauf konzentrieren, erst dann zu steuern, wenn es eigentlich zu spät ist. Denn Abregelung ist letztlich ein Noteingriff. In vielen anderen europäischen Ländern geht die Diskussion eher in Richtung proaktiver Flexibilitätsnutzung: Nämlich wie können Märkte und Strukturen so gestaltet werden, dass der Notfall im Idealfall gar nicht erst eintritt. Hier stellen sich natürlich auch Fragen hinsichtlich marktgetriebenen oder netzgetriebenen variablen Endkundentarifen und wie es sich auf das Netz auswirkt, wenn sich Kunden eher marktorientiert verhalten.

Kommt Ihnen ein Aspekt beim Thema Digitalisierung zu kurz?

Ja, das ist vor allem das Thema  Datenqualität. Das wird schnell übergangen. Es ist enorm wichtig, dass die Daten aktuell und vollständig sind und besonders wichtig: konsistent. Es wird immer als selbstverständlich vorausgesetzt, aber in der Praxis gibt es häufig ein Datenchaos, das erst bereinigt werden muss, bevor die Früchte der Digitalisierung geerntet werden können. Hier sind smarte und digitale Tools notwendig, um Netzbetreiber zu bei der Suche und Korrektur von Datenfehlern zu unterstützen. Außerdem gibt es noch eine andere Ebene der Digitalisierung – der Austausch zwischen den Netzbetreibern. Auch der wird zukünftig immer wichtiger. Hier sehen wir in Europa heute tatsächlich noch Lücken zwischen den Verteilnetzbetreibern und den Übertragungsnetzbetreibern. Auch hier kann die Digitalisierung helfen, Prozesse effizienter zu gestalten.

Das Gespräch führte Petra Franke.

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