22.05.2025 – Vehicle-to-Grid (V2G) und bidirektionales Laden gelten als Game-Changer für die Energie- und Mobilitätswende. Doch der Markt für diese Schlüsseltechnologie steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen.
Was sind die größten Hürden?
Die größte Hürde sind die doppelten Netzentgelte. Im Moment ist es so, dass ich Netzentgelte bezahle, wenn ich mein Elektroauto nach der Fahrt über das Stromnetz wieder auflade. Das ist völlig klar, weil ich damit auch das Netz belaste. Wenn ich jetzt aber mein Elektroauto systemdienlich im Netz einsetze, um mehr erneuerbare Energien zu integrieren oder Energiedienstleistungen wie die Bereitstellung von Ausgleichs- oder Regelenergie zu erbringen, dann muss ich das Auto entladen. Wenn ich es wieder auf den Ladezustand bringe, den es vorher hatte, zahle ich wieder Netzentgelte. Diese Netzentgelte zahlen aber zum Beispiel große Batteriespeicher oder Pumpspeicherkraftwerke nicht so, deshalb rechnen sie sich und schießen wie Pilze aus dem Boden, weil der Markt dringend Flexibilität und Speicher braucht. Beim E-Auto habe ich diesen Business Case nicht, weil die Abschaffung der doppelten Netzentgelte nur für stationäre Speicher gilt. Wenn wir das auch für E-Autos hätten, könnten wir mit V2G durchstarten. Es gibt noch ein paar andere Hürden, aber die sind alle nachgelagert. Erst wenn das Geschäftsmodell funktioniert, macht es Sinn, die anderen Hürden anzugehen, etwa die Pflicht zum Einbau eines zweiten Smart Meters oder die noch hohen Preise für bidirektionale Ladestationen.
Seit einigen Monaten bieten Sie gemeinsam mit Renault erstmals eine kommerzielle V2G-Lösung in Frankreich an. Inwiefern sind die Marktbedingungen dort günstiger?
Renault hat dort zusammen mit dem nationalen Verteilnetzbetreiber Enedis und dem französischen Staat eine dreijährige Ausnahmeregelung für den Markthochlauf geschaffen, nach der die doppelten Netzentgelte für bidirektionales Laden nicht gezahlt werden müssen. Das ist genau das, was wir im vergangenen Jahr dem Bundeswirtschaftsministerium vorgeschlagen haben. Tatsächlich ist der französische Energiemarkt für V2G aber etwas weniger attraktiv als der deutsche, weil es dort aufgrund der höheren Grundlast durch Kernkraftwerke nicht so viele Preisschwankungen gibt. Deshalb können Elektroautofahrer nur die Hälfte bis zwei Drittel der Einnahmen durch bidirektionales Laden erzielen. In Frankreich sind 300 bis 500 Euro pro Jahr möglich, in Deutschland 600 bis 800 Euro, wenn nicht mehr. Das heißt, in Deutschland ist das Potenzial im stark von Wind- und Solarstrom geprägten Energiemarkt noch größer.
Wie sieht es in anderen Ländern wie Großbritannien aus?
In Großbritannien sind sogar noch höhere Mehrerlöse von 800 bis 1000 Euro für E-Autofahrer möglich. Gründe dafür sind das schlechtere Netz, der noch volatilere Strommarkt und mehr Produkte, die mit Batterien bzw. dem Elektroauto bedient werden können. Es gibt bereits mehrere Pilotprojekte mit insgesamt über 1000 Fahrzeugen für bidirektionales Laden. Ende des Jahres wird Renault mit uns in Großbritannien starten, ebenso wie in den Niederlanden. In beiden Ländern gibt es die doppelten Netzentgelte in der Form nicht.
Welche konkreten Vorteile hat V2G für die Netzbetreiber?
Der Netzausbaubedarf kann deutlich reduziert werden, wenn die Flexibilität der Elektroautos genutzt wird. Das heißt, immer wenn irgendwo ein Netzengpass besteht, werden die Batterien der Elektroautos entladen. Wenn zu viel Strom produziert wird, vor allem zu den Sonnenspitzen um die Mittagszeit, werden die Autos aufgeladen und abends wieder entladen - so verschieben sich die Erzeugungs- und Verbrauchsspitzen. Dieses Produkt gibt es leider noch nicht, dazu braucht es eine andere Regulierung und mehr intelligente Verteilnetze. Aber in diese Richtung wird es gehen. In den USA ist nodales Pricing bereits gang und gebe. Jetzt ist es wichtig, Elektroautos in den Markt zu bringen, um zu lernen, was sie wirklich können, wie sich die E-Autofahrer verhalten und inwieweit sie zur Netzstabilisierung beitragen können. Wir sprechen bis 2030 meines Erachtens von rund einer Million Elektroautos in Deutschland, die bidirektional laden werden. Das wird zu keinen Problemen führen. Letztes Jahr allein haben wir eine Million PV-Anlagen angebunden.
Welche Möglichkeiten gibt es schon heute? Was raten Sie Stadtwerken und Elektroautofahrern?
Sofort möglich ist das intelligente unidirektionale Laden von Elektroautos - in Kombination mit reduzierten Netzentgelten nach § 14 a EnWG. Durch die flexible Bereitstellung seiner Elektroauto-Batterie kann der Kunde schon heute bis zu 400 Euro pro Jahr sparen. Denn das Elektroauto bietet im Vergleich zu Haushaltsgeräten wie Waschmaschine oder Wärmepumpe das größte Flexibilitätspotenzial. Dafür haben wir verschiedene Lösungen entwickelt: eine Smart Charging App, mit der Elektroautofahrer ihre Ladevorgänge zu Hause planen und steuern können, einen dynamischen Ökostromtarif für Haushalte und eine EV-Aggregationsplattform, mit der wir die bereitgestellte Batterieflexibilität der angeschlossenen Fahrzeuge bündeln und im Kurzfristhandel vermarkten. Stadtwerke sind hier unsere Partner und können dies als White-Label-Lösung nutzen. Hier kooperieren wir beispielsweise mit der Kölner RheinEnergie oder der Enervie - Südwestfalen Energie. Zukünftig sollen diese Angebote auch auf bidirektionales Laden ausgeweitet werden. Wer jetzt mitmacht, ist für diesen vielversprechenden Zukunftsmarkt gut gerüstet.
Das Gespräch führte Hans-Christoph Neidlein.