04.02.2025 – Letztes Jahr im Mai kehrte Berlins größter Fernwärmeversorger in die Familie der Berliner Landesunternehmen zurück. Nicht nur die rund zwei Dutzend Wärmekraftwerke im Stadtgebiet und mehr als 2.000 Kilometer Fernwärmenetz wechselten den Besitzer, sondern auch rund 2.000 Beschäftigte die Arbeitgeberin. Die mit solch einem Unternehmensübergang verbundenen Veränderungen sind groß. Anfang Januar 2025 wurde aus der Berliner Wärme und Energie Aktiengesellschaft eine GmbH. Susanne Huneke, Leiterin Strategie, Politik und Regulierung spricht im Interview über den Transformationsprozess, anstehende Aufgaben und Ziele bei der Dekarbonisierung der Wärmeversorgung.
Frau Huneke, was wurde in den zurückliegenden neun Monaten unter neuer Ägide geschafft – wie ist die Berliner Energie und Wärme aufgestellt?
Susanne Huneke: Es liegen tatsächlich arbeitsreiche Monate hinter uns. Zum Geschäftsbereich Wärme des Vattenfall-Konzerns gehörte ausschließlich das Kerngeschäft. Das heißt die Kraftwerke, das Fernwärmenetz, der Betrieb, die Instandhaltung und der Vertrieb der Wärme an unsere Kunden. Servicedienstleistungen wie Buchhaltung, IT oder Einkauf wurden im Konzernverbund erbracht. Für diese Aufgaben mussten wir neue Strukturen innerhalb der BEW schaffen. Viele neue Kolleginnen und Kollegen wurden eingestellt und eingearbeitet, teilweise bis zu 60 im Monat. Und wir wachsen weiter. Unter anderem im Projektbereich. So brauchen wir beispielsweise für die anstehende Transformation an unseren Standorten Ingenieur:innen. Als Landesunternehmen gestalten wir jetzt natürlich auch die Zusammenarbeit mit den Senatsverwaltungen anders. Auch dafür haben wir neue Prozesse etabliert. Aber das Wichtigste: Die Stimmung ist geprägt von Aufbruch und viel positiver Energie für die vor uns stehenden Aufgaben.
Welche Prämissen setzt das Land Berlin bei den Zielen oder Prozessen?
Das erste und wichtigste ist die Verpflichtung, die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung in Berlin voranzutreiben. Daran hat sich nichts geändert, das manifestiert sich in konkreten Entscheidungen. Beispielsweise wurde Ende 2024 im Aufsichtsrat die Investitionsentscheidung in Höhe von gut 750 Millionen Euro für den Rück- und Neubau einer großen Gas-KWK-Anlage am Standort Charlottenburg getroffen. Übrigens die höchste Einzelinvestitionsentscheidung seit 1980. Das ist ein zentrales Element, um bis 2030 die beiden noch in Betrieb befindlichen Kohleblöcke in Reuter West vom Netz nehmen zu können. Ein weiteres gewichtiges Thema ist die Überarbeitung des Dekarbonisierungsfahrplans, die wir gemeinsam mit dem Land Berlin vorantreiben. Die Neufassung soll bis Ende des Jahres stehen. Darin werden auch die Projekte bis 2035 weiter konkretisiert. Zusätzlich werden wir auch das Thema Geothermie als Wärmequelle verstärkt in den Fokus nehmen. Auch wenn bis 2030 hier noch keine großen Effekte zu erwarten sind. Aber auch der Einsatz von Wasserstoff wird vermutlich neu bewertet.
Gibt es auch Vorhaben zum Ausbau des Fernwärmenetzes?
Ja, obwohl diese nicht wirklich neu sind, sondern schon länger bestehen. Jedoch ist dafür die Wärmeplanung des Landes entscheidend. Denn dann werden wir wissen, wo künftig dezentrale Wärmelösungen angestrebt werden. Liegt 2026 ein flächendeckender Wärmeplan vor, werden wir gemeinsam mit dem Land Berlin den Ausbau des Fernwärmenetzes noch einmal anschauen müssen. Eine konkrete Vorgabe gibt es derzeit nicht. Unsere Fernwärmemengen steigen derzeit jährlich um 100 Megawatt. Das entspricht etwa 30.000 Haushalten, die wir jedes Jahr neu in die Fernwärmeversorgung aufnehmen. Eine Menge, die sich sehen lassen kann. Unser Fokus liegt dabei auf dem Anschluss von Gebäuden im Rahmen von Verdichtungen im innerstädtischen Bereich, was auch dem politischen Willen entspricht. Konkret heißt das, dort wo das Netz bereits vorhanden ist, versuchen wir, mehr Kunden anzuschließen. In den typischen Berliner Altbauten, in denen die energetische Sanierung oftmals eine große Herausforderung ist, ist Fernwärme volkswirtschaftlich die sinnvollste Lösung. Allerdings gibt es auch Hürden, wir könnten noch mehr Kund:innen mit Fernwärme versorgen.
Was sind das für Hürden?
Dazu zählt beispielsweise die Wärmelieferverordnung. Sie bevorzugt im Gebäudebestand den Einbau von Gasheizungen in Mietwohnungen. In Berlin kommt außerdem das Thema Milieuschutz hinzu, der in Berlin zurecht eine große Rolle spielt. In dessen Folge jedoch ist es in einzelnen Kiezen derzeit ausgeschlossen, eine Genehmigung der Bezirksverwaltung für einen Fernwärmeanschluss zu bekommen. Hier müssen wir gemeinsam einen gangbaren Weg finden, sonst werden wir diese Stadt nicht im vorgesehenen Tempo dekarbonisieren – und andere Großstädte auch nicht. Fernwärme ist und bleibt die Lösung zur Dekarbonisierung im innerstädtischen Gebäudebestand. Neue Quartieren oder in Einfamilienhäuser am Stadtrand lassen sich zudem gut mit einer Wärmepumpe versorgen. Sofern eine geeignete dezentrale Wärmequelle erschließbar ist, kommt auch ein Nahwärmenetz in Frage.
Bis 2030 soll im Berliner Fernwärmenetz keine Wärme mehr aus Kohleverbrennung stammen. Die Kohle-Kraftwerksblöcke in Moabit und Reuter West liefern gemeinsam insgesamt rund 850 Megawatt thermische Leistung – wie kann diese Wärme anders erzeugt werden?
Der Kohleausstieg ist der wichtigste mittelfristige Meilenstein. Dafür müssen wir auf andere Energieträger umstellen und diese Umstellung ist vielfältig. Zum einen haben wir in Reuter West bereits Europas größte Power-to-Heat-Anlage mit 120 Megawatt in Betrieb genommen und auch Deutschlands größter Wärmespeicher mit 200 Megawatt steht dort. 2026 kommt eine neue Dampfturbine dazu, die aus der Abwärme der Müllverbrennungsanlage der Berliner Stadtreinigung (BSR) in Spandau Fernwärme produzieren wird. Außerdem wird in Reuter West eine Abwasser-Großwärmepumpe zum Einsatz kommen, mit 70 Megawatt Leistung, die Bauarbeiten laufen bereits. Sie wird die Abwärme aus dem Abwasser der benachbarten Kläranlage der Berliner Wasserbetriebe (BWB) nutzen. Die Großwärmepumpe wird Grundlast bereitstellen, das neue Gaskraftwerk in Charlottenburg Verbrauchspitzen decken. Zusätzlich soll Ende des Jahrzehnts eine Biomasseanlage mit 90 Megawatt thermischer Leistung in Reuter West entstehen. Am Standort Moabit sind unsere konkreten Pläne noch nicht spruchreif. Sie sehen, der Mix, aus dem wir zukünftig Fernwärme erzeugen, wird deutlich diverser.
Stichwort Biomasse – sie wird zuweilen skeptisch betrachtet. Wie ordnen Sie diesen Energieträger ein?
Biomasse und Wasserstoff werden in der Tat mit besonderer Skepsis und auch Kritik betrachtet. Hier möchte ich gern einen größeren Bogen schlagen. Wir als BEW decken mit dem vorhandenen Fernwärmenetz ein Drittel des Wärmebedarfs von Berlin. Berlin hat historisch bedingt so gut wie keine größeren Industriestandorte und damit auch keine industrielle Abwärme. Abwärme steht bislang nur aus Müllverbrennung und Abwasser zur Verfügung, die wir in unseren Mix, ich habe es eben geschildert, einbeziehen. Damit werden wir aber Berlin perspektivisch nicht klimaneutral beheizen und mit Warmwasser versorgen können. Wir setzen große Hoffnungen in die Geothermie, stehen aber auch da noch ganz am Anfang. Vor 2030 wird es nicht gelingen, diese Potenziale in Größenordnungen zu erschließen. Power to Heat ist wirtschaftlich nur mit niedrigen Strompreisen und Netzentgelten zu betreiben, unser Wärmespeicher wird in Zeiten einer Dunkelflaute mit hohen Strompreisen nicht neu befüllt werden können. Das alles zeigt, wie komplex die Zusammenhänge hier sind. Deshalb gehen wir derzeit davon aus, dass die Dekarbonisierung nicht ohne Biomasse und Gas – perspektivisch dann Wasserstoff –zu schaffen ist. Unsere Aufgabe wird sein, den Einsatz so gering wie möglich zu dimensionieren. Aber ganz ohne wird es nicht gehen. Gesetzlich ist der Anteil von Biomasse ohnehin gedeckelt. Und – so ehrlich muss man auch sein - Biomasse bietet einen unschlagbaren Vorteil: sie ist gut zu lagern, was vor allem mit Blick auf die Versorgungssicherheit nicht zu unterschätzen ist.
Biomasse ist ein sehr allgemeiner Begriff – um welche Brennstoffe soll es sich handeln?
Ganz explizit und das ist mir wirklich wichtig zu betonen: Wir werden kein Stammholz verbrennen. Für die Wärme aus unseren Kraftwerken werden keine Wälder abgeholzt. Der Bau der Biomasseanlagen ist gekoppelt an entsprechende Lieferverträge für Restholz oder Landschaftspflegematerial. Die Lieferungen aus diesen Verträgen machen den größten Teil der Biomasse-Brennstoffe aus. Darüber hinaus haben wir mit den Energy Crops seit einigen Jahren ein Tochterunternehmen, das auf gepachteten landwirtschaftlichen Flächen sogenannte Kurzumtriebsplantagen betreibt. Ganz konkret sind das beispielsweise Pappeln, die angebaut werden, um sie nach sieben bis zehn Jahren zu ernten und zu Holzhackschnitzeln zu verarbeiten. Wir untersuchen auch andere Optionen, wie schnellwachsende Hölzer an Feldrainen. Sie haben den positiven Nebeneffekt, die Böden vor Erosion zu schützen.
Wie wird das Thema Geothermie angegangen, gibt es einen Fahrplan?
Konkrete Meilensteine werden mit der Neufassung des Dekarbonisierungsfahrplans bis Ende des Jahres 2025 festgelegt. Das Land Berlin arbeitet bereits an der seismischen Vermessung der Stadt und wird dafür Standorte vor allem in der Nähe von bestehenden Kraftwerken untersuchen. Wir hoffen, bald die erste Probebohrung für tiefe Geothermie angehen zu können und bauen dafür bereits Expertise auf. Doch nicht nur die Technik beschäftigt uns. Es geht auch um die Absicherung der großen Risiken. Die Probebohrungen erfordern ein hohes Investment und niemand kann das Ergebnis vorwegnehmen. Dieses finanzielle Risiko haben alle, nicht nur wir. Deshalb ist an dieser Stelle auch politische Unterstützung notwendig. Wir Fernwärmeunternehmen brauchen eine staatlich abgesicherte Versicherungslösung, die das sogenannte Fündigkeitsrisiko trägt. Andernfalls wäre eine Umlage der Kosten auf die Wärmepreise unumgänglich. Für Tiefengeothermie brauchen wir außerdem geeignete Flächen. Die sind in der Errichtungsphase etwas größer, später dann eher überschaubar. Dazu gehen wir gerade mit den Berliner Bezirken in den Austausch. Zusammengefasst: in den nächsten Jahren möchten wir Wissen und Erfahrung aufbauen, danach mit konkreten Plänen ans Werk gehen.
Apropos Preise, wo liegen die Hebel für steigende oder fallende Preise – worauf müssen sich Kundinnen und Kunden einstellen?
Mit Blick auf die Energiekrise nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine hatten wir in der Fernwärme die Preisspitze im zweiten Quartal 2023. Also etwas später als beispielsweise in der Gasversorgung. Die staatlichen Hilfen - Preisbremse und reduzierte Mehrwertsteuer - sind aber Ende 2023 bzw. im März 2024 ausgelaufen, so dass die Preissenkungen beim Gaspreis für die Endkund:innen nicht spürbar waren. Ein wichtiger Hebel für verantwortungsvolle und verlässliche Preise ist die erfolgte Neuorganisation unseres Energieeinkaufs. Wir beschaffen den Großteil unserer benötigten Brennstoffmengen jetzt zeitlich weit im Voraus, nicht mehr an den kurzfristigen Spotmärkten. So können wir am Jahresende den Arbeitspreis für das nächste Lieferjahr verlässlich vorhersagen und mindestens für ein Jahr stabil halten.
Wird staatliche Förderung gebraucht, damit Fernwärme bezahlbar bleibt?
In den vergangenen Jahren hat sich eine starke Ungleichverteilung der Förderung herauskristallisiert. Einfamilienhausbesitzer werden beispielsweise deutlich stärker unterstützt als Fernwärmeanbieter. Ein Einfamilienhaus mit einer Wärmepumpe kann bis zu 70 Prozent der Investitionskosten als Zuschuss bekommen. Davon können wir in der Fernwärme nur träumen. Ohne ein Gegensteuern werden sich die Kosten nicht vergleichbar entwickeln können. Im Bundesprogramm Effiziente Wärmenetze ist zwar auch eine Förderung von bis zu 40 Prozent vorgesehen, aber es gibt eine Deckelung auf 100 Millionen Euro – eine höhere Investitionssumme darf das Vorhaben nicht haben. Dies benachteiligt große Städte wie Berlin und insbesondere die vielen Mieter:innen. Wir haben zahlreiche Projekte, die deutlich mehr als 100 Millionen Euro kosten. Hinzukommen Finanzierungskosten. Hier liegt aus meiner Sicht eine große Verantwortung beim Bund, er könnte zum Beispiel Finanzierungen über die KfW ermöglichen. Für die anstehenden notwendigen Investitionen brauchen die Kommunen Unterstützung. Denn alles, was an Förderung kommt, reduziert natürlich die Investitionskosten, die wir auf die Fernwärmepreise umlegen müssen.
Welche Mittel und Wege will die BEW Berliner Energie und Wärme darüber hinaus ausschöpfen?
Wir haben eine große Aufgabe vor uns. Klar ist, diese können wir nicht allein stemmen. Neben der Unterstützung vom Land setzen wir daher auch auf neue Kooperationen, mit Landesbetrieben, aber auch mit anderen Unternehmen, vor allem, was die gemeinsame technologische Entwicklung angeht. Wir setzen auf Dialog, Transparenz und Partnerschaften. Denn wir brauchen vor allem Akzeptanz. Sie ist der Grundstein für vieles. Seien es die Preise, die notwendigen Flächen für Baustellen oder die Art des Brennstoffs. Unser Ziel ist klar: die Dekarbonisierung Berlins.
Das Gespräch führte Petra Franke.