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Flexibles StromsystemSystemintegration ins Zentrum der Energiewende rücken

Solarpark und Strommasten neben einer Autobahn
Mehr Solarstrom ins Netz bringen. (Foto: naturstrom AG / Celien Graubaum)

50Hertz-CEO Stefan Kapferer fordert beim weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien Vorrang für die Netzdienlichkeit. Andernfalls drohten die Investitionskosten für den Stromnetzausbau aus dem Ruder zu laufen und die Systemstabilität werde gefährdet.

13.03.2025 – Das Prinzip „möglichst viel, möglichst schnell und völlig ungesteuert“ müsse durch das Prinzip der Netzdienlichkeit ersetzt werden, forderte Stefan Kapferer, Vorsitzender der Geschäftsführung von 50Hertz, am Montag auf der Jahrespressekonferenz des Übertragungsnetzbetreibers in Berlin. Der bisherige Ansatz zur Förderung Erneuerbarer Energien belohne eine möglichst hohe Stromeinspeisung. Künftig sollten gezielt Anreize für einen netzdienlichen Zubau und eine netzdienliche Fahrweise geschaffen werden. Gleichzeitig plädierte Kapferer dafür, bei der Energiewende Kurs zu halten, aber Fehlentwicklungen zu korrigieren.

Negativpreise und Dunkelflaute

Er verwies darauf, dass im vergangenen Jahr an rund 80 Tagen im Jahr mindestens 100 Prozent erneuerbarer Strom im Netz von 50Hertz gewesen sei. Dies stelle zwar bisher kein Risiko für die Versorgungssicherheit und die Netzstabilität dar, führe aber zu hohen Preisvolatilitäten. So gab es im vergangenen Jahr 457 Stunden mit negativen Börsenstrompreisen.

Zum Beispiel am sonnigen 12. Mai 2024. Um 13 Uhr drückte die Photovoltaik den Börsenstrompreis (Day-Ahead) in Deutschland auf ein Jahrestief von minus 135 Euro pro Megawattstunde. Vor allem wegen des vielen Solarstroms lag die Erzeugung in Deutschland mit 58 Gigawatt deutlich über dem Stromverbrauch bzw. der Last von 51 Gigawatt.

Die umgekehrte Situation zeigte sich am 12. Dezember 2024 um 17.45 Uhr. Der Börsenstrompreis im Day-Ahead-Handel stieg auf 936 Euro pro Megawattstunde. Einem Stromverbrauch von 66 Gigawatt stand eine Erzeugung von nur 53 Gigawatt gegenüber, bei praktisch null Photovoltaik und wenig Windstrom. Die Dunkelflaute erforderte den Einsatz überwiegend fossiler Kraftwerkskapazitäten, vor allem Erdgas, Braun- und Steinkohle.

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„Wir brauchen Flexibilitäten“

In der nächsten Phase der Energiewende sollte der Fokus daher nicht primär auf der Geschwindigkeit des Ausbaus der Erneuerbaren Energien liegen, sondern auf gesicherter Leistung, Flexibilisierung von Erzeugung und Verbrauch, Energiespeicherung und Netzintegration. In einigen Bereichen gebe es ein enormes Tempo, insbesondere beim Solarzubau mit fast 20 Gigawatt im vergangenen Jahr bundesweit und 4 Gigawatt im Netzgebiet von 50Hertz. Auf der anderen Seite gebe es aber auch Bereiche, in denen es kaum vorangehe. „Wir brauchen im Moment nicht jedes Jahr vier Gigawatt mehr Photovoltaik, sondern wir brauchen Flexibilitäten“, so Kapferer.

Einen solchen integrativen Ansatz zur Weiterentwicklung der Energiewende sieht der 50Hertz-Chef grundsätzlich auch im Sondierungspapier einer wahrscheinlichen neuen Bundesregierung aus Union und SPD abgebildet. Es enthalte eine Reihe von „sehr realistischen Einschätzungen, wie die nächsten Schritte gestaltet werden müssen“, so Kapferer. Es gelte aber, stärker als bisher die Kosten und vor allem deren Vermeidung in den Blick zu nehmen. „Bevor wir uns fragen, wer welches Stück vom Kuchen bezahlt, wäre mein Plädoyer, den Kuchen nur so groß zu backen, wie es nötig ist“, sagte der 50Hertz-Chef.

Stromverbrauch wächst langsamer

Er verwies darauf, dass der Stromverbrauch deutlich langsamer wachse als bisher in den Annahmen für die Netzausbauplanung unterstellt. Im Netzgebiet von 50Hertz liege der Stromverbrauch 2024 mit 94 Terawattstunden so niedrig wie seit 20 Jahren nicht mehr, bedingt durch die schwache wirtschaftliche Entwicklung und die geringe Marktdurchdringung von Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen. „Notwendig ist daher eine Netzausbauplanung, die auf realistischen Annahmen zum künftigen Stromverbrauch basiert“, betonte Kapferer.

Zudem plädiert er dafür, beim Ausbau der Offshore-Windenergie den Zubau der installierten elektrischen Leistung von 70 Terawattstunden auf etwa 60 Terawattstunden zu reduzieren, indem die einzelnen Parks etwas größer gebaut werden und so an mehr Tagen eine 100-prozentige Auslastung der Netzkapazität erreicht werden kann. „Freileitungen statt Erdkabel“ sieht Kapferer als weitere zentrale Maßnahme, um die Kosten des Netzausbaus zu senken.

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Baukostenzuschuss auch für Erzeugungsanlagen

Dringend notwendig sei auch ein Baukostenzuschuss für Wind- und Solarparks, damit diese dort gebaut werden, wo es keine Netzengpässe gibt und eine entsprechende Nachfrage dafür sorgt, dass der erneuerbare Strom auch genutzt wird. Kapferer begrüßte die Pläne der voraussichtlichen neuen Bundesregierung, die gesicherte Leistung bis 2030 auf 20 Gigawatt auszubauen. „Ich glaube, uns ist allen klar, dass das ein sehr ambitionierter Zeitplan ist, aber es ist trotzdem richtig, dass sich die Koalition dieses Ziel gesetzt hat“, sagte er.

Durch ein Bündel der genannten Maßnahmen könne es auch gelingen, den notwendigen, teuren Netzausbau sowie die Kosten für Eingriffe in das Netz (Redispatch) zu reduzieren. Kapferer zeigte Verständnis für die von der – voraussichtlich – neuen Bundesregierung angekündigte Halbierung der Netzentgelte durch eine Querfinanzierung aus dem Bundeshaushalt. Allerdings führe dies zu einer zusätzlichen Haushaltsbelastung von 6 Milliarden Euro pro Jahr, gab Kapferer zu bedenken.

Netzausbau vorangekommen

Insgesamt 3,6 Milliarden Euro hat 50Hertz im vergangenen Jahr in den Netzausbau investiert, mehr als doppelt so viel wie 2023. In der 4. Regulierungsperiode 2024-2028 will das Unternehmen, das zur börsennotierten belgischen Elia-Gruppe gehört, 23 Milliarden Euro in Freileitungen, See- und Landkabel, Umspannwerke, Digitalisierung und andere Technologien investieren. 863 Kilometer neue Leitungen waren Ende 2024 im Netzgebiet von 50Hertz im Bau, 319 Kilometer mehr als im Vorjahr. In Betrieb hat der Übertragungsnetzbetreiber 939 Kilometer Stromleitungen (plus 113 Kilometer), 1.803 Kilometer befinden sich im Genehmigungsverfahren (plus 274 Kilometer). Hans-Christoph Neidlein

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