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Europa









Foto: Florian Forsbach

Nachgefragt 28.04.2025

Europas gekoppelter Strommarkt ist ein Erfolgsmodell

Europa hat einen einheitlichen Strommarkt, in dem der günstigste Strom möglichst vielen Menschen zur Verfügung gestellt wird. Wie das funktioniert und warum der Binnenstrommarkt ein Erfolg ist, erklärt Energieexperte Leonhard Probst im Interview.


Nachgefragt 28.04.2025

Europas gekoppelter Strommarkt ist ein Erfolgsmodell

Europa hat einen einheitlichen Strommarkt, in dem der günstigste Strom möglichst vielen Menschen zur Verfügung gestellt wird. Wie das funktioniert und warum der Binnenstrommarkt ein Erfolg ist, erklärt Energieexperte Leonhard Probst im Interview.

Foto: Florian Forsbach



Herr Probst, warum gibt es den europäischen Strommarkt?

Die ursprüngliche Idee für einen vernetzten Strommarkt innerhalb von Europa war eigentlich, sich aushelfen zu können, wenn große Kraftwerke in einem einzelnen Land ausfallen – dass man also genug Reservekapazität hat, um größere Fehlerfälle abzufangen, ohne im eigenen Land Kapazitäten für jeden erdenklichen Fehler vorsehen zu müssen. Daraus hat sich aber schrittweise ein Strommarkt entwickelt, der nicht nur für Kraftwerksausfälle funktioniert, sondern auch ermöglicht, dass immer das kosteneffizienteste Kraftwerk produziert. Wenn man jetzt davon ausgeht, dass es keine Netzengpässe gibt, ist der Strommarkt so konstruiert, dass immer die Kraftwerke Strom produzieren, die die geringsten Grenzkosten haben. In der Folge werden für das gesamte Marktkopplungsgebiet die Kosten minimiert. Meistens spricht man dann von einer Maximierung der Gesamtwohlfahrt.

Wie wird entschieden, wann importiert oder exportiert wird, und wann nicht?

Es gibt viele Missverständnisse zur Funktionsweise des Europäischen Strommarkts. In dem Markt gibt es keinen Akteur, der über Import und Export entscheidet. Es läuft eine gesamteuropäische Optimierung, die versucht, unter Berücksichtigung der beschränkten Grenzübertragungskapazitäten die Wohlfahrt zu maximieren: Also möglichst viele günstige Kraftwerke einzusetzen mit der Einschränkung, dass der Strom zwischen den Gebotszonen nicht beliebig verschoben werden kann.

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Wichtig zu verstehen ist, dass jeder Stromverkäufer oder Stromkäufer immer den Preis in seiner Gebotszone bezahlt. Wenn beispielsweise Deutschland Strom nach Frankreich exportiert, bekommt der deutsche Kraftwerksbetreiber den deutschen Strompreis vergütet, und der französische Verbraucher oder Stromabnehmer muss den französischen Strompreis bezahlen. Da stellt sich die Frage, ob da irgendwo Geld verloren geht, wenn einer weniger bekommt als der andere bezahlt. Der Differenzbetrag wird als sogenannter Netzengpass-Erlös an die beteiligten Übertragungsnetzbetreiber von dieser Grenzverbindung ausbezahlt, in aller Regel 50:50 aufgeteilt. Diese Einnahmen müssen zweckgebunden für den weiteren Ausbau von diesen Grenzübertragungsleistungen investiert werden. Mit diesem Marktdesign will man erreichen, dass es mittel- und langfristig immer geringere Strompreisdifferenzen innerhalb von Europa gibt, und diese begrenzten Übertragungskapazitäten eine immer geringere Rolle spielen.

In Deutschland gibt es einige Netzengpässe, das kann also teuer werden. Wie kann man das lösen?

Prinzipiell sollten diese Kosten immer nur vorübergehend anfallen. Wenn das Problem längerfristig besteht, muss man die Gebotszonen auftrennen oder die Engpässe durch Netzausbau verringern. In Deutschland haben wir vor allem Engpässe im Übertragungsnetz beim Transport von Windstrom aus dem Norden nach Süddeutschland. Über die Netzengpasserlöse existiert ein System, das sich selbstregulierend optimiert, weil die Übertragungskapazitäten immer weiter ausgebaut werden. Im Raum Freiburg, wo ich mich befinde, ist das derzeit auch so. Die großen Erweiterungen der Übertragungskapazität nach Frankreich werden tatsächlich aus diesen Netzengpasserlösen finanziert.

Gibt es Vorgaben darüber, wie viel Strom im europäischen Strommarkt gehandelt wird?

Die europäischen Vorgaben sind sehr strikte Richtlinien, die angeben, wie viel der gesamten vorhandenen Grenzübertragungskapazität für diesen Stromhandel zur Verfügung gestellt werden muss. Das hat vor allem den Hintergrund, dass es in jedem Land immer Gewinner und Verlierer gibt. Durch den zusätzlichen Stromhandel zwischen den Ländern wird die Gesamtwohlfahrt gesteigert. Allerdings profitieren einzelne Akteure und es sind gleichzeitig einzelne Akteure im Nachteil. Wenn ein Land dauerhaft Strom exportiert, könnte es, indem es die Exportkapazitäten beschränkt, den Strompreis senken. Die Verbraucher würden dadurch profitieren. Wer allerdings benachteiligt ist, sind alle Verkäufer, also Kraftwerksbetreiber etc. Um solche negativen Spiralen zu verhindern, gibt es sehr strikte Vorgaben, dass diese Übertragungskapazitäten nicht unilateral herabgesetzt werden dürfen. Es müssen immer mindestens 70 Prozent der physisch vorhandenen Grenzübertragungsleistungen für den gekoppelten Stromhandel zur Verfügung gestellt werden.

Wo zeigt sich, dass die Strommarktkopplung ein Erfolg ist?

Durch den Ausbau von variabler Erzeugung aus Sonne und Wind können wir den geographischen Wetterausgleich nutzen. Die einzelnen Hoch- und Tiefdruckgebiete verteilen sich innerhalb von Europa. Es gibt Regionen, wo viel Wind, und Regionen wo wenig Wind ist. In einem sehr gut gekoppelten Stromsystem gibt es vor allem bei der Windenergie sehr starke räumliche Ausgleichseffekte. Bei der Nutzung der Photovoltaik spielt insbesondere die Nutzung der bereits vorhandenen Pumpspeicherkraftwerke in den Alpenländern oder in Skandinavien eine große Rolle.

Aus technischer Sicht ist dieser europäische, automatisch gekoppelte Strommarkt ein Erfolgsmodell. In der deutschen Diskussion ist sehr häufig das Narrativ zu finden, dass Deutschland den Strom billig exportiert und teuer einkauft. Tatsächlich ist das aus der eigenen Länderperspektive betrachtet immer so. Denn das ist die Idee hinter dem Stromhandel: Der Strom aus dem Land, wo gerade günstig erzeugt werden kann, wird auch in den anderen Ländern genutzt. Das ist genau, wodurch dieser Wohlfahrtsgewinn entsteht. Es gibt Ausnahmen, wenn ein Land sehr viel Speicherkapazität besitzt.

Für den Stromkunden hat der Handel einen mittel- und langfristigen Nutzen: Der Strom steht günstiger zur Verfügung, weil es diese Maximierung der Wohlfahrt und damit einen volkswirtschaftlichen Gewinn gibt. Deswegen macht es keinen Sinn, sich einzelne Zeitpunkte auszusuchen und damit Argumentationsketten aufzubauen, die den europäischen Stromhandel diskreditieren. Das ist eines der größten Missverständnisse, wenn es um den europäischen Strommarkt geht. Ich glaube, vielen ist nicht bewusst, wie weit wir im Strommarkt in Europa bereits sind: Es gibt einen einheitlichen Markt, der schon gut funktioniert.

Das Interview führte Julia Broich.

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