Ungleiche Wärme: Geschlechtergerechtigkeit im Kampf gegen Energiearmut

Energiepolitik und Strompreise sind für alle Parteien ein wichtiges Thema im Wahlkampf. Energiearmut betrifft oft Frauen und marginalisierte Gruppen – die sind jedoch längst nicht im Fokus der Politik. Das muss sich ändern.
12.02.2025 – Rund 10,6 Prozent der Europäer:innen waren im Jahr 2023 von Energiearmut betroffen und nicht in der Lage, ihr Zuhause ausreichend zu heizen. Dies ist ein deutlicher Anstieg gegenüber 6,9 Prozent im Jahr 2021. Energiearmut ist jedoch nicht gleich in der EU-Bevölkerung verteilt. Wer energiearm ist, hängt mit soziodemografischen Faktoren wie Geschlecht, Herkunft und Einkommen zusammen, die sich mit anderen Faktoren überschneiden und Ungerechtigkeiten aufrechterhalten.
Inmitten der Klimakrise stellt sich daher die dringende Frage, wie Klimaschutzmaßnahmen sozialgerecht gestaltet werden können, um einen fairen und gerechten Übergang für alle zu ermöglichen. Zwar wird im EU-Parlament die Notwendigkeit einer sauberen und bezahlbaren Energieversorgung für Haushalte zunehmend betont, doch es benötigt weitgreifendere Maßnahmen auf nationaler Ebene, um das Problem nachhaltig zu lösen.
Frauen sind einem höheren Risiko der Energiearmut ausgesetzt
Energiearmut betrifft Millionen von Menschen in der EU und ist ein komplexes Problem. Obwohl es keine allgemeingültige Definition von Energiearmut gibt, orientieren sich EU-Organisationen vorrangig an ähnlichen Parametern: beispielsweise wird dann von Energiearmut ausgegangen, wenn Personen finanziell nicht in der Lage sind, das eigene Zuhause ausreichend zu heizen oder zu kühlen und grundlegende energieintensive Dienstleistungen zu nutzen. Zu den Hauptursachen für Energiearmut zählen die Kombination aus hohen Energiekosten, niedrigem Einkommen und die unzureichende Energieeffizienz von Gebäuden und Haushaltsgeräten.
Energiearmut trifft ältere Frauen, Menschen mit Vorerkrankungen und weitere marginalisierte Gruppen besonders, weil sie durch strukturelle Ungleichheiten in unserer Gesellschaft benachteiligt sind.
Was das konkret bedeutet: Frauen, die oft länger leben als Männer, leben in hohem Alter öfter alleine, auf großer, unrenovierter Wohnfläche, die sie auf Grund ihrer geringen Rente (Gender-Renten-Lücke) nicht ausreichend heizen oder kühlen können. Aber auch Alleinerziehende Personen sind aufgrund einer finanziell angespannten Lage besonder von Energiearmut bedroht. In Deutschland machen Frauen mit 82 Prozent die übergroße Mehrheit der Alleinerziehenden aus und sind durch die ungleiche Verteilung von bezahlter Arbeit und unbezahlter Carearbeit doppelt belastet.
Laut einer Studie vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) aus dem Jahr 2024, sind Menschen mit Vorerkrankungen, deren Energiebedarf durch Einsatz medizinischer Geräte oder die Notwendigkeit einer stabilen Temperaturregelung erhöht ist, ebenfalls gefährdet. Gleichzeitig sind sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme oft nicht erwerbstätig, was die finanzielle Lage zusätzlich erschwert. Haushalte, in denen eine Person mit Behinderung lebt, haben einen höheren Energiebedarf bei gleichzeitig oft geringerem Einkommen und sind daher besonders von Energiearmut betroffen. LGBTQIA+(Lesbisch, Gay, Trans, Queer, Intersexual, Asexual) Communities sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt, da die alltägliche Diskriminierung, die sie erfahren, ihren Zugang zu Dienstleistungen, Wohnraum und Arbeitsplätzen einschränken kann.
Aus Energiearmut entstehen Erkrankungen
Das Problem der Energiearmut hört nicht bei den kalten Temperaturen auf, sondern ist komplexer und führt auch zu gesundheitlichen Problemen. Eine Studie von Oliveras aus dem Jahr 2020 zeigt, dass Frauen und Männer tendenziell an unterschiedlichen Krankheiten leiden: Frauen sind häufiger von Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen betroffen, während Männer eher unter häuslichen Verletzungen und psychischer Gesundheit leiden. Doch die Auswirkungen von Energiearmut gehen noch weiter – sie kann auch zu Gewalt innerhalb von Familien gegen Frauen führen. Die Blockierung von Heizungs- und Kühlungssteuerung kann als effektives Mittel zur Ausübung von Kontrolle und als Form häuslicher Gewalt genutzt werden (siehe Studie von EWSA 2024).
Auf gesellschaftlicher Ebene werden schlecht isolierte Gebäude häufig von Personen bewohnt, die sich an den Schnittstellen von Geschlecht, Migrationshintergrund und niedrigem Einkommen befinden. So entstehen oft benachteiligte Wohngegenden, die die soziale Inklusion erschweren und das Ziel einer nachhaltigen, fairen und inklusiven Gesellschaft gefährden.
Geschlechtergerechtigkeit als Schlüssel im Kampf gegen Energiearmut
Wie können wir als Gesellschaft auf dieses Problem aufmerksam machen? Insgesamt können wir uns selbst, unseren Nachbar:innen, Freund:innen und Familien gegenüber aufmerksamer sein, vor allem gegenüber denjenigen, die stärker von Energiearmut betroffen sind. Eine Möglichkeit der Unterstützung sind Spenden an Betroffene, beispielsweise über Plattformen wie 'Energie-Soli', die speziell Alleinerziehenden helfen, ihre Energiekosten zu decken und soziale Gerechtigkeit zu fördern.
Bürger:innen haben auch weitere Möglichkeiten, aktiv zu werden. Sie können Stromtarife wechseln, sich mit Nachbar:innen austauschen und Balkonkraftwerke nutzen, was mittlerweile einfacher möglich ist. Zudem können sie Energiegenossenschaften beitreten, um so unabhängiger Energie zu erzeugen und zu verbrauchen.
Energiearmut auf nationaler Ebene bekämpfen
Trotz individueller Bemühungen bleibt Energiearmut ein strukturelles Problem, das durch politische Entscheidungsprozesse auf nationaler Ebene bekämpft werden muss. Jedoch zeigt sich, dass in den jüngsten EU-Energiepolitiken geschlechtsspezifische oder intersektionale Dimensionen kaum berücksichtigt werden und so das Thema Energiearmut leicht ausgeblendet wird. Es gilt, das Bewusstsein der politischen Entscheidungsträger:innen für Energiearmut und ihre geschlechtsspezifischen Dimensionen zu schärfen. Hier kann die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle spielen, indem sie sich am Austausch über die praktischen Bedürfnisse im Kampf gegen die Energiearmut und an der Beratung zur Schaffung sozial gerechter Lösungen beteiligt.
Workshops schärfen Bewusstsein
Als Good Practice hat das EU-finanzierte Projekt EUWES (Empowering Underrepresented Women in the Energy Sector) dazu beigetragen, das Bewusstsein im Energiesektor sowie bei Entscheidungsträger:innen durch gezielte Workshops zu schärfen und Politikempfehlungen zu entwickeln. Partizipative Politikgestaltung kann dazu führen, dass auf nationaler Ebene geschlechtsspezifische Methoden, Programme und Budgets eingeführt werden. Hierdurch können politische Entscheidungsträger:innen ihre Kompetenzen stärken, um geschlechterdifferenzierte Daten zur Energiearmut zu entwickeln und diese gezielt für die Politikgestaltung einzusetzen.
Um der wachsenden Energiearmut entgegenzuwirken, müssen politische Maßnahmen auf der Basis von geschlechterspezifischen Daten getroffen werden. Besonders Frauen und marginalisierte Gruppen, die häufig überproportional von Energiearmut betroffen sind, müssen in diese politischen Entscheidungsprozesse stärker einbezogen werden. Mit den anstehenden Neuwahlen der Bundesregierung in diesem Jahr steht die Chance, den politischen Willen zu zeigen, um Armut und Ungerechtigkeit im Bereich Energie nachhaltig zu bekämpfen und eine gerechte Energiewende für alle zu ermöglichen.
Gastbeitrag von Jiwon Yoo und Lorena Link
Jiwon Yoo studiert den MA Governance of Technology and Innovation an der RWTH Aachen und fokussiert sich dabei auf den Einfluss neuer Technologien und transformativer Innovationen auf marginalisierte Gruppen. Bei WECF hat sie als Werkstudentin u.a. zu den Themenbereichen grüne und digitale Transformation, Förderung von Frauen/FLINTA* im Energiesektor und zu Energiearmut gearbeitet.
Lorena Link studiert im Masterstudium Begabungsforschung und Kompetenzentwicklung an der Universität Leipzig. Bei WECF hat sie als Praktikantin zu den Themen Förderung von Frauen/FLINTA* in MINT-Fächern und im Energiesektor gearbeitet und dabei eine Workshop-Reihe co-konzipiert.
Women Engage for a Common Future (WECF) ist eine internationale Netzwerkorganisation, die zur Verflechtung von Gender, Umwelt- und Klimagerechtigkeit arbeitet. Energie ist dabei eines der Kernthemen von WECF – in nationalen und internationalen Projekten versuchen wir, den Zugang zu bezahlbarer erneuerbarer Energie zu verbessern und Bürger*innen für die Energiewende zu mobilisieren. Zu unseren Aktivitäten zählen dabei politische Interessensvertretung, Capacity-Strengthening durch Trainings, wissenschaftliche Recherche, und die Implementierung konkreter Maßnahmen, u.a. in internationalen Projekten wie EUWES (Empowering Underrepresented Women in the Energy Sector).