Klimaneutrale Kommunen: Wie Berlin die Wärmeplanung angeht
Das Wärmeplanungsgesetz ist noch nicht verabschiedet, aber Kommunen arbeiten bereits intensiv an ihren Lösungen für eine fossilfreie Wärmeversorgung. So auch der Berliner Senat, der seine Wärmeplanung bis 2026 fertigstellen will.
14.08.2023 – Wärmewende, das einfache Wort umschreibt eine der größten und zugleich kleinteiligsten Aufgaben auf dem Weg zum klimaneutralen Wirtschaften und Leben. Auch eine Großstadt wie Berlin mit vielfältiger Immobilienlandschaft, verschiedenen Akteuren und Fernwärmenetzbetreibern muss sich dieser Herausforderung stellen.
Zwei Leitplanken aus der Politik geben jetzt die Richtung vor: die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes und ein gänzlich neues Gesetz zur Wärmeplanung. Beide Vorhaben sind noch nicht beschlossen, der Prozess jedoch umrissen: Kommunen erarbeiten Wärmepläne, in denen sie die kommunale Wärmeversorgung und die Dekarbonisierung der Wärmenetze umreißen. Aus diesen Plänen können Immobilienbesitzer die Umstellung der Wärmeversorgung ihrer Gebäude auf erneuerbare Wärme ableiten. Ist kein Anschluss an ein Wärmenetz absehbar, müssen neu eingebaute Heizungen in diesen Gebäuden aus erneuerbaren Quellen versorgt werden.
Der Berliner Senat hat vor zwei Jahren in einer Wärmestrategie Leitlinien für die Wärmewende in der Hauptstadt definiert. Die Wärmeversorgung soll weitgehend elektrifiziert oder auf netzgebundene Wärme umgestellt werden. Als Wärmequellen sollen Potenziale aus Erneuerbaren Energien und unvermeidbarer Abwärme umfassend genutzt werden. Energetische Sanierungen sind der andere – nicht weniger ambitionierte – Teil des Vorhabens. Das erklärte Ziel: Bis 2026 soll die Wärmeplanung der Millionen-Metropole stehen. Dreh- und Angelpunkt der Wärmeplanung ist ein umfassendes Bild über den Bestand und die Potenziale. Erst dann können sinnvolle konkrete Maßnahmenwie z.B. gezielte Förderungen beschlossen werden.
Bestandsaufnahme für Wärmekataster
Udo Schlopsnies, Leiter der Arbeitsgruppe „Energieeffizienz von Gebäuden und Grundsatzfragen der Wärmewende“ beim Berliner Senat, beschreibt die Erstellung eines Wärmekatasters für die Millionenmetropole als eines der zentralen Elemente für die Wärmeplanung, aber auch als komplexe Aufgabe. Solch ein Wärmekataster ist bei weitem kein Atlas, der einmal erstellt für Jahre gilt. Denn wenn beispielsweise vorhandene nutzbare Wärmequellen tatsächlich in die Nutzung gehen, sind sie für andere Bedarfe nicht mehr verfügbar. Umgekehrt verändert sich der Bedarf an Wärme für die einzelnen Haushalte, die vielen Gewerbe, aber auch öffentlichen Gebäude – beispielsweise, wenn durch Sanierung weniger Wärmeleistung nachgefragt wird. Diese sich ändernde Wärmelandschaft fortlaufend detailgenau abzubilden, die genutzten Wärmequellen der einzelnen Gebäude zu erfassen, Simulationen und Auswertungen zu ermöglichen, das ist die Aufgabe des Wärmekatasters.
Per Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz ist der Senat verpflichtet, objektscharfe Daten aufzubereiten – hierzu wurden bereits datenhaltende Stellen wie Infrastrukturbetreiber und Schornsteinfeger, aber auch andere Akteure angeschrieben. Das allerdings bringt strenge Datenschutzvorgaben mit sich, die sich letztlich als Hindernis erwiesen, vorhandene Systeme wir z.B. den Berliner Energieatlas umfassend zu nutzen. „Wir mussten umdenken und begannen eine eigene Datenbank aufzubauen. Weil aber die damit entstehende Softwarelösung von verschiedenen Dienststellen genutzt werden soll, sind auch hierfür etliche Verwaltungsvorgaben einzuhalten. Inzwischen existiert ein umfangreiches Lastenheft, dessen Umsetzung noch in diesem Jahr beauftragt werden soll. Im nächsten Jahr soll die Lösung dann entstehen“, beschreibt Schlopsnies den Prozess.
Mögliche fossilfreie Wärmequellen ausloten
Parallel zur Bestandsanalyse wird daran gearbeitet, die vorhandenen Potenziale systematisch zu untersuchen. Bereits untersucht wurden die Entwicklungsmöglichkeiten des Fernwärmenetzes für den Wohngebäudebestand. Für Nichtwohngebäude ist eine ebensolche Analyse in Arbeit. Die Berliner Wasserbetriebe haben die Wärmeentzugspotenziale aus dem Bereich der Abwässer erhoben und kartiert. Ebenfalls wird aktuell untersucht, welche Abwärmepotenziale u.a. aus Industrie und Rechenzentren in der Hauptstadt vorhanden sind. Hinzu kommt weiter die mögliche thermische Nutzung von Biomasse.
„Wir schauen aber auch nach Hydrothermie-Potenzialen, das heißt Wärmegewinnung aus Fluss- und Seewasser“, berichtet Schlopsnies und verweist auf die kürzlich in Betrieb genommene Flusswasser-Großwärmepumpe des Fernwärmenetzbetreibers BTB. Allerdings sei hier auch genehmigungsrechtlich noch einiges zu überlegen: „Wieviel Auskühlung des Flusswassers dürfen wir überhaupt genehmigen, in welchen Abständen? Und noch viel wichtiger: wie sieht das Entzugspotenzial im Jahresverlauf aus?“ All die hier erwähnten Potenzialanalysen sollen laut Schlopsnies bis zum Jahresende vorliegen. Darüber hinaus kann auch die Solarthermie noch einiges beitragen zur erneuerbaren Wärmeversorgung. Wo die Untersuchungen absehbar länger dauern werden, ist die Geothermie.
In den nächsten ein, zwei Jahren werden all diese Daten in das Wärmekataster einfließen und mit dem Wärmebedarf der Gebäude abgeglichen. Daraus können dann Szenarien für eine Wärmeplanung entstehen, beispielsweise wo neue lokale Quartierswärmenetze sinnvoll sind oder wo vorhandene Potenziale leicht in ein bestehendes Fernwärmenetz integriert werden können.
Einige Perspektiven schon absehbar
Doch es gibt laut Schlopsnies auch Dinge, die bereits heute absehbar sind und wo bereits heute Vorarbeiten stattfinden können: „Im Außenbereich, dort wo am Stadtrand Ein- und Zweifamilienhäuser dominieren, ist mit großer Wahrscheinlichkeit kein Ausbau der Fernwärme zu erwarten. Dort wird es auf dezentrale Wärmepumpen hinauslaufen. Das Stromnetz dafür zu ertüchtigen, muss nicht aufgeschoben werden.“ Wer also im Außenbereich im Einfamilienhaus lebt, macht wenig falsch, beim Austausch der Heizungsanlage nicht wieder eine Gastherme einzubauen, sondern sich nach einer Wärmepumpe umzuschauen, vielleicht sogar oberflächennahe Geothermie in Betracht zu ziehen.
Andersherum finde sich zum Beispiel im Innenstadtbereich ein großes Potenzial an Abwasserwärme, das gut verortbar ist, weil die Kanäle ja bekannt sind. Die eine oder andere Großwärmepumpe könnten Infrastrukturbetreiber schon in ihre Planung aufnehmen.
Weil die verschiedenen möglichen Wärmequellen ortsgebunden sind, wird es sinnvoll sein, Quartierswärmenetze aufzubauen. Wie genau die Geschäftsmodelle dafür aussehen werden, ob diese vom Markt getrieben sind oder die öffentliche Hand nachhelfen muss, all das ist in Gänze heute nicht absehbar. Ebenso müssen sich Modelle entwickeln, wenn Wärmequellen mehr hergeben als vor Ort gebraucht wird und kein Netz in der Nähe ist. „Pilotvorhaben, wie sie beispielsweise gerade im Quartier Eichkamp/Heerstraße realisiert werden, sind für uns wertvolle Blaupausen“, sagt Schlopsnies. Dort soll für die Quartierswärmeversorgung eine Bürgerenergiegenossenschaft gegründet werden. Eine weitere – auch heute schon praktizierte – Variante könnte sein, dass Immobilienbetreiber Nahwärmenetze selbst erschließen.
Berlin ist anders
„Doch wie die bestehenden Netze dekarbonisiert werden, ist und bleibt Aufgabe der Infrastrukturbetreiber“, betont Schlopsnies und verweist auf die Dekarbonisierungsfahrpläne der Fernwärmenetzbetreiber in Berlin. Damit spricht er auch eine besondere Herausforderung der Wärmeplanung in der Hauptstadt an: die Heterogenität der Akteursstrukturen. Drei privatwirtschaftliche Fernwärmenetzbetreiber wie in Berlin gibt es in keiner anderen Stadt. Eine Stadt mit eigenem Stadtwerk habe es viel einfacher, einen konkreten Plan zum Beispiel zur Verdichtung eines Fernwärmenetzes umzusetzen. Auch bei den Immobilienbetreibern herrscht große Vielfalt, nicht zuletzt sind Wohneigentümergemeinschaften erfahrungsgemäß schwer auf eine Linie zu bringen. Zusätzlich gibt es das Thema Milieuschutz.
Schlopsnies wirkt aber keineswegs verzagt. Er weiß, dass die Aufgabe vielschichtig ist und ein langer Weg zu gehen ist. Wenn es Anfang 2026 die Wärmeplanung 1.0 gibt, wird es Schritt für Schritt weitergehen. „In der Umsetzung sind natürlich die Bezirke stark einzubinden, hier wird es auch um das Thema personelle Ressourcen gehen und ganz sicher werden viele praktische Fragen auftauchen. Aber alle werden mit ihrer Aufgabe wachsen, eng kooperieren und gemeinsam lernen“, ist Schlopsnies überzeugt. Petra Franke