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Geothermie: Kalte Nahwärme in Biberach

Stadtansicht Biberach
Biberach nutzt teilweise Erdwärme zur Nahwärmeversorgung. (Foto: Stadtbiberach, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0  via Wikimedia Commons)

Erdwärme mit 12 ᵒC anzapfen und eine ganze Siedlung heizen. Erstmals in Baden-Württemberg wurde dies nun vom städtischen Versorger Ewa Riss im oberschwäbischen Biberach realisiert. Vorgabe der Stadt war eine klimaschonende, regenerative Wärmeversorgung für das Neubaugebiet in Niedrigenergiebauweise.

04.01.2016 – Mit sogenannter kalter Nahwärme werden in Bälde mehrere Dutzend Ein- und Mehrfamilienhäuser in der Hochvogelstraße in Biberach geheizt. Die gut 30.000 Einwohner zählende Kommune engagiert sich seit 1993 im Klimaschutzbündnis europäischer Städte und verabschiedete bereits vor etlichen Jahren ein 10-Punkte Programm für Energieeffizienz und Klimaschutz. Bis zu 200 Meter tief sind 34 Sonden in einem naturnahen Grüngürtel unter der Erde vergraben. Sie zapfen die Erdwärme ganzjährig mit einer Temperatur von 12° C an. In den Erdsonden zirkuliert ein Wasser-Glykol-Gemisch, das die Wärme aufnimmt und in einen oberflächennahen Verteiler bringt. Dicht aneinander aufgereiht münden die Sonden in der kompakten, containergroßen Technikzentrale in zwei große schwarze Rohre. Mittels zweier Pumpen fließt das Gemisch dann in eine Ringleitung, an die in Bälde 45 Niedrigenergiehäuser angeschlossen sein werden. Handelsübliche Wärmepumpen in den einzelnen Haushalten erhöhen das Temperaturniveau auf 35° C zum Heizen und auf bis zu 65° C für die Warmwasserbereitung. „Für noch höhere Temperaturen können die Wärmepumpen mit einem Heizstab ausgestattet werden", erklärt Projektingenieur Frank Schmid bei der Ewa Riss. Wenn hierfür wie vorgesehen zu 100 Prozent regenerativer Strom verwendet werde, gehe der CO2-Ausstoß gegen Null.

Aus Sicht von Dietmar Geier, Geschäftsführer des städtischen Versorgers bietet die kalte Nahwärmeversorgung des Baugebiets etliche Vorteile: So sind die Wärmeverluste bei den niedrigen Temperaturen des Wärmenetzes niedriger als bei höheren Vorlauftemperaturen, weshalb auf eine teure Dämmung der Leitungen verzichtet werden könne. Wegen der verdichteten Bauweise sowie Bohrtiefenbeschränkungen sei zudem einen Installation von Erdwärmepumpen auf den einzelnen Grundstücken des Baugebiets nicht möglich gewesen. Aufgrund der zentralen Nahwärmeversorgung könnten die einzelnen Haushalte zudem sowohl auf Kamine als auch auf eine Unterkellerung verzichten. Auch für ein mit Holzpellets oder Hackschnitzeln gespeistes Nahwärmenetz wäre ein größerer, zentraler Lagerraum nötig gewesen, abgesehen von der der Herausforderung der Einhaltung der Emissionsgrenzwerte. Für eine zentrale Wärmeversorgung über Solarthermie hätten zum einen die erforderlichen größeren Flächen gefehlt und es wären Speicher nötig gewesen. „Auch eine Verlegung von Gasleitungen kam nicht in Frage", so Geier. Dem stand der geringe Energieverbrauch der nach KfW-70 Standard geplanten Häuser mit einer nur geringen Auslastung eines neuen Gasnetzes entgegen, zudem die Vorgabe der Stadt für eine 100-prozentige regenerative Wärmeversorgung des Baugebiets. Rund 130.000 kg CO2 jährlich spare die kalte Nahwärmeversorgung gegenüber Hauserdgasheizungen mit solarthermischer Unterstützung mit einem Deckungsgrad von 15 Prozent ein, rechnet der Chef der Ewa Riss vor.

Etwa eine Million Euro investierte die Ewa Riss in die Nahwärmeversorgung des Neubaugebiets, Kosten die auf die Abnehmer umgelegt werden. Ein Großteil davon geht auf das Konto der Sondierungen und Bohrungen. „Es klappte zwar alles reibungslos, aber die Planungs- und Bohrkosten der noch jungen Technik sind noch vergleichsweise hoch", räumt Geier ein. Die Jahresvollkosten für die Haushalte lägen voraussichtlich um rund 554 Euro jährlich höher als bei Erdgas plus Solarthermie. Berücksichtige man allerdings die Förderung durch das BAFA sänken die Mehrkosten auf rund 251 Euro jährlich. Dabei sei jedoch auch zu berücksichtigen, dass die Betriebskosten unabhängig von möglichen Preissteigerungen für Gas und Öl und damit besser kalkulierbar seien.

Bedenken einer nur sehr kurzen Nutzungsdauer der kalten Erdwärme tritt Geier entgegen und verweist auf thermische Simulationen, die im Rahmen der Projektplanung durchgeführt wurden. Zwar sei nicht auszuschließen, dass das Temperaturniveau im Laufe der Jahre sinke, doch auch dann sei die Wärmeversorgung der Häuser nicht gefährdet. Zudem könne das System in umgekehrter Richtung auch kühlen, indem Wärme aus den Häusern abgeführt und ins Erdreich geleitet wird. Dies ermögliche eine Regeneration des Erdsondenfeldes, das auf eine Nutzungsdauer von 25 Jahren ausgelegt ist. Um jedoch auch für künftige Projekte mehr gesicherte Erkenntnisse zu haben, wird das Projekt in der Hochvogelstraße von der Hochschule Biberach wissenschaftlich begleitet. Falls das Erdwärmefeld nach 25 Jahren wirklich erschöpft sei, könne das Nahwärmenetz trotzdem sinnvoll weiter genutzt werden, unterstreicht Geier. Bis dahin stünden sicherlich „andere optimierte technische Lösungen zur Verfügung", beispielsweise Solarthermie oder Wasserstoff.

Das Interesse von Bauherren ist hoch. Aufgrund der hohen Nachfrage werden nun die Grundstücke im Losverfahren vergeben. „Die Wärmewende wird immer wichtiger, deshalb wollen wir in diesem Bereich zunehmend Know-how aufbauen", betont Geier. Im nächsten Schritt sei man derzeit dabei zu prüfen, das Nahwärmenetz in der historischen Biberacher Altstadt zu erweitern. Im Rahmen des Forschungsprojekts „eCO2centric" untersuchten Studenten der Hochschule Biberach hierbei die Nutzung der Wärme des Wassers eines innerstädtischen Kanals. Hans-Christoph Neidlein


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Kommentare

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Manfred Vogel 07.01.2016, 09:52:19

+611 Gut Antworten

Rund 130.000 Tonnen CO2 jährlich spare die kalte Nahwärmeversorgung gegenüber Hauserdgasheizungen mit solarthermischer Unterstützung mit einem Deckungsgrad von 15 Prozent ein, rechnet der Chef der Ewa Riss vor.

 

Das kann ja wohl nicht stimmen!

Hans-Christoph Neidlein 07.01.2016, 11:54:56

+549 Gut Antworten

Da schlich sich tatsächlich ein Fehlerteufel ein; 130.000 Tonnen C02 jährlich werden eingespart, danke für den Hinweis!

Hans-Christoph Neidlein 07.01.2016, 12:07:56

+545 Gut Antworten

130.000 kg CO2 werden eingespart....sorry!!


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