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Strukturwandel mit WärmewendeReallabor für Geothermie im Rheinischen Revier

Erdbohrung von oben gesehen
Im Technikum entwickelt Fraunhofer IEG die nachhaltigen Energietechnologien der Zukunft. (Bild: S. Kreklau/ Fraunhofer IEG)

Mit dem Kohleausstieg müssen neue Wärmequellen für Kommunen und Industrie erschlossen sowie der Strukturwandel in der Region gestaltet werden. Eine innovative Forschungsinfrastruktur für Tiefengeothermie des Fraunhofer IEG bringt den Stein ins Rollen.

19.02.2025 – Der Kohleaussteig ist beschlossene Sache und notwendig, um die Klimaziele zu erreichen. Für die Industrie vor Ort sowie betroffene Kommunen stehen daher große Veränderungen bevor. Jetzt gilt es, die Wärmewende und den Strukturwandel sozialverträglich, nachhaltig und wirtschaftlich sinnvoll zu gestalten.

Das Fraunhofer Reallabor für Geothermie, Geotechnologien und Georessourcen - Geo³ schafft in der Städteregion Aachen eine europaweit einzigartige Forschungsinfrastruktur, die das Potenzial der Tiefengeothermie Nordrhein-Westfalens erforscht und die Entwicklung innovativer Energietechnologien für die Wärmewende ermöglicht. Aus den Mitteln des Kohleausstieges fördern der Bund und das Land NRW das Projekt der Fraunhofer Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geotechnologien IEG mit zusammen genommen rund 52 Millionen Euro.

Kostbare Energie aus der Erde

Tiefengeothermie nutzt heißes Thermalwasser aus der Tiefe, um etwa Fernwärme und Prozesswärme bereitzustellen. Von klimafreundlicher Energie aus thermalwasserführenden Schichten können viele Anwendungen profitieren, erläutern die Fraunhofer Wissenschaftler, etwa kommunale Wärmenetze, Gewächshäuser oder die Chemieindustrie, aber auch Betriebe der Zucker- und Nahrungsmittelherstellung, der Holz- und Papierverarbeitung sowie die Metall-, Zement- und Bauindustrie.

In den Metropolen München und Paris tragen schon heute Geothermie-Heizwerke effizient und sicher zur kommunalen Wärmeversorgung bei, in den Niederlanden und Belgien versorgen sie Fernwärmesysteme und Gewächshäuser mit Prozesswärme. „Die Erdwärme steht uns ganzjährig und verlässlich zur Verfügung, sie ist nachhaltig, bezahlbar und wetterunabhängig, krisensicher, importunabhängig und nahezu unerschöpflich“, schreiben die Fraunhofer Experten. Auch habe sie den geringsten Flächenbedarf unter den erneuerbaren Technologien. „Diese Wärmequelle gilt es auch für Nordrhein-Westfalen und andere europäische Regionen zu entwickeln.“

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Startschuss für die praktische Umsetzung

Mit den nun ausgestellten Bewilligungsbescheiden geht das Projekt Fraunhofer Reallabor für Geothermie, Geotechnologien und Georessourcen - Geo³ von der Planungs- in die Umsetzungsphase. Ziel dabei ist es, eine große Forschungsinfrastruktur für Geothermie zu schaffen, die europaweit einmalig sei. Dazu ist geplant, einerseits den Untergrund in der Städteregion Aachen in den nächsten vier Jahren großflächig geophysikalisch zu charakterisieren und andererseits mit zwei Bohrungen in der Tiefe zu erkunden. Zudem baut Fraunhofer IEG als zugehörige obertägige Infrastruktur in Weisweiler ein Technikum als Forschungszentrum für Georessourcen und Dekarbonisierung.

Den Untergrund charakterisieren

Für ein besseres Verständnis der geologischen Situation im tiefen Untergrund möchte die Fraunhofer IEG unter anderem das südliche Rheinland mehrere Kilometer tief mit Schallwellen erkunden, ähnlich dem Echolot aus der Seefahrt oder dem Ultraschall in der Medizin. Dazu bringt das Reallabor im Bereich zwischen dem Aachener Autobahnkreuz und Düren für kurze Zeit Messwagen und empfindliche Mikrofone in einer sogenannten „Seismischen Exploration“ zum Einsatz und testet auch neue Erkundungsmethoden für die speziellen tiefen Untergrundverhältnisse in ehemaligen Kohleregionen.

Die Daten dieser bildgebenden Verfahren verknüpft es mit jenen aus tiefen Erkundungsbohrungen. Diese sollen die thermalwasserführenden Gesteinsschichten in mehreren Kilometern Tiefe für wissenschaftliche Untersuchungen erschließen und wertvolle Informationen etwa über Gesteinsarten, Porosität, Wasserdurchlässigkeit und natürliche Wasservorkommen liefern.

Zukunftsweisendes Projekt für Kommunen im NRW-Masterplan Geothermie

Für das Land Nordrhein-Westfalen ist das Projekt ein wichtiger Schritt im Rahmen der Umsetzung des Masterplans Geothermie. Das Fraunhofer Reallabor könnte entscheidend zum Hochlauf der Geothermie in NRW beitragen. Die seismischen Messungen und Tiefbohrungen liefern wichtige Grundlagendaten für anschließende Projekte durch Wärmeversorger. Die Erkenntnisse zu den geologischen Verhältnissen werden als Rohdaten kostenlos zur Verfügung gestellt und in Form von Leitfäden und Workshops erläutert. Bei positiven Erkundungsergebnissen besteht für die Menschen, Kommunen und Unternehmen in der Region in einigen Jahren die Möglichkeit einer kostengünstigen und regionalen Wärmequelle – der Erdwärme.

„Erdwärme ist eine unerschöpfliche klimafreundliche Wärmequelle, die das ganze Jahr zuverlässig liefert“, kommentiert Wirtschafts- und Klimaschutzministerin des Landes NRW Mona Neubaur das ambitionierte Projekt. „Unser Masterplan Geothermie ist die Strategie, um den Schatz unter unseren Füßen zu heben. Bis 2045 sollen bis zu 20 Prozent des Wärmebedarfs in Nordrhein-Westfalen aus Geothermie gedeckt werden.

Über Tage – Innovationen für die Industrie

Als Bestandteil des Fraunhofer Reallabors entsteht am Standort des Braunkohlekraftwerks Weisweiler ein Technikum als Forschungszentrum für angewandte Georessourcen und Dekarbonisierung. Dort laufen dann alle gesammelten Informationen zum Untergrund zusammen.

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Bereits heute ist in Weisweiler ein Teil des geplanten geophysikalischen Observatoriums in Betrieb, das die natürliche Seismizität des Untergrunds im südlichen Rheinland wissenschaftlich beobachtet. Das Technikum dient auch als Entwicklungsplattform für Geotechnologien zur klimafreundlichen Energieversorgung. Die Forschungsthemen sollen Aspekte der Anlagentechnik zur Dekarbonisierung von Industrie und Kommunen sein: von Aggregaten zur geothermalen Strom-, Wärme- und Kälteerzeugung, über die Nutzung des Untergrunds als Energiespeicher bis hin zu CO2-armen Betriebsstrategien. So entstehen für den flächendeckenden Einsatz marktgerechte, skalierbare und einfach auf neue Standorte übertragbare Technologien.

Transformation vom Kohle- zum Wärmebergbau

Das Fraunhofer IEG will damit zusammen mit seinen Partnern aus Forschung und Industrie Innovationen in die europäischen Strukturwandelregionen bringen und die Transformation vom Kohle- zum Wärmebergbau ermöglichen. Die neue Forschungsinfrastruktur stehe für weitere Partner der Wissenschaft und auch den Akteuren der Wirtschaft und Kommunen zur Verfügung. Neben der Entwicklung neuer Technologien soll sie perspektivisch auch der Aus- und Weiterbildung von dringend benötigten Fachkräften im Bereich der geothermischen Energiesysteme dienen.

Von der Thermalwassernutzung zur Tiefengeothermie

„Das südliche Rheinland hat eine reiche Geschichte in der Nutzung seiner natürlichen Energierohstoffe – von der Thermalwassernutzung in römischer Zeit für die Nahwärme und später für die mittelalterliche Tuchwirtschaft, über die neuzeitliche Bäderwirtschaft bis hin zu den industriellen Steinkohlezechen und dem modernen Braunkohletagebau“, berichtet Prof. Rolf Bracke, Leiter der Fraunhofer IEG. „Tiefengeothermie also könnte das nächste Kapitel für die Energieregionen diesseits und jenseits des Rheins sein.“ na

 

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