Du leitest das Geschäftsfeld Urbanes Wohnen und Gewerbe bei naturstrom, was genau versteckt sich hinter diesen Begriffen?
Sarah Debor: Wir planen, bauen und betreiben Quartierslösungen für die Energieversorgung. Mit Quartieren sind aus mehreren Mehrfamilienhäusern bestehende Wohnsiedlungen gemeint. Bei den Quartierskonzepten geht es im urbanen Raum vor allem um die Wärme und um die Frage, wie Gebäude, die nicht an ein Fernwärmenetz angeschlossen werden können, überhaupt mit Wärme versorgt werden. Das geht nur dezentral, bisher meist über Gas und Öl, mitunter mit Blockheizkraftwerken. Jetzt geht es darum, diese Quartiere mit dezentralen erneuerbaren Energien zu heizen. Die Wärmepumpen-Technologie ermöglicht ein 100-prozentig erneuerbares Wärmekonzept. In Verbindung mit Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern, deren Strom für die Wärmepumpe oder von den Mieterinnen und Mietern genutzt wird, sind solche Konzepte immer eine individuelle Lösung, die wir planen und umsetzen.
Kannst du ein oder zwei Projekte nennen, damit deutlich wird, wie solche Lösungen aussehen?
Ein besonders spannendes Projekt entsteht derzeit in Köln-Ehrenfeld. Dort entsteht das Wohnquartier LÜCK mit 216 Wohnungen und einer Kindertagesstätte. Im Quartier LÜCK wird eine in der Stadt reichlich vorhandene, aber bisher kaum genutzte erneuerbare Energiequelle genutzt: Abwasser. Photovoltaikanlagen versorgen die Heizzentrale mit lokal erzeugtem Ökostrom. Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge rundet das komplett fossilfreie Energiekonzept vor Ort ab. Natürlich ist die Quelle Abwasser nicht überall verfügbar. Andere Umweltquellen, die wir nutzen, sind zum Beispiel Luft, Solarthermie oder Geothermie. Letztere nutzen wir beispielsweise im Berliner Quartier KOKONI ONE. 68 Erdwärmesonden entziehen dem Erdreich Energie auf niedrigem Temperaturniveau. Zwei zentrale Wärmepumpen heben die Temperatur auf bis zu 40 Grad Celsius an. Zudem steht den Bewohner:innen ein Quartiersstrom-Tarif zur Verfügung.
Du bist als Abteilungsleiterin verantwortlich für die Ergebnisse, die die rund 30 Mitarbeitenden erbringen. Was musst du dafür besonders gut können?
Wir sind als Team geprägt von unserem Teamspirit. Das heißt, dass wir als Team sehr gut funktionieren und auch wissen, was wir aneinander haben, wer was macht und dass wir auch Verantwortung übernehmen und gemeinsam an einem Strang ziehen. Das ist gar nicht so selbstverständlich wie man denkt. Die Themen können sich in unserem dynamischen Markt immer ändern, aber wenn die Gruppe stabil und gern zusammenarbeitet, dann ist das eine starke Basis. Das bedeutet, man braucht den richtigen Mix an Personen und Fachwissen, eine gute Kommunikation und gute Strukturen. Das hört sich vielleicht banal an, aber wir haben doch eine ganze Weile daran gefeilt.
Zum Team gehören viele Ingenieurinnen, Projektleiterinnen, Planerinnen. Arbeitet Ihr gern zusammen? Seid Ihr erfolgreich?
Wir sind in der Tat ein besonderes Team. Das merke ich immer wieder auf Konferenzen oder Messen. Im Wärmeteam, das Projekte plant, zeichnet, baut und managt, herrscht Geschlechterparität. Dazu kommen viele Nationalitäten. Das ist ein super angenehmes Gefühl. Temperament und Fähigkeiten sind bunt gemischt. Die berühmte Ellenbogenmentalität gibt es nicht. Und ich bin überzeugt, in Teams mit Ellenbogenmentalität fühlen sich weder Männer noch Frauen wohl. Aus dieser Vielfalt, die Menschen mit ganz verschiedenen Charakterzügen zulässt, erwächst unser Erfolg. Übrigens ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei uns selbstverständlich – nicht nur für die Frauen, sondern ganz genauso für die Männer.
Ihr arbeitet an verschiedenen Standorten, der Austausch findet größtenteils digital statt. Wie gelingt das?
An einem gemeinsamen Ort zu arbeiten, sich täglich zu sehen, halte ich für einen Vorteil. Andererseits bin ich überrascht, wie wenig ausschlaggebend der gemeinsame Arbeitsort für den Zusammenhalt und den Erfolg eines Teams ist. Die digitale Kommunikation ist inzwischen gut geübt und strukturiert. Sie gehört sozusagen zu unserer DNA, denn unser Geschäftsbereich entstand in der heutigen Form während Corona. Es war von Anfang an klar, dass wir so funktionieren. Aber man muss sich einfach auch regelmäßig sehen. Bei uns sind das monatliche Treffen, bei denen wir uns persönlich austauschen. Ich selbst verbringe in der Online-Kommunikation große Teile meines Arbeitstages, mit Kunden und Kundinnen, aber auch mit Kolleginnen und Kollegen.
Wenn neue Mitarbeitende gesucht werden, bewerben sich dann viele Frauen?
Ja, und das freut mich. Das hat insbesondere etwas mit der der Außenwirkung des Unternehmens naturstrom zu tun. Immerhin besteht der naturstrom-Vorstand mittlerweile zu zwei Dritteln aus Frauen. Was für einen Energieversorger in Deutschland sehr unüblich ist. Und es spricht sich herum, dass das Geschlecht in einem technischen Beruf bei der naturstrom-Gruppe keine Rolle spielt. Das Selbstverständnis und die gelebte Kultur eines Unternehmens spielen eine sehr große Rolle.
Welche persönliche Erfahrung fällt dir beim Thema Gleichberechtigung ein?
Bevor ich zu naturstrom kam, habe ich in verschiedenen Ländern in Klimaschutzprojekten gearbeitet. Die Teams waren sehr männlich geprägt. Aber ich habe auch immer wieder Frauen kennengelernt, die besonders respektiert waren und viel vorangebracht haben. Nur fand ich es schade, dass sie solche Einzelkämpferinnen waren. So sollte es nicht sein. Deshalb bin ich glücklich, dass das bei naturstrom ganz anders läuft.
Was denkst du, womit könnte man Frauenpower noch mehr befördern?
Ich denke da vor allem an die frühe Prägung von Mädchen und Jungen. Egal ob es in Büchern, in der Kita oder Schule stattfindet – nach wie vor werden den Geschlechtern bestimmte Rollen zugeordnet. Da wünsche ich mir mehr Mut und Aufmerksamkeit. Gebt den Mädels Technik in die Hand! Wenn ich Ingenieurinnen frage, warum sie ihren Beruf gewählt haben, gibt es immer irgendeine persönliche Erfahrung, die sie ermutigt hat, sich das Technik-Interesse nicht ausreden zu lassen. Unternehmen weltweit sollten schauen, dass ihnen diese Talente nicht entgehen.
Das Gespräch führte Petra Franke.