Menü öffnen

Strom- und Wärmesektor effizienter verbinden

Im Zuge einer beschleunigten Energiewende ist es sinnvoll, Strom- und Wärmesektor nicht getrennt zu sehen sowie Abwärme besser zu nutzen. Zunehmend entdecken Bürger-Energiegenossenschaften und Kommunen die Vorteile einer gemeinschaftlich organisierten, regenerativen und effizienten Wärmeversorgung.

20.10.2015 – Nicht nur im Winter sind Wärmeversorgung und -effizienz ein Thema: Auch im Sommer wird Wärme für Produktionsprozesse benötigt, hinzu kommt die Kühlung von Gebäuden – im Zuge der Klimaerwärmung und daraus folgenden Extremtemperaturen im Sommer wird der Bedarf sogar noch zunehmen. Das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG) verpflichtet Bauherren seit 2009, den Wärmebedarf von Neubauten anteilig aus regenerativen Energien zu decken.

Mit dem Marktanreizprogramm (MAP) will das BMWi mehr Haus- und Wohnungseigentümer, aber auch Unternehmen und Kommunen motivieren, bei der Wärme auf Erneuerbare Energien zu setzen: Solarthermieanlagen, Biomasseheizungen und Wärmepumpen werden gefördert, aber auch der Neubau von größeren Heizwerken unter Verwendung von Erneuerbaren Energien, von Tiefengeothermieanlagen und Nahwärmenetzen zur Verteilung erneuerbar erzeugter Wärme, etwa für Quartierslösungen in Städten und Kommunen.

Strom- und Wärmesektor gemeinsam denken

Perspektivisch wachsen im neuen Marktsystem Strom-, Wärme- und Verkehrssystem stärker zusammen, so Professor Uwe Leprich vom Institut für ZukunftsEnergieSysteme (izes). Eine Flexibilitätsoption stellt die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) dar; systemisch gesehen sei die KWK eine optimale Ergänzung der fluktuierenden Erneuerbaren Energien, solange wir nicht in die Zielgerade zum 100 Prozent-Erneuerbaren-Energien-System einbiegen. Solange die Kohle im System ist, bleibt die KWK jedoch kontraproduktiv.

Die Nutzung von Gaskraftwerken sei zwar noch für einige Zeit notwendig und sinnvoll, wenn diese in Kraft-Wärme-Kopplung besonders effizient betrieben werden, so der Bundesverband Solarwirtschaft e. V. – die Förderung fossil erzeugter Fernwärme sollte bei Neuinvestitionen aber auf die Heizperiode beschränkt werden. Andernfalls würde die notwendige Umstellung der Fernwärmeversorgung auf Solarenergie blockiert, obwohl diese inzwischen wettbewerbsfähig sei. Auf das ganze Jahr gesehen könnten sich solare und fossile Kraft-Wärme-Kopplung hervorragend ergänzen, rät Professor Klaus Vajen von der Uni Kassel. Eine KWK-Förderung im Sommer führe dazu, dass die begrenzte Wärmelast in den Wärmenetzen durch KWK-Wärme besetzt wird und keine Kapazitäten zur Aufnahme Erneuerbarer Energien mehr vorhanden sind. Damit würde die fossil erzeugte KWK-Wärme den Markt zulasten Erneuerbarer Energien verstopfen und dem Stromsystem Flexibilität rauben.

Energieexperten verschiedener Institute fordern daher von der Bundesregierung, das Gesetz dahingehend zu überarbeiten, dass die Förderung von Strom aus neuen KWK-Anlagen nach einem Übergangszeitraum ab dem Jahr 2018 auf die Heizperiode konzentriert wird, um den interessierten Kommunen und Stadtwerken den Einstieg in solare Fernwärme zu erleichtern.

Das passende Wärmekonzept finden

Aber wie sieht ein optimales Wärmekonzept heute aus? Im Rahmen der technischen Gegebenheiten und der gesetzlichen Vorgaben müssen die jeweiligen Faktoren projektbezogen abgewogen werden. Ein entscheidender Punkt ist dabei, im Hinblick auf die Entwicklung der Energiekosten und technischen Neuerungen als auch Gesetzesnovellierungen, dass der Wärmeerzeuger zum Gebäude bzw. Quartier oder der Kommune und zum Wärmeverteilersystem passt. Der Wärmespeicherung gilt dabei ein besonderes Augenmerk. Wichtig ist es auch, die Gewohnheiten der Nutzer zu berücksichtigen und in die Planung mit einzubeziehen. Mit ihrem individuellen Verhalten beeinflussen sie die Höhe des Energieverbrauchs entscheidend mit.

Wärmepumpen könnten bis 2050 ein Drittel aller Heizsysteme im Neubau ausmachen, gefolgt von Solarthermie, Holz und Biogas, so die Prognose beim izes. Bei der aktuellen Diskussion über den Einsatz von Wärmepumpen zum Ausgleich der fluktuierenden Erneuerbaren Energien sollte das Phänomen der Thermosensibilität – das ist die Stromlaststeigerung pro Kelvin sinkender Außentemperatur – jedoch stärker beachtet werden, so Prof. Leprich Es habe sich gezeigt, dass die Arbeitszahlen von Luftwärmepumpen gerade bei niedrigen Außentemperaturen weit unter den Jahresarbeitszahlen liegen könnten. Das Thema Power to Gas werde zwar von vielen favorisiert, sei aber derzeit weder ökonomisch noch ökologisch besonders sinnvoll – das werde erst bei einer 80-prozentigen Energieversorgung mit Erneuerbaren Energien rentabel. Das stärkere Zusammenwachsen von Strom- und Wärmesektor biete aber grundsätzlich Chancen für vielfältige Akteure und Geschäftsmodelle – die hängen vor allem von der Gestaltung der Rahmenbedingungen ab. Die Akteurslandschaft wird deutlich bunter und mittelständischer.

Nahwärmekonzepte mit Bürgerbeteiligung

Um den Wärmebedarf vor allem in großem Maßstab erneuerbar zu decken ist es im kommunalen Kontext sinnvoll, mehrere Wärmeverbraucher über ein Wärmenetz zusammenzuschließen. Das bietet Komfort und Sicherheit für die Abnehmer, zudem wird die regionale Wirtschaft bei einer dezentralen Wärmewende sinnvoll eingebunden. Ein integrierter Quartiersansatz kann sowohl die Sanierungskosten der Gebäudebesitzer als auch die Kosten für den Aufbau des Wärmenetzes senken.

Erfolgreiche Projekte sind bereits in Betrieb, immer mehr Kommunen oder auch Stadtquartiere zeigen Interesse an energieeffizienten Konzepten und arbeiten erfolgreich in Energiegenossenschaften oder organisieren sich durch das gemeinsame Engagement der Bürger. Es gibt gute Beispiele von Wärmenutzungsplänen in Kommunen oder Stadtquartieren, die eine systematische Planung und Erschließung von Neu- und Altbausiedlungen mit Nahwärmenetzen und erneuerbarer Wärme vorsehen. Die Potenziale und Herausforderungen sind dabei jeweils recht unterschiedlich und müssen ans Konzept angepasst werden, um eine wirtschaftlich sinnvolle Lösung zu finden.

Abwärme nutzen

Abwärme ist in fast allen industriellen und gewerblichen Prozessen zu finden, auch im privaten Energieverbrauch fällt sie an und wird oft ungenutzt an die Umgebung abgegeben oder sogar elektrisch weggekühlt. Vor allem energieaufwendige Industrieprozesse benötigen effiziente Verfahren, um Energie zu bewahren. In sogenannten ORC-Kraftanlagen (Organic Ranking Cycle) ist es bspw. möglich, elektrische Energie aus Abwärme, Geothermie, Biomasse oder solarthermischen Quellen zu gewinnen. Nahwärmenetze sind die ideale Schnittstelle zwischen Strom- und Wärmesektor, da sich hier überschüssiger Windstrom beispielsweise durch eine Power-to-Heat-Anlage in regenerative Wärme umwandeln und speichern lässt.

Auch Abfall und Abwasser bieten ein großes Potenzial an energetisch wertvollen Stoffen. Mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) muss der getrennt gesammelte Müll so weit wie möglich kompostiert werden. Das im Gärprozess anfallende Biogas bietet Kommunen neue Möglichkeiten der dezentralen Energieversorgung. In Deutschland können im Jahr 2020 nach Berechnungen des Deutschen Biomasseforschungszentrums allein durch die Kompostierung des anfallenden Biomülls und durch Grünschnitt aus der Landschaftspflege etwa 22.500 Terajoule anfallen. Das sind umgerechnet 6.250.000.000 Kilowattstunden, die dann zur Verstromung und Wärmebereitstellung genutzt werden können.

Auch Erdwärme ist eine Energiequelle, die mittels Wärmepumpen an fast jedem Standort genutzt werden kann, auch schon in geringen Tiefen, und bietet damit eine gute Schnittstelle zwischen der regenerativen Stromerzeugung und dem Heizen und Kühlen. Ebenso bietet die Grauwasserwärmerückgewinnung großes Potenzial. Mit dem Grauwasser – Abwasser aus Dusche und Waschmaschine – verschwindet täglich eine gewaltige Menge an Wärmeenergie in der Kanalisation. Grauwasser-Wärmerückgewinnungsanlagen können diese Energie wieder nutzbar machen. Vor allem im Mehrfamilienhaus wird das wirtschaftlich sinnvoll, da hier große Mengen anfallen und sich die Investition in eine Anlage schneller amortisiert. Aus einem Kubikmeter Grauwasser lassen sich bis zu 15 Kilowattstunden Energie recyceln.

Langzeitspeicherung von Wärme

Wenn dezentral Strom produziert wird, könnte die Abwärme bspw. aus industriellen Prozessen in Wärmespeichern zwischengespeichert werden, damit diese zeitversetzt über Wärmenetze zu den naheliegenden Gebäuden und Quartieren transportiert werden kann, so Professor Timo Leukefeld, Experte für energetisches Wohnen in der Zukunft und Energiebotschafter der Bundesregierung. Fluktuierende Überschüsse aus Wind- und Solarenergie könnten über eine Heizpatrone im Wärmespeicher fast verlustfrei in Wärme umgewandelt werden. Für den Wärmebedarf eignet sich aus Leukefelds Sicht vor allem die Solarthermie mit der Möglichkeit der Langzeitwärmespeicherung.

Das sogenannte Sonnenhaus Konzept vom Sonnenhaus Institut e.V hält Leukefeld daher für die Basis von energieautarken Gebäuden – gut gedämmt in Kombination mit Solarthermie mit Langzeitwärmespeicherung und mindestens 50 Prozent solarer Deckung am Energieverbrauch für Heizung und Warmwasser. Aktuell fördert nun die Bundesregierung das Konzept. Leukefeld selbst wohnt in einem energieautarken Haus in Freiberg, die Energiespeicher werden dort den Energieversorgern zur Verfügung gestellt. Im neun Kubikmeter fassenden Langzeitwärmespeicher lagert das Energieversorgungsunternehmen im Winter fluktuierenden Überschuss aus Windenergie via Heizpatrone ein.

Mit der Speicherung von Wärme beschäftigt sich auch das Fraunhofer ISE Institut in seiner Forschung: Im Unterschied zu anderen Kraftwerken auf Basis Erneuerbarer Energien können solarthermische Kraftwerke kostengünstig und regelbar Strom liefern berichten Wissenschaftler, und zwar mittels thermischer Wärmespeicher, die Wärme in Zeiten von Überproduktion zwischenspeichern und bei Bedarf in einer Dampfturbine in Strom umwandeln. Am Fraunhofer ISE werden in Simulationen unterschiedliche Konzepte in Hinblick auf die Integration und Optimierung von thermischen Speichern untersucht, die jeweils ein anderes Wärmeträgermedium nutzen, etwa Fresnel-Kollektor, Parabolrinne oder Solar-Turm.

Holz – verbauen oder verheizen?

Beim Energieträger Holz gehen die Meinungen auseinander. Die verarbeitende Holzwirtschaft spricht sich für eine mehrstufige stoffliche Nutzung (Kaskadennutzung) aus, also Holz nicht vornehmlich als Heizmaterial, sondern vor allem als Baumaterial zu nutzen– denn nur so bleibe das CO2 über die Lebensdauer des Baums hinaus für viele Jahrzehnte gebunden. Daher sollten lediglich Holzabfälle direkt energetisch genutzt werden, also in die Verbrennung.

Seit Anfang des Jahres gelten strengere Staub- und Kohlenmonoxid-Grenzwerte für neu in Betrieb genommene Pellet- und Hackschnitzelkessel. In einem Projekt wird nun untersucht, wie Anlagenbetreiber die geforderte Qualität dauerhaft sicherstellen können. Neben erhöhten Zuschüssen u. a. für Pellet- und Hackschnitzelkessel in Bestandsgebäuden werden über das Marktanreizprogramm auch Biomasseanlagen mit Partikelabscheidern und Brennwerttechnik im Neubau gefördert. Staubemissionen von neu errichteten, automatisch beschickten Holz-Zentralheizungen dürfen bei der wiederkehrenden Überwachung durch Schornsteinfegermessungen einen Grenzwert von 20 mg Staub je Kubikmeter Abgas nicht überschreiten.

Erfolgreiche Projekte, die Politik hinkt hinterher

Abwärme energetisch nutzbar zu machen und Wärmeenergie sinnvoll zu speichern wird in Zukunft die große Aufgabe sein. Die Abwärme aus Biogasanlagen wird bspw. dafür verwendet, kommunale Schwimmbäder zu beheizen, Produktionsfabriken versorgen naheliegende Gebäude mit Abwärme mittels Wärmepumpe. Die Aachener Stadtwerke und die gewoge AG haben im Rahmen der energetischen Sanierung von Wohnhäusern im Wiesental erstmals in Aachen ein Abwasserwärmenutzungssystem installiert, berichtet die Energieagentur NRW. In einem der größten Abwasserkanäle der Stadt Aachen wurde ein Wärmetauscher installiert, der mit einem separaten Wasserkreislauf die Wärme für die Wärmepumpen liefert – diese erzeugen Wärme für die Warmwasserbereitung als auch die Beheizung von über 120 Wohnungen.

Die derzeit größte Prozesswärme-Anlage Deutschlands befindet sich in Bohlingen am Bodensee: Dort erzeugt eine 960 Quadratmeter große solarthermische Anlage Wärme, damit werden neun Gewächshäuser auf einem Demeter-Hof beheizt und entfeuchtet. Der umweltbewusste Betreiber des Demeter-Hofes war von einer Ölheizung zunächst auf eine Hackschnitzelheizung und später eine Stückholzheizung umgestiegen. Das Brennholz stammte zwar aus der Region, doch der ambitionierte Landwirt suchte nach einer noch umweltschonenderen Energiequelle, da er im Sommer nicht Holz verheizen wollte – und kam schließlich zur Sonne. Den letzten Ausschlag für die Investition gaben Anreize durch eine staatliche Förderung.

Für eine innovative Wärmeversorgung im städtischen Quartier steht der im Rahmen der Internationalen Bauausstellung energetisch modernisierte Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg. Hier wurde ein Flakbunker aus dem Zweiten Weltkrieg zur Zentrale eines neuen Fernwärmenetzes der Hamburg Energie umgewandelt. Der Energiebunker liefert Warmwasser und Heizwärme für ein mehr als 1,2 Quadratkilometer großes Stadtgebiet mit zahlreichen Wohnungen, Schulen, Kindergärten und Kleingewerbetreibenden. Die Hauptlast der Wärmeversorgung im Winter wird von einem großen Biomassekessel getragen, für die Spitzenlast kommen Gaskessel zum Einsatz. Im Sommerhalbjahr spielt die Hauptrolle allerdings die auf dem Dach des Energiebunkers installierte solarthermische Hochleistungs-Vakuumröhrenkollektoranlage, die mit 1.348 Quadratmetern Bruttofläche die größte ihrer Art in Deutschland ist. Der Teil der Solarwärme, der nicht direkt abgenommen werden kann, wird von einem 2.000 Kubikmeter großen Speicher im Innern des teilweise entkernten Bunkers aufgenommen. Das monumentale Kraftwerk trifft dank der Einbindung der Bürger in die Planung auf hohe Akzeptanz und wertet den energetisch ertüchtigten Stadtteil noch zusätzlich auf.

Möglichkeiten nutzen

Pauschal lässt sich nicht bestimmen, welches Wärmesystem die optimale Lösung darstellt. Die Technologien und Möglichkeiten sind vorhanden, es gilt herauszufinden, welche Maßnahmen projektbezogen jeweils die geeigneten sind – und dabei die Gesetze und Fördermöglichkeiten entsprechend sinnvoll und jetzt vor allem rasch anzupassen. Nicole Allé

Weitere nützliche Links zum Thema

Kommunale Wärmewende

Energetisch sanieren und Wärmesysteme
www.effizienzhaus-online.de
www.die-hauswende.de
www.bakaberlin.de

Bauen und Heizen mit Holz

Wärme im Quartier

Den Artikel mit weiteren Fotos finden sie auch in unserer neuen Print-Ausgabe der energiezukunft Seite 8-11


energiezukunft