Kommunale Wärmewende: Tiefengeothermie in Bayern auf Expansionskurs
Geothermie könnte bis 2045 bis zu 40 Prozent des Wärmebedarfs in Deutschland decken. Doch die hydrothermale Tiefengeothermie liefert bislang kaum ein halbes Prozent. Wie sich der Wärmeschatz unter der Erde kongenial nutzen lässt, zeigen Projekte.
16.09.2024 – Vor einer Woche hat das Bundeskabinett das Geothermie-Beschleunigungsgesetz, kurz GeoWG, auf den Weg gebracht. Damit sollen schnellere und einfachere Genehmigungen für weniger Bürokratie und das Voranbringen der Wärmewende sorgen. Denn in der Theorie könnte insbesondere die Tiefengeothermie ganze Stadtviertel unentwegt mit Wärme versorgen – unerschöpflich, jederzeit verfügbar und vor allem klimafreundlich, sagen Energieexperten. Laut einer Studie des Leibniz-Instituts für Angewandte Geophysik könnten tiefe und oberflächennahe Geothermie bis 2045 etwa 40 Prozent des Wärmebedarfs in Deutschland liefern. Dem Masterplan Geothermie Bayern der TU München zufolge wären rund 40 Prozent des bayerischen Wärmebedarfs nur aus der Tiefengeothermie bedienbar.
Doch in der Praxis komme in Deutschland die grüne Technologie aufgrund zahlreicher Hürden viel zu wenig zum Einsatz. Vorreiter wie das bayerische Energieversorgungsunternehmen Erdwärme Grünwald GmbH oder die Stadtwerke München treiben die Nutzung der tiefen Geothermie dennoch seit langem voran. Beim Ausbau der Fernwärmeleitungen und dem Bau eines neuen Heizkraftwerks unterstützt das auf Bau, Immobilien und Infrastruktur spezialisierte Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE.
Das Potenzial ist enorm
Bei der Tiefengeothermie geht es stark vereinfacht darum, heißes Wasser aus Erdschichten mit einer Tiefe von mehr als 400 Metern für die Wärme- und in Teilen auch Stromgewinnung zu nutzen. Optimale Bedingungen dafür herrschen hierzulande im Norddeutschen Becken, im Oberrheingraben und in Südbayern vor. Insbesondere im süddeutschen Molassebecken, das sich von der Donau bis zum Alpenvorland erstreckt, gibt es das größte Heißwasservorkommen in Mitteleuropa“, erkläutert der Energie-Experte Leonardo Estrada von Drees & Sommer. Geothermie-Heiznetze als Wärmewunder wären allerdings selten, doch Beispiele gebe es, etwa in der bayerischen Gemeinde Grünwald nahe München. Dort wird mit der Geothermiequelle Laufzorn bis zu 128 Grad heißes Wasser aus einer Tiefe von mehr als 4.000 Metern gefördert, berichtet der Experte.
Bereits im Jahr 2011 waren demnach in Grünwald erste Haushalte, Unternehmen und kommunale Einrichtungen ans Fernwärmenetz angeschlossen. Stand 2023 betrug dessen Länge schon rund 110 Kilometer. Es versorge heute mehr als 3.500 Haushalte, Gewerbe und öffentliche Gebäude mit Wärme, berichtet das Energie-Beratungsunternehmen. Demnach sparte die Gemeinde Grünwald rund 22.000 Tonnen CO2 im Jahr 2023 durch die Nutzung der Fernwärme aus der Tiefengeothermie. Das Bundeswirtschaftsministerium förderte das erfolgreiche Projekt daher mit 62,3 Millionen Euro für die geplante zweite Bohrung der Erdwärme Grünwald GmbH.
Schlafender Riese unter unseren Füßen
„Mehr als die Hälfte des klimaschädlichen CO2 verursachen wir mit unserer fossilen Wärmeversorgung. Dabei haben wir einen schlafenden Riesen mit einem Bodenschatz in allen Etagen unter unseren Füßen. Damit könnten wir eine zuverlässige, preisstabile und sichere Energieversorgung gewährleisten“, sagt Andreas Lederle, Geschäftsführer der Erdwärme Grünwald GmbH und zählt die Vorteile der grünen Energiequelle auf. „Geothermie ist immer verfügbar, wetterunabhängig und landschaftsschonend. Die Anlagen sind grundlastfähig und ihr Betrieb verursacht keine Umweltbelastungen.“
Geothermie ist Langstrecke
Doch der Weg zur klimafreundlichen Wärme sei kein leichter, gibt er auch zu bedenken. „Möglicherweise wird in der Bohrung nichts gefunden. Neben diesen Fündigkeitsrisiken waren und sind langwierige Genehmigungsverfahren, lange Projektphasen und die täglichen Anforderungen an einen reibungslosen Betrieb große Herausforderungen.“ Damit wäre Geothermie kostenintensiv, „sie ist Langstrecke“, sagt Lederle. „Aber andererseits importieren wir jedes Jahr 110 Milliarden Euro an fossilen Energien aus dem Ausland.“ Für ihn ist eine Grundvoraussetzung für den Erfolg der tiefen Geothermie die intelligente Vernetzung von Fernwärmenetzen. So ist der Bedarf an neuen Transportleitungen für das Fernwärmenetz in Grünwald aufgrund der wachsenden Nachfrage nach neuen Anschlüssen entsprechend groß. Geplant ist künftig die Wärmeversorgung aller Grünwalder Gebäude mit geothermischer Wärme.
Der Projektablauf in der Praxis
Im Zeitplan wurde die Baustelle der Netzanbindung Nord in der Bavaria Filmstraße fertiggestellt, berichten die Energie-Experten. Es handle sich um eine etwa 4,7 km lange Fernwärmetransportleitung zwischen den Standorten Laufzorn, Unterhaching und dem Norden Grünwalds, die künftig den Norden des Grünwalder Fernwärmenetzes mitversorgen werde. Derzeit laufe die Inbetriebnahme, so dass die Bürgerinnen und Bürger voraussichtlich termingerecht zur Hauptheizperiode im Herbst 2024 die grüne Wärme erhalten könnten. Im Bereich der Bavariafilmstudios verbindet sich die neue Leitung mit dem vorhandenen Fernwärmenetz, was zudem zu mehr Versorgungssicherheit beitragen werde.
Gemeinsam mit ihrem Team koordinierte Anita Beusch, Senior Projektleiterin bei Drees & Sommer, die Planung und den Bau der sogenannten Nordanbindung. „Die Trassenführung führt von Oberhaching entlang der Forstwege durch den Perlacher und Grünwalder Forst bis in den Norden von Grünwald“, erläutert die Bauingenieurin. „Bei dem Projekt war eine besonders achtsame und genaue Ausführung oberstes Gebot. Im Landschaftsschutzgebiet Perlacher und Grünwalder Forst einschließlich des Gleißentales herrschen besonders strenge Vorgaben für einen Eingriff mit Maschinen, um die ökologische Funktionalität zu sichern und Flora und Fauna so wenig wie nur möglich zu beeinträchtigen.“ Die Baumaßnahmen wurden deshalb in fünf Abschnitten als Art Wanderbaustelle durchgeführt: Sobald ein Baufeld fertig bearbeitet war und die Rohrleitungen verlegt, wurde der Abschnitt wieder verfüllt und das nächste Baufeld bearbeitet, berichtet die Ingenieurin.
Neuer Standort Laufzorn II: Wärme für mehr als 6.000 Haushalte
Nicht nur am Ausbau der Leitungen, sondern auch am Erschließen neuer Heißwasserquellen arbeitet die Erdwärme Grünwald GmbH mit Hochdruck, um damit Haushalte in Grünwald und Unterhaching versorgen zu können: Südlich des bestehenden Standorts in Laufzorn realisiert das Unternehmen mit Unterstützung von Drees & Sommer das Großprojekt Laufzorn II. Es handle sich um einen weiteren Standort zur Wärmeversorgung mit einem Heizwerk und vier Tiefenbohrungen, die rund 4.000 Meter erreichen. Möglich sei eine nachträgliche Erweiterung auf sechs Bohrungen.
„Nach Fertigstellung der letzten Bohrung und dem Rückbau der Bohranlage beginnen die Arbeiten an der Obertageanlage und den Fernwärmetrassen“, berichtet Drees & Sommer-Projektleiterin Anita Beusch. Geplant sei ein kleineres Heizwerk, da nur eine Wärmeauskopplung benötigt werde. Zudem entfielen viele Hilfs- und Nebenanlagen, weil sich die Infrastruktur des Bestandswerks Laufzorn mitnutzen lasse. „Da die Anlage außerdem auf einer geringen Grundstücksfläche gebaut wird, ermöglicht das, einen großen Teil der in der Bauphase beanspruchten Fläche zu renaturieren“, erläutert Beusch weiter. Nach den Bohrungen solle in den kommenden Jahren das Heizwerk errichtet werden. Im Anschluss seiein Testbetrieb für Laufzorn II vorgesehen.
Wärme läuft wie am Schnürchen: Das Großvorhaben Perlenschnur
„Verbundleitungen schöpfen das Fernwärmepotenzial optimal aus, da sich die Fernwärme über längere Strecken mit geringen Temperaturverlusten transportieren lässt und so weniger Anlagen notwendig sind“, erklärt Erdwärme Grünwald-Geschäftsführer Lederle. „Zusätzlich erhöhen die Leitungen die Auslastung und die Ausfallsicherheit der einzelnen Anlagen. Dadurch lassen sich sowohl Effizienz als auch Wirtschaftlichkeit des Gesamtsystems und jeder Einzelanlage steigern.“
Gute Gründe, aufgrund der das Unternehmen in Kooperation mit den Stadtwerken München beabsichtigt, einen interkommunalen geothermischen Wärmeverbund namens Perlenschnur aufzubauen. Denn wie Perlen an einer Schnur reihten sich die bislang acht Geothermieprojekte im Süden von München auf, darunter auch die Standorte Laufzorn und Laufzorn II. Ziel des gemeinsamen Vorhabens beider Energieversorger sei es, künftig alle Anlagen in einem großen Fernwärmeverbund zu bündeln, um die bayerische Landeshauptstadt mit Wärme zu versorgen. Zudem planten die Unternehmen, weitere Geothermie-Anlagen zu erschließen und ihre Fernwärmenetze deutlich auszubauen.
Anstehende Aufgaben
Was den Durchbruch der Tiefengeothermie in der Breite angeht, gibt es Lederle zufolge noch einiges zu tun: „Das Augenmerk muss nun darauf liegen, verantwortliche Umsetzungseinheiten aufzubauen, zeitnahe Forschungsprojekte zu fördern, bürokratische Hürden für Genehmigungsprozesse abzubauen, ein Geothermie-Erschließungsgesetz zu erlassen, das Förderumfeld zu verbessern, günstige Projektbedingungen zu schaffen und Finanzierungsinstrumente für Kommunen bereitzustellen.“
Geothermie-Gesetz: Zehn mal mehr Energie aus Erdwärme bis 2030
Gute Nachrichten für die Geothermie gibt es nun aktuell aus Berlin: Anfang September hat das Kabinett den Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren von Geothermieanlagen, Wärmepumpen und Wärmespeichern beschlossen. Laut Bundeswirtschaftsministerium soll das Gesetz (GeoWG) die Grundlagen dafür schaffen, dass sich bis 2030 zehn Terawattstunden Energie aus Erdwärme gewinnen lassen – das wären etwa zehnmal so viel wie derzeit.
„Mit dem Gesetz macht der Bund einen bedeutenden Schritt nach vorne, um die Wärmegewinnung aus tiefen Erdschichten unbürokratischer und vor allem schneller zu gestalten“, sagt Leonardo Estrada, Geothermie-Experte bei Drees & Sommer. „Genehmigungsverfahren dürfen sich künftig nicht mehr in die Länge ziehen, sondern müssen innerhalb eines statt sehr vieler Jahre abgeschlossen sein.“ Zudem plane die Bundesregierung, die Fündigkeitsrisiken teilweise durch Kredite der staatlichen KfW-Bank abzusichern. Sie sollen nicht nur günstige Zinskonditionen bieten, sondern auch teilweise auf Rückzahlungen verzichten, falls die geologischen Bedingungen für die Tiefengeothermie nicht erfüllt würden.