Netzfinanzierung: Teure Netze, hohe Stromkosten und was man dagegen tun kann

Modernisierung und Ausbau europäischer Stromnetze sind für die Energiewende unverzichtbar. Das treibt die Netzentgelte und damit die Stromkosten in die Höhe. Lösungsvorschläge für eine Reform der Netzfinanzierung sind da.
27.03.2025 – Noch ist das deutsche und europäische Netz nicht in ausreichendem Maße auf die fluktuierende Einspeisung Erneuerbarer Energien ausgelegt. Es braucht etwa eine Vielzahl von Anlagen, die Spannung und Frequenz im Stromnetz regeln. In der alten Welt haben fossile Kraftwerke diese sogenannten Systemdienstleistungen erbracht. Je mehr von ihnen vom Netz gehen, desto mehr Kompensationsanlagen für die Stabilität des Stromnetzes müssen gebaut werden. Es geht um mechanische und elektronische Anlagen, die im Zuge vermehrter Einspeisung fluktuierender Erneuerbarer Energien das Netz stabilisieren.
Auch braucht es neue Netze – kleine, mittlere und große – von den neuen Erneuerbaren Energieanlagen zu den Verbaucher:innen. In Deutschland sind die Netzentgelte dort höher, wo mehr Wind- und Solarparks hinzugebaut und ans Netz angeschlossen werden müssen. Netzentgelte machen schon jetzt einen großen Teil der Stromkosten in ganz Europa aus, mahnt das Forum Ökologisch Soziale Marktwirtschaft (FÖS) im Zuge einer aktuellen Analyse. Besonders in Osteuropa seien diese im Verhältnis zum Einkommen hoch – in Bulgarien etwa ist die Belastung fast fünfmal so groß wie in Dänemark. In Deutschland liegt sie im unteren europäischen Mittelfeld.
„Ohne eine Reform der Netzfinanzierung drohen höhere Netzentgelte, die vor allem einkommensschwache Haushalte belasten“, so das FÖS in der Analyse, die von der NGO Climate Action Network (CAN) Europe in Auftrag gegeben wurde. In Deutschland wurden wiederholt staatliche Zuschüsse zur Verringerung der Netzentgelte und damit Entlastung der Verbraucher:innen diskutiert.
„Pauschale Senkungen der Netzentgelte durch staatliche Zuschüsse lösen das Problem nicht. Sie verschieben nur erhebliche Kosten in den Steuertopf, ohne die Ursachen anzugehen“, sagt jedoch Marie Wettingfeld, wissenschaftliche Referentin beim FÖS und Hauptautorin der Studie. Stattdessen brauche es eine grundlegende Reform der Netzfinanzierung und der Netzentgeltregeln, um die Kosten in den Griff zu bekommen und die Energiewende effizient umzusetzen.
Mit einem öffentlichen Infrastrukturfonds, dessen Anteile am Finanzmarkt vermarktet werden, etwa können öffentliche Mittel gehebelt und die Finanzierungskosten gesenkt werden, so die Autor:innen der Studie. Dafür brauche es auch eine klare Trennung zu Aktivitätsbereichen, bei denen ausschließlich private Investitionen angestrebt werden, um Innovationen und schnellere Umsetzungen zu erreichen, z.B. bei der Nutzung von Flexibilitäten. Es wird eine ausgewogene Kombination verschiedener Finanzierungsquellen, angepasst an die jeweiligen nationalen Rahmenbedingungen empfohlen.
Auch die Eigentumsverhältnisse an den Netzbetreibern seien ein wichtiger Faktor. „Eine stärkere staatliche Beteiligung an den Stromnetzbetreibern wäre im Interesse der Verbraucher. Durch die Beteiligung steigt die Kreditwürdigkeit und die Finanzierungskosten sinken. Klare und dauerhafte Beteiligungsstrukturen können langfristig für stabile und bezahlbare Netzentgelte sorgen“, so Carolin Schenuit, geschäftsführende Vorständin des FÖS.
Auch die Tarifgestaltung spiele eine Schlüsselrolle. Dabei gebe es keine Patentlösung für alle europäischen Länder. eine Kombination verschiedener Modelle sei nötig. Zeitabhängige Tarife könnten Lastspitzen senken und die Integration erneuerbarer Energien erleichtern. Der flächendeckende Einsatz von Smart Metern sei Voraussetzung dafür, differenzierte und faire Tarife zu ermöglichen.
Während der Einsatz von Smart Metern zur intelligenten, zeit- und punktgenauen Messung des Stromverbrauchs in einigen skandinavischen Ländern bereits Standard ist, steckt die Verbreitung in Deutschland noch in ihren Kinderschuhen. Dabei können die Messsysteme entscheidend helfen, die zunehmend fluktuierende Stromversorgung zu steuern. Mit der noch im alten Bundestag von SPD, Union und Grünen gemeinsam beschlossenen EnWG-Novelle, wurden die Höchstpreise für den Smart-Meter-Einbau nach oben korrigiert. Das soll verhindern, dass Netzbetreiber beim Rollout draufzahlen müssen.
In dem geleakten Papier der Arbeitsgruppe Klima und Energie der aktuellen Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und SPD, bekräftigen die Parteien den Rollout von Smart Metern im Verteilnetz zu beschleunigen und vereinfachen und dynamische Stromtarife zu stärken. Das Papier liegt der energiezukunft vor. Uneinigkeit zwischen den Verhandler:innen besteht bei der Frage, wie der weitere Ausbau der Übertragungsnetze gestaltet werden soll. Die SPD will bei dem bestehenden Vorrang für Erdkabel bleiben. Das ist teurer, sei aber im Sinne der Akzeptanz in der Bevölkerung besser, so die Argumentation. Die Union dagegen will wieder, wo möglich, wieder vermehrt auf Freileitungen setzen.
Streitpunkt ist auch die Stromgebotszone. Die ist in Deutschland aktuell einheitlich, in der dieselben Strompreise gelten. Aufgrund regionaler Unterschiede in der Stromerzeugung und -nachfrage sowie bestehender Netzengpässe wird jedoch eine Aufteilung in mehrere Gebotszonen diskutiert. So könnte eine Aufteilung die tatsächliche Versorgungslage besser abbilden und Investitionen in Erzeugungskapazitäten sowie Netzausbau gezielter lenken. Auch könnten Engpässe im Stromnetz verringert und der Bedarf an kostspieligen Netzstabilisierungsmaßnahmen wie dem Redispatch gesenkt werden.
Andererseits könnte das zu höheren Strompreisen und wirtschaftlichen Nachteilen in einigen Regionen führen. Auch wäre die Umstellung kostspielig und es könnte Deutschlands Rolle im europäischen Strommarkt gefährden. Die SPD will eine Ausgestaltung mehrerer Stromgebotszonen prüfen, die Union am bisherigen System festhalten.
Laut Koalitionspapier im Raum steht weiterhin eine Senkung der Stromsteuer und Halbierung der Übertragungsnetzentgelte. Das FÖS jedoch kritisiert, dies würde ein Loch von 10 Milliarden Euro in den Haushalt reißen, ohne klare Lenkungswirkung. Florian Zerzawy, Teamleiter Energie und Agrar beom FÖS erläutert: „Die geplante Strompreissenkung ist in erster Linie eine Entlastung für Unternehmen. Private Haushalte profitieren vor allem dann, wenn sie haben einen besonders hohen Stromverbrauch haben. Weitere Maßnahmen, die die Kosten auch für die Haushalte reduzieren, werden noch deutlich teurer. Das ist viel Geld für wenig Wirkung. Wenn die KTF-Mittel (Klima- und Transformationsmittel) so stark für konsumtive Maßnahmen genutzt werden, bleibt kaum etwas übrig für gezielte Investitionen in den Klimaschutz."
Seit Anfang 2025 bereits in Kraft ist eine Reform der Netzentgelte in Deutschland. Die Bundesnetzagentur hatte dazu im vergangenen Jahr eine Festlegung getroffen. Netzbetreiber, die in besonderem Maße Netze zubauen müssen, weil der Ausbau Erneuerbarer Energien in ihren Regionen stärker voranschreitet, erhalten einen finanziellen Ausgleich für die Mehrbelastung. Die Kosten hierfür können über alle Stromverbraucher bundesweit gleichmäßig verteilt werden. mg