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NetzstabilitätViel Sonnenstrom, wenig Abnehmer

Solarmodule im Schatten vor orange-gelber Sonne
Viel Sonnenstrom, wenig Abnehmer zu Pfingsten (Bild: Getty Images / Unsplash+).

Die Feiertage im Frühling stellen das Stromnetz teils vor Herausforderungen, denn bei gutem Wetter trifft viel Solarstrom auf wenig Verbrauch. Noch sind die Netze stabil, doch sie müssen flexibler werden, um Stromflüsse auch in Zukunft auszugleichen.

04.06.2025 –Der Frühling ist ein Fest für Solarenergie, und manchmal eine Herausforderung für Stromnetze. Bei noch kühlem Wetter, und hoher Sonneneinstrahlung produzieren Photovoltaik-Anlagen besonders viel Strom, denn die kühlen Module erzeugen hohe Wirkungsgrade. Gerade an Feiertagen wie Pfingsten kann es eng werden im Netz: Gutes Wetter und viel Solarenergie treffen auf niedrigen Verbrauch, da große Teile der Arbeitswelt stillstehen.

„Es sind derzeit circa 100 Gigawatt (GW) Photovoltaik im deutschen Stromnetz installiert, von denen bei sehr guten Bedingungen maximal rund 50 GW gleichzeitig in das Stromnetz einspeisen. Der maximale Verbrauch – die Spitzenlast – beträgt an einem kalten Wintertag etwa 80 GW, zu den bundesweiten Feiertagen im Mai/Juni reduziert sie sich auf circa 40-50 GW, da viele Menschen nicht arbeiten und während der Zeit wenig Strom verbrauchen“, erklärt Jutta Hanson, Professorin und Leiterin des Fachgebiets Elektrische Energieversorgung unter Einsatz Erneuerbarer Energien, Technische Universität Darmstadt. „An sonnigen Feiertagen im Mai/Juni kann die eingespeiste PV-Leistung somit den Verbrauch überschreiten. Diese Situation wird bei dem weiteren geplanten Zubau von PV-Anlagen zukünftig häufiger an sonnigen Tagen im Sommer auftreten.“

Netzengpässe im Voraus analysieren

Grundsätzlich lassen sich Einspeisemengen von Solarstrom gut prognostizieren, sodass Übertragungsnetzbetreiber, die für die Frequenzstabilität verantwortlich sind, entsprechende Vorkehrungen treffen können. „Über den Austausch der Wetterprognosen, Ertragsmodelle, Instandhaltungsmaßnahmen und weiteren Parametern zum Netzbetrieb bereitet man sich gemeinsam auf einen PV-Überschuss an den genannten Tagen vor. Dabei werden auch mögliche Netzengpässe im Vorfeld analysiert“, so Hanson. Die Definition Deutschlands als eine Stromgebotszone kann hier zum Problem werden, da nicht alle Netzengpässe abgebildet werden.

Bei einem Überangebot an Erneuerbarer Energie, das nicht ausgeglichen werden kann, werden Solar- und Windparks abgeriegelt, und die Erneuerbare Energie bleibt ungenutzt. „Sollten die genannten Maßnahmen das Leistungsgleichgewicht nicht herstellen können, also immer noch zu viel Strom erzeugt werden, greift final ein automatischer Schutzmechanismus. Steigt die Netzfrequenz auf einen Korridor um 50,2 Hertz, beginnen sich ältere EE-Anlagen vom Netz zu trennen. Neuere Anlagen reduzieren ab dieser Frequenz die Leistungseinspeisung linear.“

„Das Stromnetz ist kein Speicher“

Die Herausforderung bei der Einspeisung liegt dabei nicht in der Strommenge selbst, sondern in der regional ungleichmäßigen Verteilung und der begrenzten Flexibilität der unteren Netzebenen. Wird in einer Region sehr viel Erneuerbarer Strom produziert, fallen die Strompreise bis ins Negative. Langfristig hat dies wirtschaftliche Auswirkungen für Betreiber und könnte den Erneuerbaren-Ausbau bremsen.

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„Das Stromnetz ist kein Speicher. Ein Überschuss an Einspeisung erhöht die Frequenz und muss ausgeglichen werden. Die Möglichkeiten zum Ausgleich sind begrenzt: Andere Erzeugung kann verringert oder Strom exportiert werden. Ein zentraler Mechanismus ist der Markt – konkret die Strombörse –, wo Überschüsse zu niedrigen oder negativen Preisen führen und so den Verbrauch anregen. Doch auch dort ist die Flexibilität begrenzt. Sind diese Marktinstrumente ausgeschöpft, müssen Photovoltaik (PV)-Anlagen oder andere Generatoren abgeregelt werden“, sagt Philipp Strauß, Stellvertretender Institutsleiter, Bereichsleiter Netzstabilität und Stromrichtertechnik, Fraunhofer Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE), Kassel. Das habe bislang zwar immer funktioniert, beim weiteren Ausbau von PV-Anlagen müsse jedoch dringend die Möglichkeit zur Abregelung auf allen Netzebenen sichergestellt werden. Außerdem müssten Speicher zugebaut und weitere Flexibilitäten geschaffen werden, um den Solarstrom aufzunehmen.

Hohe Verbräuche könnten in Zeiten hoher Produktion gelegt werden, um Netze zu entlasten. Mit flexiblen Tarifen, dynamischen Netzentgelten und Smart-Metern bekommen Bürger seit diesem Jahr die Möglichkeit, ihren Verbrauch sowie E-Autos und Heimspeicher netzdienlich anzupassen und damit günstigen Strom zu nutzen. Auch Batterie- und Pumpspeicher können Produktionsspitzen ausgleichen.

Künstliche Trägheit einbauen

Eine ungeplante, rapide Änderung der Netzfrequenz kann bei einem hohen Anteil Erneuerbarer Energien schneller passieren als bei einem hohen Anteil fossiler Energieerzeuger. Das liegt daran, dass in fossilen Kraftwerken große rotierende Massen bewegt werden. Diese Trägheit dämpft Frequenzschwankungen im Stromnetz.

„In einem Stromnetz mit sehr hohem Anteil an leistungselektronischen Erzeugern und Verbrauchern wie zum Beispiel Photovoltaik oder Windkraftanlagen, spielt die Momentanreserve eine wichtige Rolle“, sagt Leonhard Probst,Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Energy Systems and Energy Economics, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, Freiburg. Diese können Leistung im Millisekundenbereich ausgleichen, sollte ein Erzeuger oder Verbraucher plötzlich ausfallen. Wenige Sekunden später könne die Primärregelleistung den Ausfall dann ausgleichen. „Diese Momentanreserve, die heutzutage hauptsächlich durch rotierende Massen von Synchrongeneratoren zur Verfügung gestellt wird, kann allerdings perspektivisch auch mit netzbildenden Wechselrichtern über synthetische Trägheit nachgebildet werden.“ jb

Kommentare

Andres vor 2 Wochen

Könnten - bei einem Marktsignale wie negativenen Preisen - adhoc direkt beim Stromerzeuger zuschaltbare Verbraucher nicht ebenfalls dabei helfen, das Problem zu lösen? Verbraucher, die bei einem ausreichend hohen Preis auch adhoc wieder abgeschaltet werden und damit die gewünschte künstliche Netzträgheit herstellen.

 

Ich denke mal, globale Preissignale würden vermutlich bei weitem nicht im Millisekundenbereich zu einem Ausgleich führen können, das wäre viel zu langsam

und der globale Preis eh nur ein Durchschnitt.

 

Aber wenn regionale Verbraucher adhoc für eine kurze Zeit bereit sind, den Strom zu Preisen über einem globalen Marktpreis zu kaufen, um eine vorübergehende kurzfristige Mangelsituation auszugleichen, könnte das doch schon viel eher funktionieren und ebenfalls künstliche Trägheit herstellen.

Zudem würden diese adhoc Verbraucher, wenn sie über ihren Verbrauch einen kleinen Gewinn erwirtschaften, eine Überkapazität rentabler machen können. Mal angenommen sie würden den Strom entweder zu einem EEG Preis von 5 cent oder bei höherem Preis eben gar nicht bekommen, dann würden sie Erzeugern eine ähnliche Rentabilität wie durch das EEG zusichern können.

 

Schnapsidee oder realistisch? Eine Einschätzung aus dem Forum würde mich freuen.

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