Wie hoch ist das Potenzial der Geothermie in Deutschland?
Eine Studie vom Fraunhofer Institut und von der Helmholtz Gesellschaft, die häufiger zitiert wird, sagt, dass bis zu 25 Prozent der Wärme, die in Deutschland benötigt wird, durch Geothermie abgedeckt werden könnte. Es gibt auch Studien aus dem Wirtschaftsministerium, die etwas darunter liegen. Das sind große Zahlen. Wir haben uns das Thema mal bottom up angesehen: Mit den heutigen Methoden, mit dem heutigen Wissen, können wir in zwei Dritteln von Deutschland Geothermie entwickeln. Die Technologie entwickelt sich immer weiter, es kann also sein, dass wir in ein paar Jahren über ein höheres Potenzial reden. Die geologischen Bedingungen allein reichen aber auch nicht aus, es müssen auch Wärmenetze und größere Wärmeabnehmer vor Ort sein.
Wie kann die Wärmewende umgesetzt werden?
Wir müssen die Wärmenetze in Deutschland und die gesamte Infrastruktur deutlich ausbauen. Wir haben viele Städte, die noch gar keine Wärmenetze haben. Ein wichtiger Schritt war, dass die Städte und Gemeinden verpflichtet worden sind, ihre eigene Wärmeplanung vorzulegen und zu planen, wie sie über die nächsten 20 Jahre ihre Wärmenetze dekarbonisieren wollen. Der zweite Schritt ist, sie in die Lage zu versetzen, diese Pläne auch umzusetzen. Die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW-Förderung) ist hilfreich, denn es können bis zu 40 Prozent der Ausgaben gefördert werden. Ein zentraler Bestandteil ist, dass sich die Bundesregierung klar zur Förderung bekennt. Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ist festgeschrieben, dass die BEW-Förderung gesetzlich geregelt und aufgestockt werden soll. Es bleibt noch ein bisschen abzuwarten, wie das Ganze genau umgesetzt wird, aber der Wille ist zumindest da. Für die Stadtwerke gibt es dann immer noch genug planungstechnische Herausforderung bei der Umsetzung. Ich kenne keinen Stadtwerkechef, für den die Dekarbonisierung der Wärmeversorgungnicht ein zentrales Thema ist. Wir stehen viel mit Stadtwerken in Austausch, als Projektpartner übernehmen wir Planung und Errichtung des Geothermiekraftwerks inklusive der Finanzierung.
An welchen drei Stellschrauben müsste die Politik dringend drehen?
Ein gutes Signal wäre ein vom Wirtschaftsministerium veranstalteter Geothermie-Gipfel. Die Bundesregierung muss zeigen, dass Deutschland Geothermie für die Wärmewende großflächig umsetzen will. Für einen massiven Ausbau der Geothermie muss die entsprechende Wirtschaft in Deutschland angesiedelt sein. Die Wirtschaft in der Geothermie ist mehr oder weniger die Wirtschaft, die auch die Öl- und Gasfelder versorgt hat. Ein Großteil der Unternehmen ist aus Deutschland abgewandert und arbeitet mittlerweile im europäischen Ausland, in Norwegen, Schottland, Rumänien, im Bereich Geothermie, teilweise auch in Holland. Diese Infrastruktur müssen wir erst wieder aufbauen, damit wir auch kostengünstig arbeiten können. Das ist schon ein Unterschied, ob man eine Mannschaft immer aus Aberdeen einfliegen muss oder aus Norwegen oder aus Bukarest, oder ob sie aus Celle oder Essen kommt. Unternehmen und Investoren kommen, wenn es hier demnächst jede Menge Geschäft gibt.
Dann brauchen wir eine stabile Förderung. Es kann nicht sein, dass man jedes Mal den Atem anhält, ob die BEW-Förderung weiter besteht oder nicht, wenn sich die Bundesregierung ändert. Sie steht noch unter dem Haushaltsvorbehalt. Unternehmen wie Stadtwerke können also nie sicher sein, ob sie die Förderung zukünftig noch in Anspruch nehmen können. Das ist Gift für langfristige Investitionspläne. Das EEG war ein sehr gutes Muster, es hat genau das geschafft. Wir haben unter anderem deshalb so viel Erneuerbare Energie aus Strom, weil wir das EEG haben. Das ist unterm Strich eine Erfolgsgeschichte, auch wenn es häufiger kritisiert wird. Das Gesetz wurde oft verändert, aber letztlich über Jahrzehnte hinweg stabil gehalten und fortgeschrieben. Wir brauchen die gleiche Stabilität, wenn wir die Wärmewende hinkriegen wollen.
Also Nummer eins, Geothermie-Gipfel auf Bundesebene, Nummer zwei, Stabilität bei der Förderung und Nummer drei die weitere Verbesserung der Genehmigungssituation.
Was fehlt im geplanten Geothermie-Beschleunigungsgesetz?
Ich hatte das Vergnügen, zum Geothermie-Beschleunigungsgesetz auch im Bundestag vom Ausschuss gehört zu werden. Ich glaube, da sind viele gute Ansätze. Sicherlich hat der Gesetzesentwurf zum Beispiel in Hinblick auf die Wärmenetze noch Nachschärfungsbedarf, doch sollten wir uns nicht in Detaildiskussionen verlieren und stattdessen eine möglichst schnelle Verabschiedung des Gesetzes anstreben.Das wäre schon ein guter Fortschritt. Neben den regulatorischen Rahmenbedingungen müssen wir uns auch mit der Verwaltungspraxis beschäftigen. Es liegt nicht immer nur an den regulatorischen Rahmenbedingungen, dass Verfahren zu lange dauern, sondern auch daran, wie Behörden diese umsetzen, und manchmal auch umsetzen müssen. Ich will den Behörden im Einzelnen keinen Vorwurf machen. Die Abstimmung von verschiedenen Behörden, von Bezirksdirektionen mit Landratsämtern und kommunalen Ämtern, möglicherweise mit Naturschutzverbänden usw., erfordert viel Zeit. Da müssen wir aber noch besser werden.
Die Geothermie-Anlage der Deutschen ErdWärme am Oberrhein war ein Pionierprojekt. Gab es neue Erkenntnisse?
Wir haben zum ersten Mal seit langem wieder im Oberrheingraben ein Projekt entwickelt, und das in einer Größenordnung, die potenziell ganze Städte mit Wärme versorgen kann. Das hat es vorher in der Form nicht gegeben. Wir arbeiten in mehreren Forschungsvorhaben zusammen mit dem Fraunhofer Institut, mit dem KIT in Karlsruhe, mit anderen Forschungsinstituten und Universitäten, um dort einzelne Aspekte noch weiter voranzutreiben. Der größte Erfolg ist eigentlich, dass wir mit dem Projekt mit der ersten Bohrung erfolgreich waren, und die optimistischen Erwartungen sich erfüllt haben. Das war alles andere als selbstverständlich. Es hat während der gesamten Bauphase auch keine einzige seismische Aktivität gegeben.
Kritiker warnen, dass Geothermie-Bohrungen die Erdbebengefahr erhöhen könnte.
In jüngerer Zeit gab es einen Zwischenfall in Frankreich, wo es tatsächlich zu Schäden an Häusern gekommen ist. Ansonsten sind mir in Deutschland keine Fälle bekannt, wo es signifikante Schäden gegeben hätte, die auf Geothermie-Anlagen zurückzuführen sind. Die Behörden haben mittlerweile gut verstanden, wie man diese Risiken in den Griff kriegt, und Betreiber von Geothermie-Anlagen haben ein Interesse daran, das entsprechend umzusetzen. Ich möchte das Problem nicht kleinreden, aber wir sprechen auch nicht über Personenschäden. Man denke an sämtliche Verkehrstechnologien oder die Erzeugung fossiler Energie. Die Nebenwirkung vom Fracking im Öl- und Gas Bereich durch den CO2-Ausstoß sind enorm. Bei unseren Projekten gilt eine Schwelle, die nicht einmal eine spürbare Seismizität zulässt. Zum Vergleich, wenn bei Ihnen ein Laster vor der Haustür entlangfährt, werden Sie das spüren.
Wie binden Sie Anwohner vor Ort ein?
Bei Projekten, die im öffentlichen Raum stehen, muss man von vornherein auf einen starken Bürgerdialog setzen. Das gehört zu jedem großen Projekt dazu, für uns natürlich auch. Wir machen Informationsveranstaltungen und bieten Sprechstunden an, digital und vor Ort. Gut ist auch ein Bürgerbeirat oder Bürgerforen mit Projektgruppen. Wir haben bei unserem Projekt in Grabendorf auch immer noch ein Besucherzentrum. Nach Anmeldung wird man über den Vorplatz geführt und es wird erklärt, wie alles funktioniert. Wir sind in einer eher privilegierten Situation. Wir produzieren Wärme, und Wärme kann man nur regional nutzen. Damit haben typischerweise die Gemeinden um den Standort eines Geothermiekraftwerks einen unmittelbaren Nutzen von der Geothermieanlage, nämlich langfristig grüne Wärme mit Preisstabilität.
Was fehlt in der Diskussion um die Wärmewende?
In der politischen Diskussion liegt häufig der Fokus zu stark auf der eigentlichen Regulierung, auf irgendeiner kleinen Gesetzesänderung. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir diese Wärmewende realisieren. Das können wir nur, indem wir die Lösungen nutzen, die wir heute schon sehen und haben. Geothermie ist eine Lösung, die verfügbar ist und hochskaliert werden kann. Das ist auch eine große Chance für wirtschaftliche Entwicklung, um Arbeitsplätze zu schaffen und neue Industrien anzusiedeln. Es wird viel darüber diskutiert, dass Unternehmen abwandern, weil ihnen die Energiekosten zu hoch seien. Lassen Sie uns den Spieß umdrehen: Wir bieten grüne, erneuerbare Wärme mit hoher Preisstabilität. Das ist ein Anreiz für Industrien, die mit Temperaturen bis 150 Grad arbeiten, denn dafür kann Geothermie allein oder in Kombination mit einer Wärmepumpe hervorragende Lösungen bereitstellen. Molkereien, Bierbrauereien, Holzschnitzelanlagen und Lackierungen arbeiten zum Beispiel mit diesen Temperaturen.
Die Deutsche ErdWärme GmbH entwickelt, plant, baut und betreibt geothermische Anlagen, die Wärme aus Tiefen von 1000 bis 5000 Metern nutzen, um Wärmenetze zu dekarbonisieren.
Das Gespräch führte Julia Broich.