In den ersten fünf Monaten des Jahres hat die Solarenergie rund 17 Prozent des deutschen Stromverbrauchs gedeckt. Im Jahr zuvor lag dieser Wert erst knapp über 13 Prozent. Wow! Doch seit längerem kann ich mich über solche Rekorde nicht mehr richtig freuen. Denn so notwendig das Credo „Hauptsache Zubau“ in den Anfangsjahren der Energiewende war – längst sind die erneuerbaren Energien systemrelevant. Das alte „Viel hilft Viel“ gilt nicht mehr. Ohne ihre Zwillingsschwester „Flexibilität“ läuft der Solarzubau in Deutschland einem empfindlichen Dämpfer entgegen.
Warum die Dramatik?
Dass es an sonnigen Tagen einen massiven Überschuss solarer Stromerzeugung in Deutschland gibt, ist bekannt. Das Ausmaß jedoch nicht: knapp 28 Prozent des bislang im Jahr 2025 erzeugten Solarstromes hatte im Großhandel keinen oder sogar einen negativen Wert. Tendenz steigend. Beim Verkauf dieses Stromes an Verbraucher wird also kein Geld erlöst, sondern muss welches mitgebracht werden. Im Ergebnis fließen über den EEG-Mechanismus Steuermittel in die Herstellung eines Produktes, das am Markt nicht mehr ausreichend Abnehmer findet.
Warum der Strom dann überhaupt erzeugt wird, selbst bei Null- und Negativpreisen? Weil das Gros dieser Mengen aus ungesteuerten Anlagen stammt und zudem die Marktregeln dazu führen, dass Abregeln sich selbst bei negativen Preisen nicht lohnt. Auch Batterien für Eigenverbrauchsoptimierung helfen aktuell nicht – die über 16 Gigawattstunden Heimspeicherkapazität mit ihren 10 Gigawatt Leistung sind schon vormittags voll.
Welche Anlagen tragen wie zum Solarspitzenproblem bei?
Für ungesteuerte PV-Anlagen ohne Direktvermarktungspflicht, sowohl die auf Privathäusern als auch auf Gewerbebetrieben, gibt es keinen Grund, bei negativen Preisen abzuregeln. Denn der EEG-Tarif gilt pro Kilowattstunde eingespeistem Strom – und der wird nicht einmal zeitaufgelöst gemessen.
Aber auch Anlagen, die zeitaufgelöst gemessen werden – z.B. bei Gewerbekunden mit Lastgang-Messung – produzieren bei negativen Preisen meist weiter Strom. Denn bei Eigenverbrauch werden Netzentgelte und staatliche Abgaben gespart. Liegen diese z.B. bei 12 ct/kWh würde ein Abregeln der Anlagen erst ab -12 ct/kWh Großhandelspreis wirtschaftlich Sinn ergeben. Dem Strommarkt ist es dabei egal, ob die eigenverbrauchte Menge durchs Netz fließt oder nicht: sie reduziert die verbleibende Nachfrage und senkt damit die Handelspreise. Zudem sind bei vielen dieser Anlagen Technik und Prozesse für eine Abregelung bei negativen Erlösen nicht eingerichtet.
Selbst für Anlagen wie größeren Freiflächen, die voll „im Markt stehen“, also ohne Eigenverbrauch über Direktvermarkter vermarktet werden, lohnt es sich erst bei länger anhaltenden oder stark negativen Preisen, nicht mehr einzuspeisen. Warum? Das liegt am Mechanismus der Marktprämie. Nehmen wir einmal an, eine Anlage hat einen Einspeisetarif von 10 ct/kWh. In einem Monat, in dem der Marktwert Solar mit 3 ct/kWh erwartet wird, wie im vergangenen April, erhält der Betreiber 7 ct/kWh Marktprämie. Und zwar unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt und bei welchen Preisen er einspeist: der Marktwert Solar ist ein bundesweiter Monatsdurchschnitt. Erst bei aktuellen Börsenpreisen unter -7ct/kWh macht der Betreiber ein Verlustgeschäft, würde sich also die Abregelung der Anlagen lohnen – außer es greift bereits die sogenannte 6/4/3h-Regelung, der zufolge neuere Anlagen in länger andauernden Phasen negativer Preise keine Marktprämie mehr erhalten. Bei älteren Anlagen mit höheren Tarifen greift all dies noch später. Zudem scheinen auch hier nicht immer Technik und Prozesse parat, eine Abregelung auch umzusetzen, z.B. an Wochenenden.
Gemäß den Zahlen der Energy Charts sind aktuell gut 63 GW Solarleistung nicht oder nur durch den Verteilnetzbetreiber steuerbar. Hier findet also per se keine Vermarktung statt und Preissignale spielen keine Rolle. 43 GW stehen zumindest zeitweise in der Vermarktung. Es ist aber abhängig von Anlagenkonfiguration, -größe und -alter auch bei negativen Preisen ökonomisch vorteilhaft, weiter zu produzieren. Wirklich auf negative Preise reagiert also nur ein Teil der 43 GW. Damit wird deutlich: wollte man zügig Anzahl und Ausmaß negativer Preise reduzieren, dürfte das ohne Beitrag der ungesteuerten Anlagen schwierig werden. Doch warum sollte man das überhaupt wollen? Negative Preise reizen neue Flexibilitäten, Batterien etc. doch besonders stark an?
Womit wir bei der Politik wären.
Ein „heißer Sommer“ droht und die Zeit drängt
Natürlich gibt es vorwärtsgewandte Lösungen für das „Solarspitzenproblem“. Doch die Zeit drängt. Denn aus Sicht der Bundesregierung gibt es jetzt zwei prinzipielle Optionen:
Option 1 (die Wünschenswerte): Extreme Beschleunigung der Flexibilisierung und des Batteriezubaus
Deutschland ist Europas Schlusslicht bei der Einführung von Smart Metern. Ein trauriger Evergreen der deutschen Energiewende. Doch ohne zeitaufgelöste Messung von Stromverbräuchen kommen die Preissignale des Marktes weder bei Verbrauchern noch bei Erzeugern an. Eine einfache und schnell umsetzbare Lösung wäre es, den Smart Meter Roll-Out zu entschlacken: statt gleichzeitig Messung und Steuerung mit Fort-Knox-artiger Sicherheitsanforderung für jeden Hausanschluss zu fordern, wäre es einfacher und billiger, zunächst die zeitaufgelöste Messung zu etablieren. Zum Durchstellen von Preissignalen reicht das. Für diesen Weg gäbe es einfache Lösungen und stünden auch wettbewerbliche Anbieter für einen Roll-Out in hoher Schlagzahl bereit. Allein, noch ist der politische Wille für diesen Weg nicht zu erkennen. Immerhin sind Beiträge zur Flexibilisierung größerer Verbraucher in Arbeit: die Bundesnetzagentur hat die Konsultationen zur Abschaffung der anachronistischen Netzentgeltstrukturen begonnen. Aber auch das wird dauern und nicht umgehend große Mengen Flexibilität in den Markt tragen.
Doch es gibt eine weitere Lösung neben der Flexibilisierung des Verbrauchs: systemdienlich eingesetzte Batterien. Leider ist gerade bei den Großbatterien aktuell wenig Handlungswille zu erkennen. Vielmehr haben sich Verteilnetz- und Speicherbetreiber bei der Frage verhakt, wie man Batterien marktorientiert und gleichzeitig nicht zu stark netzbelastend fährt. Denn tatsächlich gilt auch bei Batterien kein „viel hilft viel“. Man muss die Interessen der Batteriebetreiber nach marktgeführter, d.h. strompreisorientierter Fahrweise und der VNB nach der laufenden Berücksichtigung von Engpässen im Netz in Ausgleich bringen. Das geht – wenn man es denn will und den Prozess dafür politisch gestaltet. Doch BNetzA und BMWE halten sich Lösungsbeiträgen zurück.
Womit wir bei der zweiten grundsätzlichen Option der Bundesregierung wäre:
Option 2 (die hidden agenda?): Massives Einbremsen des Solarzubaus
Ohne schnelle Flexibilisierung und Batterien verursacht zusätzliche Solarleistung für weitere Jahre negative Preise und überhöhte EEG-Kosten. Dies einfach geduldig geschehen zu lassen, wäre tatsächlich wirtschaftlicher Unsinn. Der Monitoringbericht zur Energiewende, den die Bundesregierung im Spätsommer vorlegen will, könnte also zum Schluss kommen, dass eine solare Vollbremsung angesagt ist. Ich tippe sogar, dass dies in einigen Köpfen der bewusste Plan ist: die Wirtschaftlichkeit aller Anlagenklassen verschlechtern, Zubauziele und Ausschreibungsvolumina senken. Bei Großanlagen drücken gesunkene Marktwerte und gestiegene Unsicherheit ohnehin bereits auf die Wirtschaftlichkeit.
Sollte die Politik Option b) tatsächlich im Sinn haben, hilft nur eines: „brutalstmögliche Marktintegration“ der ungesteuerten Anlagen – und zwar sofort und auch freiwillig.
Mit dem Solarspitzengesetz hat die letzte Bundesregierung immerhin noch ein Instrument zum Gegensteuern geschaffen. Seitdem haben Betreiber kleiner PV-Anlagen die Option auf einen um 0,6 ct/kWh erhöhten EEG-Tarif, wenn sie im Gegenzug auf Vergütung bei negativen Preisen verzichten. Diese ausgefallenen Vergütungszeiten werden am Ende des 20-jährigen Vergütungszeitraumes angehängt. Das dürfte wirtschaftlich halbwegs aufgehen, trotz notweniger Smart Meter. Eine schriftliche Meldung an den Netzbetreiber, die Option nutzen zu wollen, reicht.
Doch auch die Wechselrichterhersteller müssen dafür endlich preisorientierte Fahrweisen für PV-Anlagen und Batterien ermöglichen – auch für ältere Geräte. Denn nur wenn sich in den nächsten Monaten viele ungesteuerte Anlagen auf diese Weise melden – mehrere Gigawatt müssten es schon sein – wären die Argumente für Option 2 wirksam geschwächt. Der Solarausbau und das EEG sollten es wert sein.
Augen zu und durch wird nicht klappen
Nach solchen Sofortmaßnahmen sollte die Solarbranche aber auch strukturell neue Konzepte vorlegen. Die Eigenverbrauchslogik, die den Markt so lange auch gegen politische Widerstände getragen hat, scheint wie beschrieben an ihre Grenze zu stoßen. Wir sollten uns daher ehrlich machen: Überhöhte Solarspitzen verschwinden nicht von selbst und schnell. Das braucht politischen Willen, neue Ideen und etwas Zeit. Augen-zu-und-durch wird da nicht klappen. Eine einfache Rechnung: bei 15 GW PV-Zubau pro Jahr kann das Problem erst kleiner werden, wenn jedes Jahr mehr Flexibilität mit einer Reichweite von vielen Stunden erschlossen wird. In den letzten 12 Monaten betrug der Batteriezubau gemäß battery-charts 3,5 GW Leistung mit 5,5 GWh Kapazität. Auch bei weiterer dynamischer Entwicklung des Marktes dürfte es mehr als nur ein Jahr dauern, bis die Preistäler in Batterien verschwinden.
All das ist keine schöne Situation. Doch wir dürfen das Spiel nicht den Anderen überlassen. Es gibt mehr als genug Potential für Flexibilität: in der Mobilität, in der Wärme, in der Industrie. Schlafende Riesen überall. Und ein tolles Geschäft noch dazu. Aber wir müssen sie endlich aufwecken.
Dr. Tim Meyer ist seit seinem Studium Anfang der 90er-Jahre überzeugt von den Vorteilen erneuerbarer und dezentraler Energiesysteme. Die mit ihnen verbundenen Herausforderungen, aber auch die gewaltige Entwicklungsdynamik und die Potentiale dieser "Clean Tech" hat er über 25 Jahre als Manager, Geschäftsführer und Vorstand unmittelbar erfahren und mitgestaltet – unter anderem als Vorstand der NATURSTROM AG. Seit 2022 ist Tim Meyer mit 3EPunkt als Berater für Unternehmen der Energiewirtschaft, Hersteller, Banken und Projektentwickler tätig. In Vorträgen und Postings (über 32.000 Follower bei LinkedIn) erläutert er Hintergründe, globale Markttrends und wirtschaftliche Chancen der Energiewende. In seinem jüngst erschienenen Buch „STROM – über Nostalgie, Zukunft und warum der Markt längst entschieden hat“ erläutert er die industriellen, energiewirtschaftlichen und gesellschaftlichen Logiken der globalen Energierevolution.