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Die große Einigkeit

Das Startsignal für den Bau des Windparks auf der Schwäbischen Alb gaben Landrat Edgar Wolff (v.l.n.r.), Lautersteins Bürgermeister Michael Lenz, Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller, Projekt-Initiator Hartmut Brösamle und Albwerks-Vo
Das Startsignal für den Bau des Windparks auf der Schwäbischen Alb gaben Landrat Edgar Wolff (v.l.n.r.), Lautersteins Bürgermeister Michael Lenz, Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller, Projekt-Initiator Hartmut Brösamle und Albwerks-Vorstand Hubert Rinklin Anfang September letzten Jahres gemeinsam. (Foto: wpd)

Im württembergischen Landkreis Göppingen entsteht der größte Windpark des südlichen Bundeslandes – 20 Jahren nach den ersten Plänen. 16 Anlagen werden im Wirtschaftswald nahe der Gemeinde Lauterstein errichtet. Diese profitiert davon ebenso wie das örtliche genossenschaftliche Elektrizitätswerk.

08.03.2016 – Michael Lenz spricht gerne von „Tuchfühlung“, und das sagt viel darüber aus, wie er Kommunalpolitik versteht: „Man muss immer auf Tuchfühlung zur Bürgerschaft sein.“ Schließlich treffe man die Menschen der Stadt beim Bäcker und auch im Schwimmbad. Im persönlichen Gespräch könne man dann sehr genau heraushören, wo jeweils der Schuh drückt.

Lenz ist Bürgermeister der schwäbischen Stadt Lauterstein. Gerade Ende Dreißig ist er, und nun seit zehn Jahren im Amt – ein Mann, der gerne redet, Fragen ausführlich beantwortet, aber eben auch zuhören kann. Einer, der die Sprache der Menschen am Fuße des Albtraufs spricht, ist er doch im Nachbarort aufgewachsen. Der gleiche Dialekt schafft Vertrautheit – das ist wichtig in der Kommunalpolitik.

Und so sitzt er im Besprechungsraum des Rathauses der 2.600-Seelen-Gemeinde und erzählt, wie Lauterstein es geschafft hat, den derzeit größten Windpark Baden-Württembergs auf den Weg zu bringen, ohne dass es „erkennbaren Bürgerprotest“ gab, wie er es formuliert. Dann spricht er vom Zuhören, vom Suchen nach Kompromissen und davon, die richtigen Partner ins Boot zu holen. Als eine Mischung aus „Diakon, Controller und Eigenheimverkäufer“ hat ihn die Wochenzeitung „Die Zeit“ einmal beschrieben.

Gut verkaufen kann er sich in jedem Fall: „Vor zwei Jahren bin ich mit fast 98 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden“, erklärt er ungefragt. Er ist überzeugt, dass das ein Erfolg der Transparenz ist, für die er sorgt – und eben auch der „Tuchfühlung zur Bürgerschaft“. Denn wie es nicht funktioniert mit Infrastrukturprojekten, das habe man ja im rund 50 Kilometer entfernten Stuttgart vor gar nicht langer Zeit erlebt, als dort der Streit um den neuen Tiefbahnhof eskalierte. So dürfe Politik eben nicht agieren, betont Lenz.

Manchmal sind es scheinbar kleine Dinge, mit denen man Vertrauen schaffen kann. Im Rahmen der Genehmigung des Windparks war es vorgesehen, die Unterlagen in Göppingen zur Einsicht auszulegen. Doch die Kreisstadt liegt 20 Kilometer von Lauterstein entfernt. Kurzerhand holte der Bürgermeister die Akten auch ins örtliche Rathaus. Ganze vier Einwendungen habe es gegeben, und die seien „höchst konstruktiv“ gewesen. Die anschließende Bürgerversammlung verlief in gelassener Atmosphäre, der Gemeinderat befürwortete den Windpark einstimmig, erinnert sich Lenz.

Vielleicht hänge die Zustimmung auch damit zusammen, dass man hier im Ort, vor der landschaftlich reizvollen Kulisse der Alb, die politischen Kontroversen traditionell sehr sachlich austrage, fügt der Bürgermeister hinzu. Der Gemeinderat dort konstituiert sich auf der Basis von zwei Bürgerlisten, nicht über Parteifraktionen. Auch Lenz selbst ist parteilos. Das führe dazu, dass man sich mehr auf die Sachfragen konzentriere. Ländlicher Pragmatismus eben.

Und dennoch: Man ist in dieser Stadt nicht immer so begeistert gewesen von der Windkraft. Als in den neunziger Jahren ein Vorläuferprojekt geplant war, stemmte sich der damalige Bürgermeister dagegen. Unseriöse Argumente wurden vorgebracht, etwa dass die Anlagen die Quellen am Ort vergiften würden. Und weil auch auf Landesebene Ministerpräsident Erwin Teufel die Windkraft nach Kräften torpedierte, scheiterte das Projekt an Behörden und Gerichten. So kann der Windpark Lauterstein heute – neben seiner Größe – noch einen zweiten Superlativ für sich in Anspruch nehmen: Derart lange hat kaum je ein Projektierer auf einen Park hingearbeitet. Es sind nun genau 20 Jahre.

Der Mann, der das Projekt so hartnäckig vorantrieb, ist Hartmut Brösamle. Sein Büro liegt etwa 70 Kilometer Luftlinie von Lauterstein entfernt, in Bietigheim-Bissingen. 1996 hieß seine Firma noch Enersys, vor zehn Jahren ging sie in der wpd-Gruppe auf. Viele Projekte hat Brösamle seither im In- und Ausland begleitet, jüngst wurde er für weitere fünf Jahre als wpd-Vorstand bestellt. Doch der Windpark Lauterstein hat für ihn besondere Bedeutung – es war der erste seiner Karriere.

Dass Brösamle nun in der zweiten Runde zum Zuge kam, nachdem im Jahr 2011 auch in Lauterstein die Menschen umdachten – Fukushima und der erste grüne Ministerpräsident hatten ihren Anteil daran –, war allerdings nicht ganz selbstverständlich. Denn der Standort war heißbegehrt, an Mitbewerbern mangelte es nicht. „Es waren unendlich viele konkurrierende Projektierer da“, sagt der Bürgermeister und erklärt auch gleich warum. Mit sehr guten Windverhältnissen, von Siedlungen ausreichend entfernt und zudem aus Sicht des Artenschutzes weitgehend unproblematisch erfüllt Lauterstein wichtige Kriterien für ein Erfolgsprojekt. Zumal die Anlagen nicht in Schutzgebieten stehen werden, sondern im Wirtschaftswald, einem intensiv genutzten Forst. Den Umstand betont Lenz mehrfach – in Naturwäldern, sagt er, hätte man einen solchen Park nicht realisiert.

Aufgrund dieser günstigen Bedingungen hätten Interessenten aus ganz Deutschland damals „eine Goldgräberstimmung verbreitet“, abenteuerliche Renditen seien versprochen worden. Aber der Bürgermeister wollte das nicht: „Wir wollten einen kompetenten Projektierer.“ Keinen, der aus der Ferne kommt, der eben mal auf einen fahrenden Zug aufspringt, weil es viel Geld zu verdienen gibt. Lieber einen, der die Region, den Menschenschlag kennt und natürlich das Windgeschäft. Eben einen wie Hartmut Brösamle. Der Windkraftpionier empfängt in seinen Büros in der Rommelmühle, einer unter Denkmalschutz stehenden ehemaligen Getreidemühle an der Enz. Der Strom für das Gebäude, in dem sich auch ein Biosupermarkt befindet, wird durch das eigene Wasserkraftwerk geliefert. Ein inspirierendes Umfeld.

Brösamle ist um die fünfzig, und man traut ihm zu, die Menschen auf dem Land zu gewinnen. „Wir haben immer offen kommuniziert“, sagt er, und ist damit auf einer Linie mit Bürgermeister Lenz. Das gilt auch für den Dialekt – Brösamle wuchs auf den sogenannten Fildern auf, einer Hochebene bei Stuttgart. Aber das ist es nicht alleine, Brösamle ist jemand, der aus Überzeugung handelt, kein schnöseliger Geschäftemacher, das merken die Menschen schnell. In der Presse hat er sich schon damit zitieren lassen, „tief im Herzen ein richtiger Öko“ zu sein. Da wundert es kaum, dass er schon lange ein Elektroauto fährt und in einem Passivhaus wohnt. Im Gespräch lässt er einfließen, dass er Vegetarier ist; er hat die Figur eines Langstreckenläufers.

Tatsächlich war beim Windpark Lauterstein jede Menge Durchhaltevermögen nötig. Im April 1996 war es, als Brösamle dem damaligen Bürgermeister der Stadt, Gebhard Mangold, das Projekt erstmals vorstellte. Zuerst plante er fünf große Anlagen mit je 1,5 Megawatt, doch als er die Vorbehalte spürte, reduzierte er flugs auf vier Anlagen zu je 600 Kilowatt. Dem Bürgermeister konnte er es dennoch nicht recht machen. Obwohl erklärter Gegner des Projekts, moserte dieser nun darüber, dass statt „eines Mercedes“ nun „nur ein Trabbi“ bei der Planung rauskomme.

Am Ende half auch der Weg durch die gerichtlichen Instanzen nicht, selbst dem Gang vor den Petitionsausschuss blieb der Erfolg versagt – das Projekt Lauterstein wurde zu einer typisch baden-württembergischen Windkraftgeschichte um die Jahrtausendwende.

Erst 2011 folgte der Neustart. Brösamle kehrte an seinen Ursprung zurück, nachdem er zwischenzeitlich als einer von zwei wpd-Vorständen in vielen Ländern die Windkraft vorangebracht hatte. Formal war das Lauterstein-Projekt ein kompletter Neustart, die Vorverträge von einst waren alle abgelaufen. „Aber es hat doch geholfen, dass wir schon mal am Start waren“, sagt der wpd-Manager, während er die Zeitungsberichte der Lokalpresse aus den neunziger Jahren durchblättert. „Windprojekt abgeblasen“ steht über einem der Artikel.

Rückblickend hat sich das erzwungene Warten durchaus gelohnt. Statt 2,4 Megawatt werden nun auf der Alb bei Lauterstein 44 Megawatt realisiert, mit 16 Anlagen zu je 2,75 Megawatt, Typ GE 120. Die oberste Flügelspitze reicht knapp an die 200 Meter heran. Ursprünglich waren sogar 27 Anlagen geplant, doch im Gespräch mit Segelfliegern verzichteten die Planer auf einige Anlagen. Auch wegen Fledermäusen und Rotmilanen wurden bestimmte Bereiche freigehalten. Als die Kirchengemeinde dann auch noch einen Kilometer Abstand von einer Kapelle wünschte, weil diese einmal im Jahr zahlreiche Pilger anzieht, gingen die Planer auch darauf ein und nahmen Änderungen am Standort vor. Es war diese ständige Kompromissbereitschaft, die dem Projekt viele Sympathien einbrachte.

Auch der technische Fortschritt half: Zwischenzeitlich sind die Anlagen so groß, dass man sie mitten in den Wald bauen kann. Damit konnten die Rotoren von der Freifläche an der Hangkante der Lützelalb zurückweichen. Vom Tal aus sind sie nun viel weniger sichtbar. Bürgermeister Lenz breitet gern die Karte mit den Standorten und Blickachsen aus: Sein Rathaus liegt im „blauen Bereich“, dort wo man nur noch die Flügelspitzen einzelner Anlagen sehen wird. Die meisten aber verschwinden komplett hinter dem Albtrauf.

Ist damit das Wunder von Lauterstein, das Verstummen aller Kritiker von einst, allein mit dem Entgegenkommen der Planer zu verstehen? Vor 20 Jahren war Konrad Rühle entschieden gegen den Park. Damals wie heute saß er im Gemeinderat. Nur dass er mittlerweile seine Meinung geändert hat. „Das waren halt andere Zeiten damals“, sagt der Berufsschullehrer. Doch die Debatte in der Region habe sich versachlicht. „Damals waren Windkraftanlagen neu, heute kennt man sie, das hat Vorbehalte abgebaut.“ Auch die veränderten Rahmenbedingungen hätten bei ihm zum Umdenken beigetragen. Der neue Standort zum einen, die gestiegenen Pachtpreise zum anderen. Drei Anlagen werden auf gemeindeeigenem Grund stehen, das bringt Geld für die Stadtkasse. Die anderen 13 Mühlen stehen in Wäldern eines Privatmanns.

Die Einbindung lokaler Akteure dürfte ebenfalls stark zum dörflichen Frieden beigetragen haben. Drei der 16 Anlagen übernimmt der örtliche Verteilnetzbetreiber, das Alb-Elektrizitätswerk. „Das Albwerk ist selbst eine Genossenschaft“, betont Bürgermeister Lenz – und es scheint in diesem Moment, als liege den Menschen in Schwaben die Genossenschaft nochmal ein Stückchen näher als in manchen anderen Teilen der Republik.

Das Albwerk seinerseits wird eine der drei Anlagen über eine Genossenschaft den örtlichen Bürgern anbieten. „Die Möglichkeit, mitmachen zu können, ist ein zentraler Erfolgsfaktor für das Gelingen der Energiewende“, erklärt das Unternehmen, das Ende Februar das Konzept der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Betreut werden alle 16 Anlagen von wpd – eine pragmatische Lösung. Damit es keine Missstimmung gibt, falls einzelne Anlagen mal schlechter laufen als andere, hat man vertraglich den Ausgleich der Erträge vereinbart.

Indem das Albwerk nun darauf verweist, „als regional verwurzelter Energieversorger eine entscheidende Rolle bei der Energiewende“ zu spielen, wird deutlich, wie sehr auch dieses Unternehmen seine Einstellung geändert hat. Vor der Jahrtausendwende warnte der Energieversorger noch – in alten Presseartikeln ist es dokumentiert – vor möglichen Auswirkungen der Rotoren auf die Lebensdauer elektrischer Geräte. Und man unkte, die Netzeinspeisung großer Strommengen sei an dieser Stelle gar nicht möglich.

Heute ist davon nichts mehr zu hören, es hat sich eine realistische Sicht der Dinge durchgesetzt. Das Netz ist eben doch stark genug: Ein eigenes Umspannwerk wird dafür sorgen, dass die erzeugte Strommenge – rund 120 Millionen Kilowattstunden pro Jahr – direkt ins Hochspannungsnetz fließen kann.

Allerdings erwies sich zwischenzeitlich der karstige Untergrund der Schwäbischen Alb als komplizierter als nach den Voruntersuchungen erwartet. 15 der Anlagen müssen mit bis zu 30 Meter langen Bohrpfählen fixiert werden. Drei bis vier Millionen Euro kostet das zusätzlich, so Brösamle. Aber bei einem 80-Millionen-Euro-Projekt lässt sich das offenbar auffangen. „Einen Teil der Mehrkosten hatten wir bereits eingeplant und an anderer Stelle waren Kosteneinsparungen möglich“, sagt der wpd-Chef. Bis kommenden Herbst sollen alle Anlagen am Netz sein – nach rund einem Jahr Bauzeit.

Der positive Ausgang versöhnt Hartmut Brösamle sogar mit den Behörden, nachdem sein Glaube an Verwaltungen und Gerichte einst arg strapaziert worden war. „Wenn es eine Wahl zur Behörde des Jahres gäbe, wäre dem Göppinger Landratsamt das Votum von wpd sicher“, sagte er im September beim Spatenstich, zu dem auch Landesumweltminister Franz Untersteller anreiste.

Die Versöhnung mit der Windenergie bedeutet allerdings nicht, dass die Menschen vor Ort nun generell weniger streitbar wären als früher. Die Lautersteiner hinterfragten nach wie vor die Pläne der Stadt, erzählt der Bürgermeister. Vor ihm auf dem Tisch liegt noch immer das Luftbild der Gemeinde, auf dem er zuvor die Anlagenstandorte erläutert hatte. Auch ein Steinbruch nahe des Orts ist deutlich erkennbar, von oben betrachtet wirkt er wie eine Wunde in der Landschaft: „An dessen Erweiterung wurde deutlich mehr Kritik laut, als am Bau der Windkraftanlagen“, so Lenz. Davon wie der Windpark Lauterstein entstand, können wohl viele Planer lernen.
Bernward Janzing (neue energie, Ausgabe Nr. 03/2016, S.42-45)


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