Auf dem Weg ins niederländische Kerkrade durchquert man unweigerlich Herzogenrath. Es ist Anfang September und in NRWs Kommunen stehen Wahlen an. Der amtierende Bürgermeister von Herzogenrath, Benjamin Fadavian, blickt einen von vielen der Wahlplakate an. Plötzlich aber sind keine Wahlplakate mehr zu sehen. Es ist zunächst das einzig sichtbare Zeichen, dass man auf niederländischer Seite, in Kerkrade, ist. So eng sind die beiden Städte miteinander verwoben. Im schmucken Kerkrader Rathaus empfangen die Hausherrin, Bürgermeisterin Petra Dassen-Housen, und ihr Amtskollege aus Herzogenrath zum Gespräch. Benjamin Fadavian wird einige Tage darauf mit großer Mehrheit von 67,7 Prozent in seinem Amt als Bürgermeister bestätigt.
Frau Dassen-Housen, Herr Fadavian, welche Gemeinsamkeiten, welche Unterschiede sehen sie in der niederländischen und deutschen Wärmewende und ihrer Arbeit in den Kommunen?
Dassen-Housen: Wir haben von der nationalstaatlichen Ebene die Vorgabe, unsere Treibhausgasemissionen – die gesamte Energieversorgung betreffend – bis 2030 um 55 Prozent und bis 2050 um 100 Prozent zu reduzieren, also klimaneutral zu sein. Im Zweckverband Parkstad Limburg haben wir uns zudem zum Ziel gesetzt, 2040 keine fossile Energie mehr in die Region zu importieren und unseren Bedarf vorzugsweise mit heimischer, grüner Energie zu decken. Wir haben, wie in Deutschland, die gesetzliche Vorgabe, die kommunale Wärmewende voranzutreiben. Zunächst mussten wir, dem niederländischen Klimagesetz – dem Klimaatakkoord – folgend, einen sogenannten Transitievisie Warmte erstellen, den wir 2023 abgeschlossen haben. Darin ging es erst einmal um die strategische Ausrichtung. Darauf aufbauend erstellen wir aktuell und bis Ende 2026 ein Warmteprogramma, ähnlich der kommunalen Wärmeplanung, bei der wir aber relativ autonom sind, mit viel Gestaltungsfreiheit. Ich glaube, das unterscheidet den niederländischen Weg vom deutschen.
Fadavian:Richtig, die Herangehensweise in Deutschland ist sehr formal, mit Bundes- und Landes-Wärmeplanungsgesetzen, die klare Vorgaben an Methodik, Inhalt und Fristen setzen. Als Stadt mit unter 100.000 Einwohnern müssen wir bis Mitte 2028 unsere kommunale Wärmeplanung einreichen. Darin muss klar beschrieben sein, wie wir die Wärmewende bis 2045 gestalten wollen, um dann ebenfalls klimaneutral zu heizen. Mit welchen Energieträgern aber, bleibt uns überlassen.
Dassen-Housen:Auch wir sind dort frei in der Ausgestaltung. Wobei der klare Fokus auf dem Gasausstieg liegt, der bislang der bestimmende Wärmeenergieträger in den Niederlanden ist. Es gilt, bis 2040 gasfrei zu sein. Auch wenn wir bei Neubauten schon seit 2018 ein Verbot neuer Gasthermen haben, wird in den Haushalten Kerkrades noch immer zu 97 Prozent mit Gas geheizt.
Wie sieht der Ist-Zustand der Wärmeversorgung in Herzogenrath aus?
Fadavian: Heizöl macht mit fast 48 Prozent aktuell einen erheblichen Teil unserer Wärmeversorgung aus. Danach kommt Erdgas, mit rund 45 Prozent. Wovon zehn Prozent über Wärmeleitungen aus einem Gas betriebenen Heizwerk stammen. Dieses Wärmenetz lässt sich leichter auf den Betrieb mit Erneuerbaren Energien umstellen. Dazu befinden wir uns in der Ideenfindung.
Welche konkreten Wärmewende-Projekte sind in Herzogenrath und Kerkrade in Arbeit?
Fadavian: Wir haben zwar mit der kommunalen Wärmeplanung schon angefangen, aber es ist noch zu früh, konkrete Projekte vorzustellen, auch grenzüberschreitende. Zu Herzogenrath muss man wissen: Wir sind eine sehr lange Stadt von Norden nach Süden und von West nach Ost sehr schmal, ein bisschen wie Chile. Da wird die Wärmeversorgung im Norden voraussichtlich eine ganz andere sein als im Süden. Im Norden gilt es den Kreis Heinsberg einzubinden, im Süden Aachen und in der Mitte eben – grenzüberschreitend – Kerkrade. Wenn Sie sich das einmal auf der Karte anschauen… (Benjamin Fadavian zeigt auf seinem Smartphone Stadt- und Grenzverläufe) ... Dann sehen Sie, dass die Ortsteile Straß und Herzogenrath-Mitte mit Kerkrade organisch ineinander überlaufen. Die beiden Ortsteile sind viel näher an Kerkrade als die Ortsteile Merkstein im Norden und Kohlscheid im Süden.
Dassen-Housen: Historisch waren Kerkrade und Herzogenrath einmal eine zusammenhängende Stadt. Anfang des 19 Jahrhunderts wurde Europa nach den Napoleonischen Kriegen auf dem Wiener Kongress neu geordnet. Aus einer Stadt entstanden Kerkrade im Königreich der Niederlande und Herzogenrath auf preußischer Seite. Im Gegensatz zu Herzogenrath ist Kerkrade relativ kompakt. Die niederländische Wärmewende-Strategie sieht im Übrigen drei Stufen, eine sogenannte Trias Energetica, vor. In der ersten gilt es Energie zu sparen, in der zweiten die weiterhin benötigte Energie auf Erneuerbare Energieträger umzustellen und in der dritten, unabdingbare fossile Energie möglichst effizient zu nutzen.
Und auf welcher Stufe stehen Sie?
Dassen-Housen: Wir befinden uns aktuell noch auf Stufe eins. Energiearmut ist bei uns in der Stadt ein großes Thema. Viele Menschen mit niedrigen Einkommen leben in Wohnungen und Häusern mit einem hohen Energieverbrauch. Gemeinsam mit den anderen Kommunen im Zweckverband Parkstad Limburg bieten wir Anlaufstellen für Menschen an, sich über Wärmewende-Maßnahmen und mögliche Förderungen zu informieren. WoonWijzerWinkel nennen wir das und bedeutet frei übersetzt Wohnratgeber-Zentrum. Dabei bieten wir nicht nur Info-Zentren an, sondern Ehrenamtler gehen auch aktiv auf die Menschen in den Haushalten zu. Diese Ehrenamtler kommen oft selbst aus den Vierteln, in denen sie an Haustüren klopfen und haben ein besonderes Gespür für die Belange vor Ort.
Die Bürger bei der Wärmewende mitzunehmen, ist also ein bestimmendes Thema?
Dassen-Housen: Im Rahmen der Transitievisie Warmte gibt es eine Participatieverordening, die eine Bürgerbeteiligung vorschreibt, wobei wir in der Ausgestaltung wieder sehr frei sind. Über WoonWijzerWinkel und die Ehrenamtler haben wir Haushaltein der Region Limburg rund 4.000 Haushalte erreicht, denen wir Informationen und zum Teil Förderungen vermitteln konnten. So haben wir infolge der Energiekrise einen Fonds aufgesetzt, den „Energie en Klimaat Fonds Kerkrade“, über den unkompliziert Darlehen für Energieeffizienzmaßnahmen abgerufen werden konnten. Inzwischen gibt es eine Vielzahl an staatlichen Zuschüssen, wie den Investeringssubsidie Duurzame Energie en Energiebesparing – kurz ISDE – der unter anderem Zuschüsse für Wärmepumpen, Solarthermie oder Dämmmaßnahmen vergibt oder den Nationaal Warmtefonds, der zinsgünstige Kredite für die Wärmewende bereithält. Darüber informieren wir die Menschen. 2022 haben wir eine Umfrage durchgeführt, die unser Vorgehen bestätigt. Über 3.000 Bürgerinnen und Bürger von Kerkrade haben teilgenommen. Den Ergebnissen zufolge sind sich viele der Bedeutung der Wärmewende für den Klimaschutz bewusst. Mehr als die Hälfte wollen ihr Haus energieeffizienter machen. Zudem soll Menschen mit schlecht isolierten Häusern und niedrigen Einkommen zuerst geholfen werden.
Fadavian:Auch im deutschen Wärmeplanungsgesetz gibt es eine Pflicht zur Bürgerbeteiligung. Wobei diese erstmal nur die Bereitstellung von Informationen und Möglichkeiten von Stellungnahmen vorschreibt. In Herzogenrath gehen wir da noch weiter. Wir haben über den Bund 4,2 Millionen Euro an Fördermitteln eingeworben, mit denen wir eine eigene Stabsstelle zur Umsetzung von Klimaschutzprojekten einrichten konnten. Damit haben wir die Möglichkeit, aktiv für Klimaschutz zu werben und die Bürgerinnen und Bürger direkt in die Maßnahmen einzubeziehen. Zusätzlich fördern wir unter anderem Balkonkraftwerke oder Dachflächenbegrünung. Zudem betreiben auch wir Energieberatungsangebote und organisieren viele Veranstaltungen, auf denen wir über Energiewende- und Wärmewende-Projekte informieren.
Welche Ideen gibt es denn für die – auch grenzüberschreitende – Wärmewende?
Fadavian:Wir haben einige Industriebetriebe in der Region mit Abwärme-Potenzial. Da sind wir in Gesprächen, aber es ist noch nichts spruchreif. Potenzial bergen auch die ehemaligen Steinkohlebergwerke, deren Gruben sich unter Kerkrade und Herzogenrath durchziehen. In der niederländischen Nachbarstadt Heerlen gibt es bereits ein solches Projekt, wo aus Grubenwasser Fernwärme gewonnen wird. Strombasierte Wärmeversorgung ist ebenfalls ein Thema für uns. In der Nähe des Stadtteils Merkstein, im Norden Herzogenraths, befindet sich einer der größten Solarparks NRWs, mit einer Spitzenleistung von mehr als 14 Megawatt.
Dassen-Housen:Kürzlich ist das Projekt „Cross-Heat“ gestartet, bei dem wir gemeinsam mit Herzogenrath, der niederländischen Gemeinde Landgraaf und wissenschaftlichen Instituten wie der Universität Maastricht und dem Fraunhofer Institut für Energieinfrastrukturen und Geotechnologien untersuchen, wie eine grenzüberschreitende und CO2-freie Wärmeversorgung gelingen kann. Es geht darum, Lösungen für technische, rechtliche und organisatorische Herausforderungen zu ermitteln. Auch arbeiten wir eng mit niederländischen Wohnungskooperationen zusammen, die für viele Sozialwohnungen in Kerkrade verantwortlich sind.
Wo erwarten Sie die größten Schwierigkeiten?
Dassen-Housen:Es gilt vor allem die derzeit laufenden Planungsprozesse gut aufeinander abzustimmen und das konkrete Warmte Programma auf der Seite von Kerkrade und die kommunale Wärmeplanung in Herzogenrath so zu diskutieren, dass wir auch grenzüberschreitende Lösungen in die Entscheidungsfindung einbeziehen können. Dann können wir politisch loslegen und die Wärmeversorgung wirtschaftlich planen, da wo es sinnvoll ist auch grenzüberschreitend. Zudem wollen wir weiterhin die Bürgerinnen und Bürger beider Städte einbinden und Mitspracherecht bei der Verwirklichung von Wärmeprojekten geben. Wir schauen auch nach Kehl und Straßburg, wo ein Unternehmen in mehrheitlich öffentlicher Hand bei den Planungen für eine grenzüberschreitende Wärmeversorgung, von Abwärme aus einem Stahlwerk auf deutscher Seite für ein Quartier auf französischer Seite, schon sehr weit ist. Uns ist es wichtig, gründlich zu sein. Wir hoffen, dass aus dem „Cross-Heat“-Projekt wesentliche Ergebnisse in die Entscheidungsfindung eingehen können.
Frau Dassen-Housen, Herr Fadavian, herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Manuel Grisard.
Das Interview ist Teil des aktuellen Fachmagazins der energiezukunft: Kraftakt Wärmewende - vom Plan in die Praxis





















































