Grenzüberschreitende Wärmewende: Wärme verbindet

Grenzen sind im europäischen Schengenraum kein Hindernis mehr. Der kulturelle und wirtschaftliche Austausch blüht. Deutschland, Polen und Frankreich machen sich daran, auch die Wärmeversorgung von Städten über Grenzen hinweg zu verbinden.
12.05.2025 – Historisch war sie einst eins. Kriege und Politik teilten die Stadt Görlitz entzwei. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der Fluss – die Neiße – die neue natürliche Grenze zwischen dem sächsischen Görlitz und Zgorzelec auf polnischer Seite. Die Landesgrenze besteht fort, doch in den letzten drei Jahrzehnten wuchsen die Städte, im Rahmen gemeinsamer Kooperationen, wieder stärker zusammen. Heute ist westlich und östlich der Neiße der Spirit eines geeinten Europas spürbar. Seit 1998 führen Görlitz und Zgorzelec gemeinsam die Bezeichnung Europastadt.
Kulturelle und sportliche Veranstaltungen werden zusammen organisiert, auch finden gemeinsame Stadtratssitzungen statt. Kürzlich verabschiedeten beide Stadträte den Antrag auf eine neue Brücke über die Neiße. Ein ungleich größeres gemeinsames Projekt ist „United Heat“. Hinter dem Projektnamen steht das Ziel, die Fernwärmenetze der beiden Städte zu verbinden und zu dekarbonisieren. 2020 brachten die beiden Oberbürgermeister der Städte, Octavian Ursu (CDU) in Görlitz und Rafał Gronicz (PO – Polnische Bürgerplattform) in Zgorzelec, die Idee auf die Agenda. „Ihr Ziel ist es, die Lebensqualität in der Europastadt nachhaltig zu verbessern. Dabei erkennen sie, dass Umweltprobleme wie Feinstaub und CO2-Emissionen keine Grenzen kennen und daher gemeinsam angegangen werden müssen“, sagt Denise Seifert, Pressereferentin der Stadtwerke Görlitz.
Von fossiler zu Erneuerbarer Fernwärme
Noch versorgen die Stadtwerke die Bewohner von Görlitz mit fossiler Fernwärme. Dafür sorgen vier Erdgas betriebene Blockheizkraftwerke (BHKWs). Auf polnischer Seite ist es das mit Kohle und Erdgas betriebene Heizwerk Groszowa der SEC Zgorzelec, das die Bürger versorgt. 50.000 Tonnen CO2 jährlich verursacht die Wärmeversorgung der beiden Städte aktuell. Der Bau von 12 Kilometern neuen Fernwärmeleitungen, davon 2,4 km zwischen Görlitz und Zgorzelec, sowie mehrere neue Erzeugungsanlagen sollen bis 2030 das fossile Zeitalter beenden.
Die Verbindung der aktuell fünf Fernwärmegebiete auf beiden Seiten der Neiße soll eine effizientere und flexible Nutzung der Wärme ermöglichen. Mit rund einem Drittel, werden einen gewichtigen Anteil der Versorgung künftig Wärmepumpen decken. Dafür bauen die Stadtwerke auf Görlitzer Seite mehrere Großwärmepumpen, die Wärme aus dem Berzdorfer See und dem gereinigten Abwasser der Kläranlage „Nord“ in Görlitz nutzen. 17 Prozent der Fernwärme soll mit Solarthermie in Kombination mit saisonalen Wärmespeichern erzeugt werden. Für jeweils ein Prozent sorgen Abwärmenutzung und Power-to-Heat.
Mit 48 Prozent den weitaus größten Anteil wird Biomasse beisteuern, mittels Verbrennung von Holzhackschnitzeln und Biomethan. Das hat einen Grund: In Polen wird eine sehr viel höhere Vorlauftemperatur benötigt als in Deutschland, was den Einsatz von Wärmepumpen und Solarthermie bei kalten Temperaturen begrenzt. Im Energiemix der Stadt Görlitz soll der Anteil der Biomasse stets unter 25 Prozent bleiben.
Das Projekt steht vor vielen Herausforderungen. Neben den unterschiedlichen Vorlauftemperaturen müssen auch Preisgestaltung und weitere Regulierungen in Einklang gebracht werden. Die Genehmigungsprozesse für die grenzüberschreitenden Fernwärmeleitungen sind ebenfalls kein Zuckerschlecken, angesichts unterschiedlicher Vorgaben in beiden Ländern. Ein 30-köpfiges Team von Experten aus beiden Ländern arbeitet an der Realisierung des Projekts.
Abwärme ab nach Frankreich
Viele Menschen arbeiten auch in der französischen Stadt Straßburg sowie dem deutschen Kehl an einer grenzüberschreitenden Wärmeversorgung. Dort ist es die Abwärme der Badischen Stahlwerke auf deutscher Seite, die ab 2027 zunächst rund 7.000 Haushalte in Straßburg mit Wärme versorgen soll. Dafür braucht es eine 4,5 Kilometer lange Wärmeleitung durch den Grenzfluss, den Rhein, sowie Hafengebiete auf beiden Seiten des Flusses. Ebenfalls eine komplexe Angelegenheit, bei der es die Belange der dort angesiedelten Industrieunternehmen zu berücksichtigen gilt. Mit Koehler Paper hat bereits ein Unternehmen an der künftigen Wärmeleitungstrasse Interesse gemeldet, ebenfalls ihre Abwärme in die Leitung einzuspeisen.
Im Gegensatz zu fossiler Wärmegewinnung aus Erdgas und Kohle werden Wärmepumpen und Abwärme auf lange Sicht für eine bezahlbare und unabhängige Energieversorgung sorgen. Zunächst aber braucht es immense Investitionen. Für den Umbau des badischen Stahlwerks sowie die grenzüberschreitende Wärmeleitung planen die Verantwortlichen in Kehl und Straßburg mit Kosten von rund 47 Millionen Euro. Fast 20 Millionen Euro erhält das Projekt aus staatlichen Fördermitteln von Frankreich, Deutschland und der Europäischen Union.
Auch in Görlitz und Zgorzelec bedarf es staatlicher Förderungen. „Um unsere ambitionierten Ziele zu erreichen, benötigen wir eine Förderquote von mindestens 80 Prozent“, sagt Seifert von den Görlitzer Stadtwerken. Dies sei unerlässlich, um die Umsetzung des Projekts in vollem Umfang zu gewährleisten und gleichzeitig die Belastung für die Endverbraucher in einem akzeptablen Rahmen zu halten.
Förderanträge auf deutscher und europäischer Ebene waren bereits erfolgreich – mit dem jeweils maximalen Fördersatz. Polnische Förderprogramme konnten noch nicht an Land gezogen werden. Die Suche nach geeigneten Programmen läuft. Mit den zum Teil jährlich bewilligten Fördergeldern können die Verantwortlichen in Görlitz und Zgorzelec in diesem Jahr mit dem Umbau der Fernwärmeversorgung beginnen, für die rund 80 Millionen Euro veranschlagt sind. Auf polnischer Seite startet der Bau des Biomasseheizwerks, auf deutscher die Arbeiten für die künftige Nutzung der Kläranlage Nord und Verbindung zu einem der vier Blockheizkraftwerke, das mit Klärgas betrieben wird. Insgesamt sind für die Umsetzung von United Heat mindestens 195 Millionen Euro notwendig. Davon ca. 158 Mio. Euro auf deutscher und rund 37 Mio. Euro auf polnischer Seite.
Ob norwegischer Strom aus Wasserkraft in Deutschland oder deutscher Solarstrom in Polen, Der Austausch von Strom auf europäischer Ebene ist bereits die Regel. Günstigere Erneuerbare Energien bestimmen den Anteil von Import und Export. Die Fernwärmeprojekte in den Europastädten Görlitz/Zgorzelec und Kehl/Straßburg zeigen, wie auch eine klimaneutrale Wärmeversorgung über Grenzen hinweg möglich wird. Manuel Grisard