Flexibles EnergiesystemEnergie speichern

Quartier Lück in Köln-Ehrenfeld
Im Quartier Lück in Köln werden Bewohner zukünftig mit Erneuerbarer Wärme aus dem Abwasserkanal versorgt, Anlieferung des Wärmespeichers (Foto: naturstrom AG).

Energie einspeichern stabilisiert das Netz und sichert die Energieversorgung. Um ein flexibles Stromsystem zu schaffen, müssen die Speicherkapazitäten in Deutschland um ein Vielfaches ausgebaut, neue Flexibilitäten geschaffen und genutzt werden.

01.11.2024 – Erneuerbare Energie wird erzeugt, wenn der Wind weht und die Sonne scheint – und dann oft mehr als nötig. Da viel Erneuerbare Energie derzeit nicht gespeichert werden kann, bleibt sie ungenutzt, obwohl sie an anderer Stelle dringend gebraucht würde.

Es gibt zwei Möglichkeiten, diese überschüssige Energie nutzbar zu machen. Durch sogenannte Lastflexibilität kann voraussehbar höherer Stromverbrauch in Zeiten gelegt

werden, in denen viel Energie erzeugt wird. Dies kann im Großen wie im Kleinen geschehen. Die Herausforderung ist, Abläufe und Prozesse neu abzustimmen und umzustellen. Es ist aber auch möglich, die grüne Energie zwischenzuspeichern. Speicher werden bereits im derzeitigen Energiesystem eingesetzt, um in Engpasssituationen Energie bereitzustellen. Um ein flexibles Stromsystem zu schaffen, müssen die Speicherkapazitäten in Deutschland aber um ein Vielfaches ausgebaut werden.

Von Groß- und Kleinspeichern

Gebraucht werden dabei alle Arten von Speichern und Flexibilitätsoptionen. Neu hinzu kommen sollen Wasserstoffspeicher, die derzeit noch erprobt werden. Bisher übernahmen vor allem Pumpspeicherkraftwerke die Aufgabe, die Netzfrequenz stabil zu halten. In Deutschland existieren derzeit 30 Pumpspeicherkraftwerke mit 6,4 Gigawatt (GW) Leistung bzw. einer Kapazität von rund 40 Gigawattstunden (GWh). Sie stellen rund 85 bis 90 Prozent der Stromspeicherkapazität in Deutschland.

Batteriespeicher haben Pumpspeicher in puncto Leistung mit 7,5 GW bereits überholt. Bei über 80 Prozent davon handelt es sich um Klein- und Heimspeicher. Hinzu kommen etwa 1,1 GW Großbatteriespeicher. Batteriespeicher stellen derzeit 10 bis 15 Prozent der Speicherkapazität in Deutschland zur Verfügung.

Auch Großbatterien werden zunehmend eingesetzt, um das Netz zu stabilisieren und Regelenergie zur Verfügung zu stel­len. 2018 baute das Energieversorgungsunternehmen eneco den damals größten Batteriespeicher Deutschlands in Jarde­lund in Schleswig-Holstein mit rund 48 Megawatt (MW). Ziel des Projekts war neben der Bereitstellung von Primärre­gelleistung auch, mehr von Schleswig-Holsteins Windenergie zu nutzen statt abzuregeln.

Batteriespeicher werden zunehmend auch direkt an Solar­parks angebaut, um ausschließlich grünen Strom zu spei­chern. So wurde auch der Solarpark Henschleben in Thüringen 2022 von naturstrom mit einem Speicher ausgestattet (siehe Seiten 36-37). Der rund 1 MW starke Speicher soll das Netz entlasten, indem er den zu Spitzen­zeiten produzierten Ökostrom gleichmäßig einspeist.

Lange rechnete es sich nicht, Anlagenkombinationen mit Speichern zu bauen. In den letzten Jahren gab es jedoch Verbesserungen. Seit der Änderung des Energiewirtschafts­gesetzes Ende 2023 hat Deutschland eine Speicherstrategie. Mit dem Solarpaket I wurden Melde- und Genehmigungs­pflichten bereits etwas vereinfacht, besonders für kleine Heimspeicher bis 30 KW und die gemeinschaftliche Gebäu­deversorgung. Zudem dürfen Speicher an Erneuerbaren Kraftwerken nun Graustrom aus dem Netz speichern, was neben Kostenersparnissen für Betreiber auch hilft, das Netz zu stabilisieren. Die Branche hofft auf weitere Durchbrüche für Speicher im Solarpaket II, besonders in puncto Klarheit beim Baukostenzuschuss und Netzentgelten sowie weiteren Erleichterungen bei der Integration an PV-Anlagen und dem Retrofitting von Bestandsanlagen. Derweil wird das Repowe­ring von Solar- und Windkraftanlagen mit Batteriespeichern immer beliebter.

Energiespeichermarkt hat viel Potenzial

Der Energiespeichermarkt hat sich in den vergangenen Jahren in Deutschland rasant entwickelt und Preise sinken. Doch es gibt weiterhin große Kostenunterschiede für verschiedene Batteriesysteme. Das macht es schwer, Batteriekosten bei der Stromerzeugung einzurechnen. In einer Analyse der Stromgestehungskosten in Deutschland prognostiziert das Fraunhofer ISE allerdings, dass Strom aus Erneuerbaren Anlagen mit Speicher auch über die kommenden 20 Jahre rasant günstiger wird. „Diese Berechnungen zeigen, dass die in Deutschland gerade anlaufenden Großprojekte mit einer Kombination aus PV-Freiflächenanlage, Windpark und stationären Batteriespeichern gute Investitionen sind“, sagt Christoph Kost, Abteilungsleiter für Energiesystemanalyse am Fraunhofer ISE und Hauptautor der Studie.

Die installierte Kapazität von großen Batteriespeichern in Deutschland könne sich in den kommenden zwei Jahren ver­fünffachen, sagt der Bundesverbandes Solarwirtschaft (BSW-Solar) mit Verweis auf eine Marktanalyse des Beratungsun­ternehmens Enervis. „Die preissenkende Einspeisung von immer mehr Solarstromleistung macht das immer günstigere Speichern von Strom zu einem interessanten Geschäftsmo­dell. Der Zubau großer Batteriespeicher wird dabei helfen, den schnellen Zubau an Photovoltaikleistung besser ins Stromsystem zu integrieren“, erklärt Carsten Körnig, Haupt­geschäftsführer des BSW-Solar.

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Dem Netzentwicklungsplan der Bundesnetzagentur nach werden bis 2050 etwa 27 Gigawatt an Großbatteriespeicher­kapazitäten benötigt. „Ausgehend von der derzeit instal­lierten Batteriespeicherkapazität müsste der weitere Ausbau mit einer Wachstumsrate von 20 Prozent pro Jahr fortgeführt werden, um den im Netzentwicklungsplan angenommenen Wert bis 2037 zu erreichen, und von da ab noch einmal etwa sechs Prozent pro Jahr für den Wert von 2045“, heißt es im Monitoringbericht der Bundesregierung.

Kleinspeicher - die Menge macht‘s

Kleine, kurzfristige Flexibilitätsoptionen wie E-Autos, Wärmepumpen und Heimspeicher solarer Kleinanlagen können das Netz nicht unerheblich entlasten. Diese kleinen Speicher werden ohnehin verstärkt ausgebaut, um Mobilität, Wärme- oder die private Stromversorgung zu dekarbonisieren. Bis 2030 sollen der Bundesregierung nach rund 15 Millionen E-Autos in Deutschland unterwegs sein. Eine solche E-Auto-Flotte würde mit rund 750 GWh die 20-fache Speicherkapazität aller deutschen Pumpspeicher­kraftwerke besitzen, sagt der Bundesverband Neue Energie­wirtschaft (bne).

Mit ihrer Hilfe können Lastspitzen entscheidend abgefedert werden, solange entsprechende Mechanismen erlauben, Angebot und Nachfrage zusammenzubringen. Liefern Erneu­erbare Energien viel Strom, können Batterien kurzfristig geladen und Wärmepumpen zeitlich günstig eingesetzt wer­den. Gibt es wenig Strom, kann die Energie aus den Spei­chern zeitlich versetzt genutzt werden. Kleine flexible Verbraucher und Erzeuger könnten so zukünftig Lastspitzen um bis zu zehn Prozent verringern, folgert das Ökoinstitut. Dabei können Speicher und Erneuerbare Anlagen auch zu großen, virtuellen Kraftwerken zusammengeschlossen wer­den. Die virtuellen Kraftwerke sind zentral gesteuert und können flexibel und optimiert auf Nachfrage und Netz rea­gieren. Energiespeicher können besonders effizient integriert werden, da überschüssige Erneuerbare Energie aus vielen verschiedenen Quellen eingespeichert werden kann.

„Je mehr dezentrale Flexibilitäten in diese Märkte reinkommen, umso geringer werden auch wieder die Anreize, weitere große Batteriespeicher umzusetzen. Das ist eine komplexe Dynamik, die sich aber auch selbst korrigiert“, erklärt Norman Gerhardt, Abteilungsleiter Energiewirt­schaft und Systemanalyse am Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE. „Da wird es spannend, wie das langfristig ausgeht.“

Bidirektional laden

Wie es ausgeht, wird auch von der Reform des Strommarktes mitbestimmt, die gerade in Arbeit ist. Die notwendigen Mechanismen sind teils technischer und teils regulatorischer Natur. So müssen kleine private Speicher bidirektional ladbar sein, also sowohl aus dem Netz aufladen als auch ins Netz einspeisen können. Zähler und Ladeinfrastruktur müssen ausreichend digitalisiert sein, um netzdienliches Verhalten zu belohnen. Ein regulativer Rahmen muss festlegen, wie was abgerechnet wird, und so auch Preisanreize für gewünschtes Verhalten in Punkto Stromverbrauch schaffen.

Erste bidirektional ladbare Automodelle gibt es bereits, aller­dings können sie den Strom bisher nur in einen Heimspeicher mit Energiemanagementsystem wieder einspeisen, nicht ins öffentliche Netz. Seit Ende letzten Jahres stellt VW eine entsprechende Software für bestimmte E-Automodelle zur Verfügung, die derzeit in der schwedischen Siedlung Stenberg erprobt wird. Ein ähnliches Angebot gibt es von BMW, deren System zunächst nur das Laden mit überschüssigem Dachsolarstrom ermöglicht. Ab dem kommenden Jahr soll dann das bidirektionale Laden möglich werden. In einem groß angelegten Projekt arbeitet der Frankfurter Flughafen seit vergangenem Oktober daran, über vier Jahre eine Flotte von über 600 E-Fahrzeugen in flexible Speicherkapazität zu verwan­deln, die an knapp 90 Ladepunkten angeschlossen werden können. So soll eine virtuelle Großbatterie entstehen, die jederzeit und je nach Anforderung Strom aufnehmen oder abgeben kann.

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Elektroautos, Wärmepumpen und Heimspeicher machen das Stromsystem künftig flexibler und könnten 2035 zehn Prozent des Gesamtstromverbrauchs in Deutschland zeitlich verschieben. Mithilfe neuer Tarifmodelle würden dabei sogar Stromkosten sinken.

„Frankfurt Airport bietet ein ideales, in sich geschlossenes Testsystem, ein so genanntes Reallabor, um bidirektionale Ladeinfrastruktur zu etablieren“, sagt Michael Kuschel, Lei­ter Energie und Netze der Fraport AG. „Fraport besetzt alle wesentlichen Rollen innerhalb dieses Testsystems: Wir sind Netzbetreiber und gleichzeitig wichtigster Abnehmer, die Ladepunkte sind Bestandteil unserer eigenen Infrastruktur und auch Software-Anwendung erfolgt aus unserer Hand. Dank dieser einzigartigen Konstellation sind wir in der Lage, die erforderliche Testumgebung unabhängig von derzeit noch ausstehenden technischen und regulatorischen Definitionen abzubilden.“

Gebrauchte Lithium-Ionen-Batterien aus Elektrofahrzeugen können in anderen Speichern weiterverbaut werden. Fahr­zeugbatterien werden bereits ersetzt, wenn sie noch rund 80 Prozent ihrer ursprünglichen Speicherkapazität besitzen. Sie können also weiterhin Strom speichern, sind nur nicht mehr für E-Fahrzeuge geeignet. Im Rahmen des Projekts Fluxlicon wurde ein flexibles und modulares Speichersystem in Containerbauweise aus Second-Life-Batterien entwickelt. Die Speicher werden derzeit in einem erneuerbaren Quartier in Ludwigsburg sowie in Kombination mit einer Solaranlage in Wolfenbüttel erprobt, wo sie den Eigenanteil von Solar­strom erhöhen, Lastspitzen besser managen und lokale Netze entlasten sollen.

Erneuerbare Wärme

Auch Wärmepumpen können einen Beitrag leisten, wenn sie Energie in Form von Warmwasser speichern. Wärme ist leich­ter speicherbar als Strom. Eine Einspeicherung in einer Batte­rie wird so nicht notwendig. Wärmepumpen sind flexibel ein­setzbar und können auf die Erzeugungsspitzen Erneuerbarer Energien abgestimmt werden, besonders gut um Frühling und Herbst. In Kombination mit flexiblen Tarifen können Ver­braucher zudem Kosten sparen, wenn in Zeiten von Lastspit­zen Strom zu besonders günstigen Preisen erhältlich ist.

Dies gilt für Groß- und Kleinwärmepumpen. In Wien nutzt seit Ende letzten Jahres die leistungsstärkste Großwärme­pumpe Europas die Abwärme eines Klärwerks, um rund 54.000 Haushalte mit Wärme zu versorgen. Bis 2027 soll sich die Anzahl fast verdoppeln. Wien baut bereits seit einigen Jahren ein umfassendes Fernwärmenetz aus, das mit Groß­wärmepumpen klimaneutral betrieben werden soll.

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Gute Netze und die richtigen Preisanreize

Vor allem kleine Flexibilitäten im Verteilnetz spielen künftig eine große Rolle. Auch dynamische Netzentgelte sind denkbar. Gute Netze und die richtigen Preisanreize sind die Basis für ein flexibles Stromsystem, betont Anke Weidlich im Interview.

Anke Weidlich ist Professorin für Technologien der Energieverteilung und Mitglied der Expertenkommission zum Energiewendemonitoring.

In etwas kleinerem Maßstab wird im nachhaltigen Quartier LÜCK in Köln-Ehrenfeld in Zukunft die Abwasserwärme des nahegelegenen Kanals unter der Äußeren Kanalstraße genutzt (siehe Seite 32). Über 120 Meter entzieht ein Wärme­tauscher dem dort entlangfließenden aufgeheizten Abwasser Wärme und liefert sie an die mit Solarstrom betriebene Wär­mepumpe des Quartiers. Über ein Fernwärmenetz können alle 216 Wohnungen so geheizt oder gekühlt werden.

Ein europäisches Projekt hat Technologien, Marktbedin­gungen, Geschäftsmodelle und Anwendungsfälle für Wärme­pumpen unterschiedlicher Größe in mehreren Ländern verglichen. „Fallbeispiele aus den Niederlanden zeigen besonders eindrucksvoll, wie ein smarter Betrieb von Wärmepumpen Lastspitzen im Netz reduzieren kann“, berichtet Axel Oliva vom Fraunhofer ISE. Entscheidend dabei sei, dass die Wärme­pumpen netzdienlich gesteuert werden.

Die Technik ist weniger das Problem

Der Mix aus zentraler und eigener Steuerung muss allerdings noch austariert werden. Zunächst braucht es bürokratiearme Rahmenbedingungen und Anreize für Bau, Installation und Finanzierung von großen und kleinen Speichern. Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie des Instituts für Kli­maschutz, Energie und Mobilität (IKEM) in Berlin, die das Potenzial von Elektrolinienbussen für Systemdienstleistungen wie Netzstabilität untersucht hat. Der ÖPNV könne bereits entsprechend genutzt werden, aber es fehle ein Rechtsrah­men, der Vergütung sowie Details wie Datenschutz regele.

Die EU sieht bereits eine entsprechende Einbindung von Pro­sumenten vor, die nun schnell in nationales Recht übertragen werden sollte. „Von der Technik her wird das immer weniger ein Problem, es geht eher darum, dass es regulatorisch funk­tioniert“, ist sich auch Gerhardt sicher. Deutschland ist beim Umbau des Stromsystems durch seine Größe und hohen Grad der Industrialisierung besonders gefordert. Sowohl auf Seiten der Wirtschaft wie auch auf Seiten des Gesetzgebers passiert derzeit viel. Gerhardt meint sogar, dass Deutschland das Poten­zial hätte, „zu einem Leitmarkt für Flexibilität zu werden.“ jb

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