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Mission Eisfrei

Windräder können trotz Minusgraden arbeiten. An Straßen besteht jedoch die Gefahr von Eiswurf. (Foto: <a href="https://flic.kr/p/dQ7K8C" target="_blank">hjjanisch / flickr.com</a>, <a href="https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/" target="_blan
Windräder können trotz Minusgraden arbeiten. An Straßen besteht jedoch die Gefahr von Eiswurf. (Foto: hjjanisch / flickr.com, CC BY-ND 2.0)

Die Vereisung von Windrädern in den Wintermonaten kann nicht nur Ertragsausfälle nach sich ziehen. Gesperrte Straßen und Wege führen auch zu Unmut in der Bevölkerung. Moderne Technik verspricht Abhilfe und soll zuverlässig dazu führen, dass Straßen deutlich seltener gesperrt werden müssen.

12.01.2017 – „Bürger sauer über Wegesperrung“, so lautete im März 2015 eine Schlagzeile des Nordbayerischen Kuriers. Der Hintergrund: Im Lindenhardter Forst im oberfränkischen Pegnitz muss eine dicht neben den Windenergieanlagen liegende Gemeindeverbindungsstraße gesperrt werden, sobald Gefahr durch Eiswurf besteht. Das ist in einer verkehrsrechtlichen Anordnung so festgeschrieben. Allerdings beschwerten sich einige Bürger darüber, dass die Sperrung selbst bei Plusgraden noch aufrechterhalten wurde. Das Problem: Die Anlagen konnten bislang nicht mit den Warnschildern, sogenannten Wechselverkehrszeichen, gekoppelt werden. Um jedwede Gefahr durch Eiswurf so weit wie möglich auszuschließen, waren über einen längeren Zeitraum Temperaturen von mehr als fünf Grad erforderlich, um die Sperrung wieder aufzuheben. Im Wald ist es im Frühjahr in Bodennähe und im Schatten zudem oft kälter, als oben an den Anlagen. Während die Mühlen also schon wieder gefahrlos liefen, blieb die Straße mitunter gesperrt.

Die Regensburger Ostwind-Gruppe hat deshalb ein eigenes Kommunikationssystem zwischen Windrad und Straßenschild entwickelt, derzeit läuft der Testbetrieb. „Die Windenergieanlage detektiert mittels Leistungskennlinienüberwachung sowie Temperatursensoren* einen Eisansatz an den Blättern und regelt den Betrieb ab. In diesem Moment teilt die Windenergieanlage den Stillstand dem Wechselverkehrszeichen per Funk mit und das Verkehrsschild stellt auf ‚Durchfahrt gesperrt‘ um. Sobald die Gefahr des Eisabwurfs vorbei ist, meldet die Windenergieanlage das ebenfalls dem Verkehrszeichen und die Straße wird sofort wieder freigegeben“, erläutert Ostwind-Geschäftsführer Jörg Zinner. Das neue Konzept sei in Kooperation mit dem lokalen Landratsamt entstanden. „Wir werden dadurch voraussichtlich deutlich weniger Sperrungen als bisher haben“, ist Zinner überzeugt. Das bisherige System habe aufgrund laufender Windenergieanlagen und gleichzeitiger Sperrung viele Autofahrer verunsichert, da nicht klar war, ob nun eine Gefahr durch Eisabwurf besteht oder nicht. „Das war nicht nachvollziehbar und deshalb für die Akzeptanz nicht gut“, so der Ostwind-Geschäftsführer.

Dass die Anlagen gar nicht erst vereisen, daran arbeiten derweil Wissenschaftler der Technischen Universität Dresden in Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Polymerforschung Dresden. Im Forschungsprojekt „Aktive eisabweisende Oberflächen“ (Eisab) entwickeln sie eine eisabweisende Oberflächenbeschichtung auf Basis pyroelektrischer Polymere, in die zusätzlich gefrierpunktsenkende polymere Ketten eingearbeitet werden. Der Clou: Sogenannte Pyroelektrika reagieren auf Temperaturänderungen mit einer veränderten Oberflächenladung, sodass ein Eisansatz deutlich erschwert wird. Eine externe Energiequelle ist nicht nötig. Das Projekt, an dem auch die Anlagenhersteller Eno Energy und Enercon beteiligt sind, läuft noch bis Mitte 2018 und wird vom Bundesforschungsministerium im Rahmen des Programms „Materialforschung für die Energiewende“ mit knapp einer Million Euro gefördert.

„Bisher gibt es keine großtechnische Anwendung von rein eisabweisenden Oberflächen“, sagt Sylvia Franke-Jordan, wissenschaftliche Mitarbeiterin der TU Dresden. Auch komme es bei den bisher bekannten passiven Beschichtungen, die oft nur auf dem Prinzip der Hydrophobie, also auf wasserabweisenden Materialien basieren, noch immer dazu, dass sich Eis bildet. „Im Eisab-Projekt wollen wir den pyroelektrischen Effekt, der in verschiedenen technischen Bereichen auf Basis mineralischer Werkstoffe bereits Einsatz gefunden hat, mit polymeren Werkstoffen umsetzen und auf dieser Grundlage eine Oberflächenbeschichtung im Nanobereich entwickeln“, sagt Franke-Jordan. Diese Beschichtung könne dann durch ein Tauch- oder Sprühverfahren aufgebracht und mittels eines elektrischen Feldes polarisiert werden. Die Polymer-Basis erlaube, große Mengen des Materials preiswert herzustellen, deshalb komme es nun auch als Beschichtung auf Rotorblättern in Frage.

„Die Polymere sind sehr flexibel und lassen sich auch auf Oberflächen wie Metall, Glas und Kunststoff gut verankern“, sagt die Ingenieurin. Um den pyroelektrischen Effekt auszulösen, brauche es lediglich eine Temperaturschwankung im Bereich von einem Grad, wie sie im Freien kontinuierlich stattfinde. Eisab ist Grundlagenforschung, die praktische Anwendung liegt derzeit noch in der Zukunft. Erste Versuche auf Modelloberflächen, auch auf Rotorblättern, und Kratztests seien erfolgreich verlaufen. Wie schnell die Beschichtung flächendeckend einsetzbar sei, hänge stark von der Bereitschaft der Hersteller ab, das System aufzugreifen und mit in die Forschung einzusteigen. „Kostenbestimmende Faktoren werden die Tauchanlage und vor allem die Polarisationsanlage sein, das Verfahren wäre also sehr gut für die Massenproduktion geeignet“, schätzt Franke-Jordan. Denkbar wäre auch, das Material in die letzte Lackschicht einzubringen oder eine eisabweisende Folie herzustellen. Die Vorteile einer solchen Beschichtung liegen auf der Hand: Teure Heizsysteme und das Abschalten von Anlagen könnten überflüssig werden. Grundsätzlich hängt es vom Standort der Windmühle ab, wie groß das Problem der Vereisung ist. Während die Gefahr in Küstenregionen und im Binnenland eher gering ist, häufen sich die Fälle in höheren Regionen. Eis an Rotorblättern entsteht vorwiegend bei hoher Luftfeuchtigkeit und Temperaturen um den Gefrierpunkt. Oft lohnen sich zusätzliche Heizungen nicht, weil dafür der tatsächliche Ertragsausfall zu gering ist, sagt Lars Schiller, Bereichsleiter Betriebsführung beim Betreiber und Betriebsführer Energiequelle aus Brandenburg.

„Im flachen Binnenland macht das Thema Eisansatz auf die Jahresproduktion gesehen vielleicht Einbußen im Promillebereich aus.“ Bei einer Konstellation von ungünstigen Wetterlagen mit Temperaturen um null Grad Celsius könne es zwar auch mal mehr sein. Heizsysteme seien aber nur für Bergregionen lohnend. Dennoch werde für jeden Standort geprüft, mit wie viel Vereisung zu rechnen ist. Auch verfüge jede Anlage über eine Abschaltfunktion bei Vereisungsgefahr, in einigen Windparks würden alle Anlagen über ein zentrales Thermometer gesteuert. Wie sensibel die Anlagen abgeregelt werden, lasse sich je nach Standort justieren.

Bleibt eine Anlage stehen, muss sich ein Serviceteam oder eine dafür autorisierte Person vor Ort vergewissern, dass der Neustart problemlos möglich ist. „Diese Überprüfung ist vom Boden aus möglich, dabei muss der Techniker unbedingt darauf achten, dass sich keine Passanten oder sonstige Gefährdungspotenziale im Anlagenbereich befinden“, sagt Schiller. Bei Wiederanlaufen der Anlage oder bis zum Einsetzen der Eisabschaltung können durch die Fliehkraft Eisstücke in die Umgebung geschleudert werden. An Standorten in der Nähe von Autobahnen oder Straßen sei deshalb die Abschaltautomatik sensibler eingestellt, so Schiller. Mittlerweile sei zwar auch das automatisierte Anfahren aus der Ferne theoretisch möglich, die Systeme seien jedoch oft auf solche Sicherheitszeitabstände eingestellt, dass man dabei Zeit verliere gegenüber der Prüfung und Wiederzuschaltung direkt vor Ort.

Mit welchem Eiswurf an einer Anlage zu rechnen ist, darüber können Gutachten Auskunft geben. Sachverständigenbüros wie 8.2 Consulting oder der Tüv-Süd erstellen diese Gutachten. Bei Stillstand der Anlage kann es wie bei jedem hohen Bauwerk durch Wind oder Tau zum Abfallen von Eisbrocken kommen. Auch dafür gibt es Gutachten. „Wir berechnen basierend auf Statistiken, an wie vielen Tagen es aufgrund von Temperatur, Luftfeuchtigkeit und anderen Werten zu Eisansatz und Eisfall kommen kann“, erklärt Timo Mertens, Mitarbeiter der Umweltabteilung bei Cube Engineering aus Kassel. „Auf Basis dieser Zahlen ermitteln wir Eisfall-Weiten und wie wahrscheinlich es ist, dass jemand unter der Anlage von einem Eisstück getroffen wird.“ Wenn die Werte zu hoch seien, werde vom Bau abgeraten. „Bisher ist es aber noch nie dazu gekommen“, sagt Mertens. Mittlerweile verlangten immer mehr Genehmigungsbehörden solche Gutachten. Das hilft auch bei der Akzeptanz, denkt Mertens: „Die Anwohner schauen genau, welche Gefahren von einer Anlage ausgehen können. Wenn man ihnen von Anfang an sagt, dass kein erhöhtes Risiko besteht, ist das von Vorteil.“ Ein solches Gutachten mache die Technik zur Eisabschaltung nicht überflüssig, die sei aber ohnehin standardmäßig in den Anlagen verbaut. Auch auf den bisher bekannten wasserabweisenden Eisfrei-Oberflächen oder beheizten Flügeln werde sich bei gewissen Temperaturen Eis ansetzen. „Ich glaube nicht, dass man das gänzlich verhindern kann“, sagt der Gutachter. Das Eis bilde sich auch an der Gondel oder der Nabe und die Anlage vollständig zu beheizen sei nicht möglich.

Ob das Problem der Vereisung und damit auch von gesperrten Durchfahrtsstraßen dank aktiver Oberflächen wie aus dem Eisab-Projekt bald der Vergangenheit angehören wird, ist derzeit noch ungewiss. Die ersten Forschungsergebnisse stimmen zuversichtlich. Wie die miteinander kommunizierenden Windräder und Warnschilder in Pegnitz zeigen, bietet aber auch die bestehende Technik noch Möglichkeiten, die Problematik zumindest besser in den Griff zu kriegen.

Michael Hahn (neue energie, Ausgabe Nr. 01/2017, S.28-33)


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