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StromgebotszonenGroß und stabil oder klein und agil

Stromleitung
Teilen oder nicht teilen, das ist die Frage (Bild: Kenny Eliason auf Unsplash).

Die europäischen Übertragungsnetzbetreiber empfehlen eine Teilung der deutschen Stromgebotszone. Energiemarktakteure fordern Netzausbau und Flexibilitätsanreize statt Aufteilung. Ob Deutschland geteilt wird, bleibt eine politische Entscheidung.

12.05.2025 – Deutschland diskutiert über seine Stromgebotszone. Die Netzkapazitäten der deutschen Gebotszone reichen oft nicht aus, um den Strom zwischen Norden und Süden zu transportieren. Eine Aufteilung könnte kurzfristig helfen, Engpassproblemen im Netz besser zu begegnen. Doch sie birgt auch erhebliche Unsicherheiten für Akteure und Investoren.

Die Ergebnisse des Bidding Zone Study Report der europäischen Agentur der Energieregulierungsbehörden Acer und des Verbands europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) bringen neuen Schwung in die Diskussionen um eine mögliche Teilung der Gebotszonen. Empfohlen wird darin eine Aufteilung in fünf Gebotszonen. Viele Energieökonomen befürworten eine Teilung, große Energiemarktakteure wie der VKU und BEE lehnen sie hingegen ab. Ob Deutschland geteilt wird, bleibt eine politische Entscheidung.

Ein Strompreis für Deutschland

Deutschland ist zurzeit als eine Stromgebotszone definiert, gemeinsam mit Luxemburg. Als Gebotszone wird eine geographische Region bezeichnet, in der ein einheitlicher Strompreis an der Strombörse gilt. Die Gebotszonen in Europa orientieren sich größtenteils an den Landesgrenzen. Doch es gibt auch Ausnahmen, so ist Schweden in vier Gebotszonen aufgeteilt, während Luxemburg zur deutschen Gebotszone gehört.

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Deutschlands Strompreiszone

Teilen oder nicht teilen, das ist die Frage

Ganz Deutschland ist als eine Strompreiszone definiert. Tatsächlich reichen die Netzkapazitäten jedoch oft nicht aus, um Strom zwischen Norden und Süden zu transportieren. Eine Aufteilung in lokale Strompreisgebiete könnte Abhilfe schaffen.

Es wird vorausgesetzt, dass der Strom innerhalb dieser Zone frei fließen und auch größere Strommengen problemlos transportiert werden können. Windstrom, der in Norddeutschland produziert wird, kann also zum gleichen Preis an Österreich oder die Schweiz verkauft werden, wie an lokale Abnehmer vor Ort.

Netzengpässe werden systematisch übersehen

Tatsächlich ist es nicht so einfach, Strom vom einen Ende Deutschlands zum anderen zu transportieren, wie die einheitliche Stromzone glauben lässt. Es gibt einige Netzengpässe innerhalb Deutschlands.

Erneuerbare Kraftwerke produzieren oft viel Energie auf einmal, die von den Netzen transportiert werden muss. Durch den zunehmenden Anteil flexibler Erneuerbarer Energien mit Peak-Stromeinspeisung sind die Netze immer öfter überlastet. Wird ein Netzengpass beispielsweise von Norden nach Süden erkannt, wird die Einspeisung im Norden gedrosselt und Kraftwerke im Süden hochgefahren, um den dort bestehenden Bedarf zu decken. So kann es passieren, dass der Strompreis signalisiert, dass gerade viel günstiger, erneuerbarer Strom im Netz zur Verfügung steht, tatsächlich aber fossile Kraftwerke einspringen müssen, um den Bedarf zu decken. Dieser Vorgang wird als Redispatch bezeichnet, und verursacht erhebliche Kosten, da einerseits Kraftwerksbetreiber für die Drosselung entschädigt und andererseits der zusätzlich produzierte Strom bezahlt werden muss.

Das ist nicht nur ein Problem für mögliche Stromabnehmer in Süddeutschland, sondern auch für das europäische Strommarktsystem. Der europäische Binnenstrommarkt ist gekoppelt, und eine gesamteuropäische Optimierung berechnet optimale Stromflüsse zwischen den Zonen. Dabei wird berücksichtigt, dass Strom zwischen den Zonen nicht beliebig verschoben werden kann, Netzengpässe innerhalb einer Zone jedoch nicht. Die einheitliche Gebotszone signalisiert dem Strommarkt, dass günstiger Strom an allen Grenzen zum Export zur Verfügung steht, obwohl dieser eventuell innerhalb der Zone gar nicht transportiert werden kann. So wird das Problem der Netzengpässe innerhalb Deutschlands weiter verstärkt.

Netze ausbauen

Die Redispatch-Daten werden dokumentiert und zeigen gezielt, wo Leitungen neu gebaut oder verstärkt werden müssen. Sie liefern also wertvolle Daten, die in die Netzausbaupläne einfließen und zum Ausbau motivieren. Der Netzausbau ist dringend notwendig: Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass selbst bei einer Umsetzung der derzeit ambitionierten Netzausbaupläne von 35 Prozent mehr Leitungen im Netz das Redispatch-Volumen in Europa von 50 TWh im Jahr 2022 auf 274 TWh im Jahr 2040 steigen würde.

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Europas gekoppelter Strommarkt ist ein Erfolgsmodell

Europa hat einen einheitlichen Strommarkt, in dem der günstigste Strom möglichst vielen Menschen zur Verfügung gestellt wird. Wie das funktioniert und warum der Binnenstrommarkt ein Erfolg ist, erklärt Energieexperte Leonhard Probst im Interview.
Leonhard Probst Wissenschaftler in der Gruppe Energiesysteme und Energiewirtschaft am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE (Foto: Florian Forsbach)

Um Engpässen zu begegnen, können zusätzlich zum Netzausbau Netzentgelte so ausgestaltet werden, dass diese verringert und Ausbau von Erzeugungskapazitäten in kritischen Regionen gefördert wird. Zeitvariable Netzentgelte könnten Verbraucher in bestimmten Regionen motivieren, ihren Verbrauch systemdienlich zu verschieben. Geringere Entgelte in Regionen mit häufigen Netzengpässen könnten wiederum Investitionen in neue Kraftwerke attraktiver machen.

Gebotszone oder Gebotszonen

Eine weitere Möglichkeit wäre, Deutschlands Stromzone aufzuteilen. Über eine Teilung der Stromzone wird bereits seit Jahren diskutiert. Vergangene Woche veröffentlichte die europäische Agentur der Energieregulierungsbehörden Acer in Zusammenarbeit mit ENTSO-E die Ergebnisse des Bidding Zone Study Report. In der Analyse wurde untersucht, ob alternative Gebotszonenkonfigurationen in Europa effizienter wären als die Einheitszone. Für Deutschland stand eine Aufteilung in zwei, drei, vier oder fünf Zonen zur Diskussion. Die Analyse basiert auf Daten von 2019 und modelliert Konfigurationen für das Jahr 2025. Die bereits bei Veröffentlichung veralteten Daten wurden weitreichend kritisiert, da die genutzten Prognosen den Anteil Erneuerbarer Energien sowie Flexibilitätspotenziale im derzeitigen Netz grob unterschätzt hatten. Empfohlen wird eine Teilung Deutschlands in fünf Gebotszonen, da für die untersuchte Konstellation jährliche Effizienzgewinne von bis zu 339 Millionen Euro zu erwarten seien.

Unter Energieökonomen und Energiesystemwissenschaftlern gibt es einen weitgehenden Konsens, dass lokale Preissignale für eine effiziente Ausgestaltung der Energiewende notwendig seien. Viele sprechen sich auch für eine Gebotszonenteilung aus. So könnten sowohl Erzeugungsspitzen effizienter genutzt als auch Fehlanreize und Redispatch-Kosten reduziert werden. Neben der empfohlenen Option einer Teilung in fünf Gebotszonen wird auch die Möglichkeit lokaler Strompreise diskutiert. In einer Studie empfehlen die Denkfabrik Agora Energiewende und das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik ein solches Modell mit 22 Preiszonen für Deutschland.

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„Kleinere Strompreiszonen sind effizienter“

Ein Vorschlag der Bundesnetzagentur für gerechtere Netzentgelte hat die Diskussion um verschiedene Strompreiszonen in Deutschland neu belebt. Letztlich geht es um den Umgang mit Netzengpässen. Im Interview erläutert Bernd Weber die europäische Dimension der Debatte.

Bernd Weber ist Gründer und Geschäftsführer der Denkfabrik EPICO, Energy and Climate Policy and Innovation Council e.V. 

Ein breites Bündnis von Energiemarktakteuren sowie weiten Teilen der Politik lehnen eine Teilung der Stromgebotszone hingegen ab. Zu letzteren gehören die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag, das BMWK in seinem Bericht zum Strommarktdesign der Zukunft, der Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller, der Verband der erneuerbaren Energien BEE, und der Verband Kommunaler Unternehmen VKU. 

„Der physische Netzausbau ist die langfristig nachhaltige Lösung für strukturelle Engpässe im deutschen Stromnetz. Kurzfristige Netzengpässe können durch mehr angebots- und nachfrageseitige Flexibilitäten reduziert werden“, sagt VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing. Ziel solle sein, die Kräfte weiter auf die Beschleunigung des Netzausbaus zu richten und die hohe Marktliquidität der einheitlichen Stromgebotszone zu erhalten. Das sei insgesamt zielführender als kurzfristige Markteingriffe von ungewissem Ausgang. Auch die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber sprechen sich gegen eine Strompreiszonenteilung aus.

Die Umgestaltung der Gebotszonen bedeutet einen erheblichen Aufwand für alle Beteiligten Energiemarktakteure. Höhere Strompreise in bestimmte Regionen Deutschlands könnten zudem wirtschaftliche Nachteile mit sich bringen. Dabei ist ungewiss, wie stabil eine neue Zonen-Aufteilung in Deutschland wäre, da der fortlaufende Ausbau von Erneuerbaren Energien und Netzen die Voraussetzungen laufend verändert. Ein volatiles Strommarktdesign könnte Unsicherheit in notwendige Investitionen schüren.

Wie es weitergeht

Die vom Review betroffenen 10 Mitgliedstaaten der EU haben sechs Monate nach Veröffentlichung der Bidding Zone Review Zeit, um auf die Empfehlung zu reagieren. Sollte keine gemeinsame Einigung möglich sein, kann die EU nach weiteren sechs Monaten eine bindende Entscheidung darüber treffen, wie die Gebotszonen ausgestaltet werden. jb

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