Menü öffnen

Windenergie10H-Regelung in Bayern verfassungswidrig?

3 Windräder im bayerischen Franken vor einem Dorf und Bergen.
Schon 2014 wurden diese Windräder in Franken genehmigt. Doch erst in diesem Jahr gingen die Anlagen ans Netz. Der Projektierer, die NATUSTROM AG, kritisiert lange Genehmigungsverfahren und Klagen gegen das Projekt. (Bild: NATURSTROM AG)

Durch die Abstandsregel für neue Windkrafträder ist der Ausbau in Bayern fast zum Erliegen gekommen. Ein Rechtsgutachten kommt nun zu dem Ergebnis, dass dies mit dem Grundrecht und Schutz künftiger Generationen nicht vereinbar ist.

21.09.2021 – Laut einem vom Umweltbundesamt in Auftrag gegebenen Forschungsvorhaben führt die 2014 eingeführte 10H-Regel in Bayern zu einer Reduzierung der verfügbaren Fläche für die Windenergie von 85 bis 97 Prozent. Die 10H-Regel besagt, dass Windkraftanlagen nur in einem Abstand des zehnfachen ihrer eigenen Höhe zu Ortschaften gebaut werden dürfen. Für ein 200 Meter hohes Windrad sind das zwei Kilometer. Mit dieser Entfernung gilt für die Windenergie weiterhin eine baurechtliche Privilegierung.

Zwar können Anlagen grundsätzlich auch näher an Ortschaften gebaut werden, die entsprechende Gemeinde muss dafür aber einen Beschluss fassen und einen neuen Bebauungsplan aufstellen. Das hat ein deutlich schwierigeres Genehmigungsverfahren zur Folge. Seit Inkrafttreten des Gesetzes gingen die Anträge für neue Windkraftanlagen um 99 Prozent zurück. Der Ausbau ist in diesem Zuge fast zum Erliegen gekommen. Wurden 2017 noch Windenergieanlagen mit einer Leistung von 314 Megawatt Netto zugebaut, deren Genehmigungen noch von vor 2014 stammten, nahm der Zubau danach rapide ab. Zwischen 2018 und 2020 kamen gerade einmal 18 bis 32 MW pro Jahr hinzu. Auch in diesem Jahr sieht es mit sieben Anlagen, mit einer Leistung von 23 MW, bislang nicht gut aus.

Neben dem Bau neuer Windkraftanlagen wirkt sich die 10H-Regel auch negativ auf das Repowering – den Ersatz alter durch neue Anlagen – aus. Zwar hatten Bürger:innen in Bayern gegen das Gesetz geklagt, doch der bayerische Verfassungsgerichtshof wies die Klage 2016 ab. Der Landesgesetzgeber müsse sich mit dem Faktischen nicht auseinandersetzen und dürfe ein Gesetz erlassen, ohne sich mit den tatsächlichen Auswirkungen zu befassen. So steht es unter anderem in der Urteilsbegründung. Und: Der Verfassungsgerichtshof sah keine vollständige Entprivilegierung der Windkraft im Baugesetz gegeben. Es sei auch möglich, so die Begründung weiter, weniger hohe Windkraftanlagen zu errichten. Die dann fehlende Rentabilität – auf die Kritiker hinwiesen – habe rein verfassungsrechtlich gesehen keine Relevanz.

Nicht mit dem Grundrecht vereinbar

Ein neues Rechtsgutachten des Umweltrechtsexperten Prof. Kurt Faßbender von der Universität Leipzig kommt nun jedoch zu dem Ergebnis, dass die 10H-Regelung angesichts des Klimaschutz-Urteils des Bundesverfassungsgerichts von diesem Jahr verfassungswidrig ist. Die Verfassungsrichter:innen urteilten im März, dass das deutsche Klimaschutzgesetz aus dem Jahr 2019 nicht mit dem Grundrecht vereinbar ist – zumindest teilweise. Ab dem Jahr 2031 würden ausreichend Vorgaben für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen fehlen. Eine Gruppe junger Menschen, die um ihre Zukunft und die kommender Generationen fürchtet, hatte geklagt. Die Bundesregierung verschärfte daraufhin ihr Klimagesetz. Konform mit dem Pariser 1,5 Grad-Ziel ist auch die Neufassung nicht.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts besagt, „dass das Grundgesetz unter bestimmten Voraussetzungen zur Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit und zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen verpflichte.“ Dafür sei unter anderem der jetzige Ausbau der Windenergie von zentraler Bedeutung, der auch dort stattfinden müsse, wo der Strom gebraucht wird. In Bayern behindere die 10H-Regel dies, resümiert Faßbender in seinem Rechtsgutachten und verweist auf die Reduzierung der verfügbaren Flächen und den schleppenden Ausbau.

Darüber hinaus greife das Gesetz in das grundrechtlich geschützte Recht der betroffenen Eigentümer:innen ein, ihr Grundstück im Rahmen der Gesetze baulich zu nutzen. Auch der Eingriff in die Berufsfreiheit der Anlagenbetreiber:innen sei nicht gerechtfertigt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts verpflichte den Staat und damit Bund und Länder, aber auch Kommunen zur Herstellung von Klimaneutralität, so Faßbender. Diesem Klimaschutzgebot könnten Eigentümer:innen und Betreiber:innen mit der 10H-Regel nicht beikommen.

Die Energiewende an die Wand gefahren

In Auftrag gegeben hat das Gutachten die Fraktion der SPD im bayerischen Landtag. Deren Fraktionsvorsitzender Florian von Brunn sagte: „Die CSU-geführte Staatsregierung hat die Energiewende in Bayern mit Ansage an die Wand gefahren.“ Die 10H-Reglerung konterkariere das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und führe zu viel zu viel CO2-Ausstoß und verstoße damit gegen die Verfassung.

Zugleich fordert die SPD „effektive Akzeptanzmodelle“. Die energiepolitische Sprecherin der Fraktion, Anette Karl, sagte: „Anlagebetreiber könnten etwa verpflichtet werden, Bürgerinnen und Bürger an den Einnahmen zu beteiligen. Wir schlagen konkret Ausgleichszahlungen oder günstigere Stromtarife vor."

Unterstützung erhält die SPD von Bündnis 90/Die Grünen in Bayern sowie dem Bund Naturschutz. Alle erklärten, dass sie Popularklagen prüfen würden, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Auch Klagen vor Verwaltungsgerichten und sogar Verfassungsbeschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht seien nicht ausgeschlossen. mf


Mehr zum Thema


Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben


Name: *
E-Mail: *
(wird nicht veröffentlicht)
Nicht ausfüllen!


Kommentar: *

(wird nicht veröffentlicht)
max 2.000 Zeichen


energiezukunft